Das Geheimnis von Belle Island. Julie Klassen

Das Geheimnis von Belle Island - Julie Klassen


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      Julie Klassen arbeitete 16 Jahre lang als Lektorin für Belletristik. Mittlerweile hat sie bereits elf Romane aus der Zeit von Jane Austen geschrieben, von denen drei den begehrten Christy Award gewannen. Wenn sie nicht schreibt, liebt Klassen das Reisen und Wandern. Mit ihrem Mann und zwei Söhnen lebt sie in Minnesota (USA).

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      April 1819

      Benjamin Booker saß mit klopfendem Herzen im Gerichtssaal. Sein momentan wichtigster Fall war endlich zur Verhandlung gekommen; dies war seine große Chance, sich vor den Partnern seiner Anwaltskanzlei zu beweisen.

      Es herrschte der übliche Geräuschpegel: Auf der Galerie drängten sich die lärmenden Zuschauer und Zeitungsleute, unten saßen die Zeugen, die darauf warteten, dass sie aufgerufen wurden, während die Rechtsanwälte mit ihren weißen Perücken einander wie Boxer im Ring taxierten.

      Die glänzend polierten holzgetäfelten Wände der Großen Kammer schimmerten. Ein Kreuz schmückte die Wand hinter dem erhöhten Sitz, auf dem der Richter mit weißer Perücke und prächtiger Robe Platz genommen hatte. Zu seiner Linken saßen zwölf männliche Geschworene auf ihren in drei ansteigenden Reihen angeordneten Plätzen und lauschten der Zeugenaussage.

      Benjamin hatte als Solicitor die Laufarbeit gemacht; die Verhandlung selbst oblag nun dem Barrister, den er beauftragt hatte, vor Gericht zu plädieren. Er selbst saß auf einer Seite, etwas im Hintergrund, und sprach ein stummes Stoßgebet. Mit leichten Schuldgefühlen dachte er daran, dass er in letzter Zeit kaum noch gebetet hatte. Er war sich so sicher gewesen, dass Susan Stark die Wahrheit sagte, dass er seine gesamte Karriere und seinen Ruf vom Ausgang dieses Prozesses abhängig gemacht hatte.

      Und nun entwickelte sich das Ganze zu einem Desaster.

      Der Fall lag folgendermaßen: William Stark hatte Susan Wettenhall geheiratet, eine atemberaubende, aber mittellose Schönheit. Doch dann hatte er eine reiche Erbin mit fünftausend Pfund im Jahr kennengelernt und seinen Entschluss bereut. Da eine Scheidung nur sehr schwer bis gar nicht zu erlangen war, war er auf den Ausweg verfallen, seine Frau der Bigamie zu beschuldigen, um sie loszuwerden, und behauptete nun, sie sei bereits verheiratet gewesen.

      Doch seine Frau konnte belastende Beweise gegen ihn vorlegen: Briefe, die zwischen ihrem Mann und der Erbin, die er heiraten wollte, gewechselt worden waren; Zeugen, die die beiden bei heimlichen Zusammenkünften beobachtet hatten; ja, es gab sogar eine Zeitungsanzeige, die Mr Stark aufgegeben hatte und in der er einer gewissen Jane Wilson – ein sehr verbreiteter Name – eine Belohnung bot, wenn sie bereit war, im Prozess auszusagen.

      Benjamin selbst hatte den Pfarrer befragt, der Mr und Mrs Stark im Jahr zuvor getraut hatte. Es schien alles korrekt gewesen zu sein. Dennoch hatte er seine ganze Überredungskraft aufbieten müssen, um einen eingetragenen Barrister dafür gewinnen zu können, die angeklagte Ehefrau vor Gericht zu vertreten. Mr Sullivan hatte sich anfangs geweigert, doch nachdem Ben ihm hoch und heilig versprochen hatte, dass sie erfolgreich sein würden, hatte er das Mandat übernommen.

      Mr Knowles, der Strafverfolger, hatte als ersten Zeugen den Kirchendiener der St.-James-Kirche am Piccadilly Circus, wo angeblich Susans erste Ehe geschlossen worden war, aufgerufen.

      Der Geistliche legte dem Gericht ein Heiratsregister vor, das einen Eintrag über die Eheschließung eines Enos Redknap mit einer Sukey Hall enthielt. Der Name klang ähnlich wie Mrs Starks Mädchenname, war aber nicht derselbe. Der Kirchendiener gab zu, dass er sich nicht an die beiden Ehekandidaten erinnern und auch die Angeklagte nicht identifizieren konnte.

      Das schien ein guter Anfang gewesen zu sein.

      Doch dann hatte eine zweite Zeugin, eine Mrs Pruitt, geborene Jane Wilson, die Angeklagte als Sukey Hall identifiziert und angegeben, bei der Hochzeit zugegen gewesen zu sein.

      Sullivan, auf diese Möglichkeit vorbereitet, hatte sie gefragt: »Kann irgendjemand beweisen, dass Sie die Jane Wilson sind, die in dem Heiratsregister unterschrieben hat?«

      »Mein Mann und meine Schwester können meinen Mädchennamen bezeugen.« Die Zeugin berührte das vor ihr liegende Register. »Und dass das mein Name ist, der in diesem Buch steht, kann ich mit meiner Handschrift beweisen.«

      Die Frau wirkte sehr überzeugend. Benjamin hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl; ihm wurde schwindelig. Reiß dich zusammen, Booker, ermahnte er sich.

      Sullivan hielt die Anzeige hoch, die Mr Stark aufgegeben hatte, und fragte die Zeugin, ob sie ein Entgelt für ihre Zeugenaussage erhalten habe. Sie verneinte, doch Benjamin hoffte, dass die Geschworenen das bezweifelten.

      Als Nächste sagte eine ehemalige Herbergswirtin aus. Nun lief der Fall völlig aus dem Ruder. Auch sie identifizierte Mrs Stark als die frühere Sukey Hall. Sie war zwar nicht bei der Hochzeit selbst zugegen gewesen, hatte jedoch danach in ihrem Haus, wo Miss Hall damals logierte, mit ihr auf die Eheschließung angestoßen.

      Benjamin spürte, wie Sullivan ihm einen schockierten, zornigen Blick zuwarf, doch er sah verbissen geradeaus, obwohl sein Magen sich schmerzhaft verkrampfte. Sollte er sich tatsächlich in seiner Klientin geirrt haben? Einen so schwerwiegenden Fehler würden seine Partner ihm nicht verzeihen. Und schlimmer noch, wenn er seine Anstellung verlor, würde er sich sein Leben lang von seinem Vater anhören müssen: »Ich hab's dir ja gesagt!«

      Mrs Stark protestierte auf der Anklagebank: »Bekommen Sie auch einen Anteil von den fünftausend, Madam? Bestimmt!«

      »Leider nicht, meine Liebe«, antwortete die ältere Frau unbekümmert. »Ich bin im Moment so gut wie pleite.«

      Sullivan stellte der älteren Zeugin ein paar Fragen, in der Hoffnung, ihr einen Fehler in ihrer Erinnerung nachweisen zu können, doch die Achtzigjährige war geistig noch hellwach.

      Dann betrat Mr Stark selbst den Zeugenstand.

      »Sehen Sie die junge Frau an, die hier vor Gericht steht«, forderte Knowles ihn auf. »Haben Sie sie geheiratet?«

      »Ja, am sechsten April letzten Jahres.«

      »Hat ihr erster Mann zu diesem Zeitpunkt noch gelebt?«

      »Ja – und er lebt auch heute noch. Ich habe allerdings erst kürzlich von seiner Existenz erfahren.«

      »Wie gelangten Sie zu dieser Erkenntnis, die der Verteidigung ganz offensichtlich nicht zur Verfügung stand?« Knowles warf Sullivan einen tadelnden Blick zu. Der starrte erneut Benjamin an.

      »Mein Vater war misstrauisch. Er hat einen Mann aus der Bow Street beauftragt, Nachforschungen über seine neue Schwiegertochter anzustellen. Dieser Mann fand heraus, dass ich auf eine Frau hereingefallen war, die bereits verheiratet war.« Bei diesem Geständnis wurde Mr Stark rot. »Sie hat mich hinters Licht geführt.«

      Susan sah den Richter flehend an. »Gott ist mein Zeuge, dass ich Mr Stark niemals um einen einzigen Farthing gebeten habe. Er beschwor mich unablässig, ihn zu heiraten. Er wusste, wer ich war, und ich hatte kein Geheimnis vor ihm. Und er hat mich trotzdem geheiratet.«

      Da! Das war praktisch ein Geständnis. Ben wurde übel, als er begriff, dass die Frau ihm schamlos ins Gesicht gelogen und er ihr jedes falsche Wort geglaubt hatte.

      Mr Stark sah sie an und sagte kühl: »Wenn irgendjemand von Ihnen tatsächlich glaubt, ich hätte wissentlich eine bigamistische Ehe mit einer leichtfertigen


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