ERDBEERMUNDALLERGIE. Inka Neumarkt

ERDBEERMUNDALLERGIE - Inka Neumarkt


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nachgegeben, Clemens, der Arsch, war in den Knien eingeknickt, Marge war mit ihren Füßen abgerutscht, war hinter ihm hergefallen, auf ihn drauf, hatte auf seinem Kopf gesessen, aber wirklich vollkommen anders als erfreulich. Er hatte danach eine Beule am Hinterkopf, und sie hatte sich die Hüfte ausgerenkt.

      Später, beim Senioren-Kaffee, waren sich alle einig gewesen, was für ein Glück man gehabt hatte, dass dem Wohnmobil nichts passiert war – als nämlich der winzige Camper von dem Neuen dagegen gerutscht war. Der nämlich zu blöd gewesen war, um sein Ding vernünftig zu sichern.

      Ja. Bringt eure Dinger immer schön in Sicherheit.

      Wie, um alles in der Welt, hatte es Arielle, die Schlampe, hinbekommen, auf zwei Quadratmetern eine heiße Affäre zu inszenieren? Und wie, um alles in der Welt, hatten sie es geschafft, dass es ihr, Marge, nicht aufgefallen war? Sie war so eine Idiotin! Es war wirklich nicht zum Aushalten.

      Noch immer schlich der Trecker vor ihr her. Auf dessen Rückseite prangte eine riesige Erdbeere, mit einem Schriftzug darunter, der nicht mehr zu entziffern war. Ganz verstaubt und verblasst.

      Komm schon, Marge. Nicht schon wieder heulen. Wenn das Gefährt dort vor ihr Schritttempo vorgab, könnte sie doch vielleicht das Lenkrad kurz mit den Knien festklemmen, und ganz, ganz schnell den BH ausziehen. Außer ihnen war schließlich sonst niemand unterwegs. Oder sie hielt einfach kurz auf der Straße an. Wen würde das stören? In dem Moment zog ein Mercedes laut hupend an ihr vorbei. Vor Schreck begann sie zu husten.

      Scheiß drauf. Sie trat auf die Bremse. Mit einem Satz blieb das Monster stehen. Großartig! Vielleicht sollte sie es einfach hier stehenlassen. Ein Schild dran kleben: zu verschenken. Den Schlüssel stecken lassen. Die Leute nahmen doch jeden Mist mit.

      Ihr Kopf sackte aufs Lenkrad. Sie war so müde. So unendlich müde. Sie schloss die Augen. Doch bevor die ganzen dunklen, schweren Gedanken, die ihr Gehirn bevölkern wollten, ihre Chance nutzen konnten, warf sich das grässliche Jucken dazwischen. Inzwischen pritzelte und prickelte jeder Quadratzentimeter ihres Oberkörpers. Krätze? Ernsthaft? Unter Reizwäsche hatte sie bisher etwas anderes verstanden.

      In einer ihrer Geschichten würde sie das niemals schreiben, das wäre total übertrieben. Wenn sie dann noch erklärte, dass ausgerechnet der Mann, der sie bestärkt hatte, mehr Zeit ins Schreiben zu investieren, weil sie gut wäre, wirklich, sehr gut, nichts anderes wollte, als ihr an die Wäsche … wie unglaubwürdig.

      Ach, scheiße! Sie zog sich den Pulli über den Kopf. Wollte sich den Pulli über den Kopf ziehen. Hatte dabei leider vergessen, dass er hinten am Ausschnitt diesen kleinen Knopf hatte, der sie beim Zufummeln fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Aber sie sah toll darin aus. Eben wegen des Ausschnitts, der sehr eng am Hals saß, wenn dieser kleine Knopf endlich geschlossen war. Über den Kopf bekam man das Ding dann natürlich nicht. Beim besten Willen nicht. Man konnte noch so daran herumzerren. Mit den Armen nach oben gestreckt.

      Was anderes fiel Marge jetzt auch nicht mehr ein. Sie zog und zappelte, riss und fluchte, und blieb doch gefangen in einem hellblauen Sack. Einem hellblauen Designersack, immerhin. Der ihre Brüste sehr gut zur Geltung brachte. Gerade jetzt. Wirklich eindrucksvoll, wie sie gegen das Lenkrad schlackerten, nackt und wundgekratzt. Denn der verseuchte BH hing ja vollkommen nutzlos an den Seiten herum. Irgendwann pegelte die Verzweiflung ihre Hysterie wenigstens soweit herab, dass Marge einfiel, sie müsste ja nur die Arme senken, den Pullover zurück über den Körper ziehen, den kleinen Knopf auffummeln und dann ganz bequem alles noch einmal versuchen.

      Da fragte eine sehr tiefe Stimme in ihrem Kopf: »Alles in Ordnung?«

      »Was?«

      Und vor ihrem inneren Auge erschien Marge plötzlich die ganze Szene von außen, ihre erhobenen Hände, ihre schlenkernden Brüste, ihr BH in Erdbeersorbet und ihr Gesicht, das unter dem Pullover leuchtend rot anlief, und sie begriff, dass die Stimme real war. Irgendwer hatte die Fahrertür aufgemacht.

       Okay, Marge, beruhig dich. Einfach den Pullover nach unten ziehen. Geht kinderleicht.

      Sie nahm die Hände herunter. Wollte die Hände herunternehmen. Warum ging das denn nicht? Verdammt! Irgendwo hing sie fest. Wie eine eingesponnene Fliege zappelte sie im Netz.

      »Alles gut«, sagte die Spinne. »Alles wird gut, ich helf Ihnen ja.«

      Marge glaubte das nicht. Laut quiekend zappelte sie weiter herum. Noch lauter quiekte sie, als sie schließlich von zwei kräftigen Händen gepackt wurde. Mit ein paar Handgriffen, die sie nicht richtig mitbekam, wegen der Geschwindigkeit und wegen der Panik, wurde sie aus dem peinlichsten Teil der Situation befreit. Soll heißen, der Pullover saß wieder dort, wo Pullover hingehören. Und der Kopf schaute oben heraus.

      Ein dunkelhaariger Mann in bäuerlicher Arbeitskleidung nickte ihr zufrieden zu.

      Beeindruckt nickte sie zurück: »Sie haben lebhafte Kinder, oder?«

      »Früher mal Schweine.«

      »Ja …« Verlegen wich sie seinem Blick aus. »Warum haben Sie angehalten?«

      »Sie eiern ja nun schon ‘ne ganze Weile so rum. Hin und her. Dann bleiben Sie plötzlich stehen. Vielleicht is‘ Ihnen schlecht. Hab ich mir überlegt.«

      »Danke. Das ist nett.« Das meinte sie auch so, trotzdem war sie sauer auf ihn. Weil er sie in dieser peinlichen Situation gesehen hatte. Weil sie immer noch ihre Wäsche loswerden wollte. Der Mensch sollte jetzt, bitte, wieder fahren. Weg sein. Aber er stand neben dem Wohnmobil, mit verschränkten Armen, und sah sie an. Worauf wartete er? »Sie haben doch sicher viel zu tun …«

      »Ihnen geht's wirklich gut?«

      Nein. Absolut nicht. So was von überhaupt gar nicht. »Ja, alles prima. Wirklich. Herzlichen Dank.« Sie wollte jetzt, bitte, einfach nur weiterfahren.

      »Na, wenn Sie meinen …« Er zuckte mit den Schultern und ging.

      Wo war sie hier gelandet?

      Tuckernd fuhr der Trecker davon. Bald wäre sie ihm wieder auf den Fersen, doch erst einmal sollte er ein Stück Abstand bekommen.

      Sie fummelte am Knopf des Pullovers herum, bekam ihn auf, rieb sich den Hals. Dann wartete sie noch ab, bis der Trecker kaum noch zu sehen war.

      Mit einer schnellen Bewegung zog sie den Pullover über den Kopf, riss sich den BH von ihrem Körper, öffnete das Fenster und schmiss das Scheißding hinaus. Was selbstverständlich nicht ganz korrekt war. Aber heute war überhaupt gar nichts korrekt gelaufen, und wenn dieses krätzeverseuchte Teil noch weiter mit ihr das Cockpit teilen würde, würde es sie irgendwann angreifen.

      Blödsinn.

      Trotzdem!

      Ein Wagen fuhr hupend vorbei und erinnerte Marge daran, dass sie oben ohne hier saß. Schnell schlüpfte sie wieder in den Pullover. Besser. Ein ganz kleines bisschen besser. Wenn es Dinge gab, die halfen, sich besser zu fühlen, gab es Dinge, die halfen, sich besser zu fühlen.

      Scheiße! Sie brauchte wirklich ganz dringend eine Pause. Bald wurde es dämmerig, sie war müde und schlapp. Es wäre nicht gut, noch lange mit diesem Geschoss durch die Gegend zu fahren. Stieße ihr selbst etwas zu, wäre sie nicht böse drum, aber mit so einem Schlachtschiff konnte man versehentlich ganze Dörfer plattfahren. Wenn es welche gäbe. Einfach weiterfahren? Was blieb ihr übrig.

      Nach einer Weile ging ein Feldweg rechts von der Straße ab, den wollte sie jetzt nicht mehr haben. Kurz angehalten hatte sie ja, und zum Übernachten war ihr der reine Wegesrand nicht geheuer. Also fuhr sie weiter. Begleitet von rhythmischem Magenknurren. Dringend etwas essen musste sie also auch, aber das war sicher ihr geringstes Problem. Wie sie Clemens, den Arsch, kannte, hatte er bestimmt Unmengen von Lebensmitteln in den Schränken gebunkert. Man konnte ihm nicht vorwerfen, vollständig ohne Leidenschaften zu sein. Sein Bauch wuchs kontinuierlich. Dennoch holten sich einige Patienten ernsthaft bei ihm Diät-Tipps. Obwohl sie ihn seit Jahren kannten. Seit seinen schlanken Jahren. Ja, Marge, manche Menschen glaubten alles, was man ihnen erzählte.

      Verdammt.


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