ERDBEERMUNDALLERGIE. Inka Neumarkt

ERDBEERMUNDALLERGIE - Inka Neumarkt


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      Da ihm eine Kopfdrehung offenbar zu anstrengend war, unterstütze der Mann diese detaillierte Beschreibung mit einem knappen Fingerzeig über seine Schulter.

      Es gab also einen Campingplatz. Hinter dem Gebäude. Und wenn der voll war? Natürlich könnte sie jetzt rumgehen und sich den Platz anschauen. Oder sie könnte sagen: Tut mir leid, ich wusste wirklich nicht, dass ich auf dem Parkplatz übernachtet habe. Dann könnte sie ein paar Euro in die Kaffeekasse schmeißen und schnell davonfahren, aber all diese Möglichkeiten klangen so anstrengend, so schrecklich anstrengend. Außerdem dürfte sie wohl auch noch nicht wieder fahren, sogar wenn sie es wollte. Wie viel Restalkohol mochte sie noch im Blut haben? Und wo sollte sie hin? Was würde sie erwarten? Wer? Niemand.

      Sie ballte die Fäuste. Der Nerv über ihrem rechten Auge zuckte. Vielleicht war sie gerade emotional nicht komplett auf der Höhe. Ein paar Tage Ruhe kämen doch gerade recht. Der Platz wäre sicher ähnlich ruhig, wie der Parkplatz. Hier war ja nichts. Und wenn sie sich richtig entsann, war auch noch keine Hauptsaison. Es war erst Anfang Juni.

      »Gut, ich bleibe.«

      »Lange?«

      »Ähm … zwei Nächte?«

      »Mit der letzten?«

      »Aber …« Aber da habe ich doch nur auf einem scheiß Parkplatz gestanden, dachte sie. Da könnte doch jeder stehen, warum sollte sie dafür bezahlen? Aber dann dachte sie, dass Clemens, der Arsch, sie immer damit aufgezogen hatte, dass bei ihr schon manchmal die Jura-Studentin durchbrach, und sie war auf so vieles gleichzeitig sauer, dass sie nur noch sagte: »Mit der letzten Nacht drei.«

      Er nickte, und sie wartete, während er die Mappe, in der er gerade etwas durchgesehen hatte, zuklappte, zur Seite schob, ein Büchlein aus einer Schublade nahm und etwas hineinkritzelte. Dann den Stift weglegte, das Büchlein in die Schublade packte und wieder die Mappe zur Hand nahm.

      Sie sah ihn wartend an, doch er wirkte, als sei alles geregelt. Verwirrt blickte sie sich um. Vielleicht gab es noch Hinweisschilder? Denn aus ihm schien sie alles herausbekommen zu haben, was drin war.

      »Würden Sie mir kurz meinen Stellplatz zeigen? Das wäre wirklich sehr freundlich.«

      Jetzt war es an ihm, verwirrt zu wirken. Vermutlich hatte er angenommen, alles wäre geklärt. Und er wollte auch bereits wieder einfach nur mit einem Finger hinter das Haus weisen, stand dann aber schließlich doch auf und führte sie um das Gebäude herum. »Einfach einen aussuchen.«

      Na, toll. Der Platz war ganz nett, zwar eher nüchtern und, sagen wir mal, mittel gepflegt, aber zumindest war er fast leer, bis auf zwei Wohnwagen, die am hintersten Ende des Platzes dicht beieinanderstanden und aussahen, als würden sie einfach immer da stehen.

      Trotzdem sah sie eine Schwierigkeit, die direkt mit ihren mangelnden Fahrkünsten zusammenhing. Sie konnte nicht so ganz super rangieren, und auf dem ansonsten recht kargen Platz waren Parzellen für die Wohnwagen vorgesehen. Schmale Parzellen, wie Marge fand, und die wurden begrenzt durch dackelhohe Buchsbaumhecken.

      »Die bretter ich doch glatt um.« Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund. So eine Aussage wirkte ja nicht besonders vertrauenerweckend. »Ich meine, die Feinheiten übernimmt sonst immer mein Mann.« Sie lächelte künstlich, sah sich um, aber der Mann von der Rezeption stand schon gar nicht mehr neben ihr.

      Bevor ihr erneut Tränen in die Augen schießen konnten, hörte sie Schlüssel klappern. Mit einem bizarr federnden Gang kam jemand aus dem Gebäude, direkt auf sie zu. Ein kleiner älterer Herr mit einem schmalen Körper und einem runden Gesicht.

      »Oh, guten Tag, vielleicht können Sie mir behilflich sein?«

      Sie hielt ihm die Hand zum Gruß hin, dachte, dass sie vielleicht zu schnell mit der Tür ins Haus gefallen war, und hoffte, er würde ihr das nachsehen.

      »Der Begriff Meile kommt vom lateinischen milia passuum. Das bedeutet:

       a) 10 Meter b) Durchgang verboten

       c) 1000 Doppelschritte d) 100 Schritte?«

      »Was?«

      Sie schaute das Männlein an, musterte sein Outfit mit den vielen Taschen, die Khaki-Weste, die über seinem schmalen Oberkörper schlackerte. Er sah sie nicht direkt an, hatte seinen Blick zu ihr gerichtet, aber der wirkte, als sehe er durch sie hindurch oder, nein, als wäre sie nicht echt.

      Nachdem sie noch ein ungläubiges Was? von sich gegeben hatte, wiederholte er seine Frage und die vier Antwortmöglichkeiten, und Marge schüttelte den Kopf, ließ sich aber auf das Spiel ein.

      »Antwort C?«, vermutete sie schließlich, nachdem sie ihr Hirn nach dem letzten Rest Schul-Latein durchwühlt hatte.

      »Das ist richtig«, sagte der Mann in einem Ton, der einem Trommelwirbel zur Ehre gereicht hätte, sah sie plötzlich an, wie man eben jemanden ansieht, und reichte ihr die Hand.

      »Ich bin Adrian Faber. Guten Tag.«

      Erleichtert erwiderte sie den Gruß. »Marge Siebenthal. Hallo.« Und dann fragte sie noch einmal, ob er ihr behilflich sein könnte. Sie wäre nicht so oft mit dem Ding unterwegs. »Ich bin wirklich nicht die geborene Autofahrerin. Mit dem Schiff könnte ich gerade mal auf einem Fußballfeld parken, ohne die Tribüne zu rammen.« Marge kicherte.

      Adrian lachte nicht. Na, das war wohl nicht sein Humor. Oder Humor war nicht so seins. Aber er bot ihr seine Hilfe an, und das war ja auch wichtiger.

      Gemeinsam gingen sie durch das Gebäude zurück zum Parkplatz. Als sie an der Rezeption vorbeikamen, sagte Adrian: »Ich helfe Marge beim Check-in.« Darauf folgte keinerlei Reaktion.

      Vor dem Mobil reichte Marge den Schlüssel an Adrian, sagte, sie müsse kurz noch ein paar Sachen herausholen, wühlte sich durch ein paar Kleidungsstücke ihres Mannes und fand schließlich einen grausigen Jogginganzug, aber immerhin war er frisch gewaschen, und als sie sich umdrehte, stand Adrian plötzlich hinter ihr. Mitten im Chaos.

      »Äh, entschuldigen Sie das Durcheinander, es gab eine kleine … Feier.«

      Wer wollte ihr das denn abnehmen? Zum Glück schien Adrian sich daran nicht zu stören. Nicht einmal am Geruch. Dabei fiel Marge ein, dass sie ja noch etwas regeln musste. »Sagen Sie, könnten Sie mir wohl auch erklären … ich meine … ich glaube die Toilette … da …«

      »Ihr Kanister ist voll.«

      »Ja.« Na, da wusste er doch schon mal mehr als sie. »Ich würde gern erst einmal unter die Dusche. Und vielleicht einen Kaffee trinken? Wenn das hier möglich ist. Aber danach … könnten Sie mir danach wohl zeigen, wie ich den Kanister ausleeren kann?«

      »Machen Sie sich mal keine Sorgen.«

      »Vielen Dank. Und wenn Sie mir jetzt noch sagen könnten, wo die Duschräume sind?«

      Sie stiegen aus dem Wagen und Adrian wies ihr den Weg. Seufzend trottete Marge also unter die Dusche, und mit heißem Wasser bekam sie zumindest einen winzigen Teil des gestrigen Abends wieder ab, und als sie in ihrem zu weiten, kackbraunen Jogginganzug, den sie am Hosenbund festhalten musste, in Richtung Rezeption schlurfte, roch es dort tatsächlich nach frischem Kaffee, und sie bekam eine Tasse, und es gab eine gemütliche Ecke, in der sie ihn trinken konnte. Es gab auch ein Glas Wasser für ihre Kopfschmerztabletten und zur Krönung stellte ihr der Mann von der Rezeption auch noch einen Teller mit einem frischen Croissant vor die Nase. Und es war doch gleichgültig, ob er dazu etwas sagte oder eben nicht. Gerade, als sie dachte, jetzt sei sie gestärkt genug, um sich von Adrian in die Geheimnisse des Fäkaltanks einweisen zu lassen, stand der neben ihr und reichte ihr den Wohnmobilschlüssel. »Sie stehen auf 7B.«

      »Das ist …«

      »Gleich rechts, in der zweiten Reihe. Schauen Sie.«

      »Nett. Das ist sehr nett«, sagte sie und stand auf, folgte Adrian, der sie nach draußen zum Stellplatz bugsierte.

      Da stand es also, das Glücksmobil.


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