Das Geheimnis von Belle Island. Julie Klassen

Das Geheimnis von Belle Island - Julie Klassen


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Bürger! Höchst uneigennützig von Ihnen. Selbstverständlich hatten Sie keinerlei Hintergedanken, vielleicht einen wohlhabenden neuen Klienten zu gewinnen oder einen lukrativen Fall zu ergattern?«

      »Ganz und gar nicht!«

      »Kennen Sie das Opfer?«

      Hardy nickte. »Percival Norris war ein Gründungsmitglied unserer Kanzlei. Er hat sich im Laufe der letzten Jahre allerdings fast ganz aus dem Geschäft zurückgezogen, da seine Tätigkeit für den Wilder-Besitz fast seine ganze Zeit in Anspruch genommen hat.«

      Das Hausmädchen verdrehte die Augen, als es das hörte, doch außer Benjamin schien es niemand zu bemerken.

      Officer Riley drehte sich zu den drei Bediensteten um, die beim Kamin standen – die noch immer in Tränen aufgelöste Haushälterin, der gleichmütige ältere Hausknecht und das aufmerksame Hausmädchen.

      Er begann mit der Haushälterin, die den Toten gefunden hatte.

      »Wie sind Sie mit Ihrem Herrn ausgekommen?«

      »Er war nicht mein Herr – nicht wirklich. Miss Rose Lawrence ist meine Herrin und vor ihr war das ihr Großvater, Mr Wilder – Gott hab ihn selig. Mr Norris war nur der Verwalter und Vormund von Miss Rose.«

      »Sie mochten ihn also nicht?«

      »Nein.« Mrs Kittleson warf einen raschen Blick zu dem Hausdiener hinüber. »Ich glaube, nur Marvin hat ihn wirklich gemocht.«

      Der ältere Mann antwortete mit schnarrender Stimme: »Es ging so. Er hat hin und wieder ein Glas mit mir getrunken und mir immer rechtzeitig meinen Lohn ausgezahlt. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen.«

      Der Beamte wandte sich an das junge Hausmädchen, die Brauen erwartungsvoll hochgezogen, den Stift in der erhobenen Hand.

      Sie fuhr bereitwillig fort: »Ich bin erst seit einem Jahr hier. Ich mache meine Arbeit und halte mich raus.«

      Der Hausknecht Marvin grunzte. »Hältst das Ohr ans Schlüsselloch, meinst du.«

      Der Beamte ignorierte das und fragte: »Keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen, stimmt das?«

      »Ja«, antwortete die Haushälterin. »Die Hintertür war unverschlossen. Sie führt in den Garten, nicht auf eine öffentliche Straße. Das machen wir schon jahrelang so. Ich hätte nie gedacht …« Wieder kamen ihr die Tränen und sie presste hastig ihr Taschentuch abwechselnd an das linke und an das rechte Auge.

      »Haben Sie irgendjemanden hereinkommen hören oder gesehen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Da müssen Sie Mary fragen. Marvin und ich waren gar nicht hier. Wir haben das Haus um vier Uhr nachmittags verlassen und sind zu einer kleinen Feier bei den Adairs in der York Street gegangen. Mr Norris hat uns extra dafür freigegeben – das war übrigens das einzige Mal, dass er uns gegenüber nett war. Aber immerhin war es die Verlobungsfeier unserer Miss Rose.«

      Der Beamte verzog ungläubig den Mund. »Sie und Marvin waren zu einer Feier bei ihrer Herrschaft eingeladen?«

      »Nicht als Gäste. Aber ich kenne die Köchin dort und habe angeboten, ihr zu helfen. Sie war sehr dankbar und hat uns daraufhin zum Dinner für die Dienstboten eingeladen. Es gab sogar Kuchen und Champagner. Wir haben auch heimlich einen Blick in den Festsaal geworfen und unser wunderschönes Mädchen bewundert. Sie sah schöner aus als je zuvor. Und sie hat ihrer verstorbenen Mutter, Gott hab sie selig, so ähnlich gesehen!« Sie schnäuzte sich in ihr Taschentuch.

      »Miss Lawrence ist noch nicht wieder zurück?«

      »Nein.«

      »Dann werde ich sie später befragen.«

      Als Nächstes wandte der Beamte sich an das Hausmädchen. »Aber zuerst – waren Sie den ganzen Abend hier, Miss?«

      »Nein.«

      »Wo waren Sie?«

      Das Mädchen zuckte die Achseln. »Ich war mit meinem Verehrer aus, wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Der Alte hat uns heute Abend freigegeben und ich hatte keine Lust, mich an einem freien Abend für die feinen Pinkel abzuschuften.«

      Die Haushälterin runzelte die Stirn. »Hüte deine Zunge, Mary. So spricht man nicht über die Herrschaften.«

      »Die verdienen auch nicht mehr Respekt als ich. Und was den Alten betrifft, sogar weniger. Er hat bekommen, was er verdient, das ist meine Meinung.«

      »Wie meinen Sie das?«, fragte Riley.

      Erneut das verächtliche Schulterzucken. »Nur, dass es wohl keinen gibt, der es mehr verdient hätte.«

      Der junge Wachtmeister wandte ein: »Meiner Ansicht nach war es ein Dieb, der die Gelegenheit der unverschlossenen Tür ausgenützt hat. Das Haus wirkte verlassen, deshalb ist er eingedrungen, in der Hoffnung auf ein paar wertvolle Stücke, und wurde dabei von Mr Norris überrascht. In dieser Gegend kam es in letzter Zeit zu mehreren Einbrüchen.«

      Riley überlegte. »Fehlt irgendetwas aus dem Büro?«, fragte er.

      Die Haushälterin schüttelte den Kopf. »Mir ist nichts aufgefallen. Aber was seine Papiere und das angeht, kenne ich mich natürlich nicht aus.«

      »Und sonst im Haus?«

      »Ein paar von den Silbersachen scheinen zu fehlen – ein Krug und zwei Armleuchter, soweit ich bis jetzt sehen kann. Ich muss aber noch die Bestandslisten durchgehen.«

      »Dann tun Sie das bitte«, sagte Riley. »Im Büro liegt ein zerbrochenes Glas auf dem Boden. Pflegte Mr Norris mit Gläsern zu werfen? Vielleicht, wenn er … aufgebracht war?«

      »Nein, Sir« antwortete Mrs Kittleson.

      Das Hausmädchen fügte hinzu: »Aber er hat uns angeschrien und beschimpft, wenn er sich über etwas geärgert hat, nüchtern oder nicht. Und jetzt – wo Sie es erwähnen – ich habe, als ich hinausging, gehört, wie ein Glas zerbrach, habe aber nicht gewartet, bis man mich rief, um sauber zu machen. Ich war schon in Ausgehkleidung und mein Verehrer stand draußen vor der Tür.«

      »Ah ja. Ich brauche noch den Namen des betreffenden Gentlemans; er muss mir bestätigen, wo Sie waren.«

      Mary schnaubte. »Gentleman. Ha! Guter Witz. Das erzähle ich ihm. Der wird lachen!«

      Der Beamte runzelte die Stirn und schrieb den Namen und die Adresse des Mannes in sein Notizbuch.

      Benjamin warf ein: »Mir ist aufgefallen, dass die Karaffe auf dem Schreibtisch leer war.«

      »Wir hatten keinen Gin mehr«, erklärte der Hausknecht. »Ich war – äh – nicht dazu gekommen, welchen zu kaufen.«

      »Der Leichenbeschauer hat Orangenduft an dem Verstorbenen wahrgenommen«, fuhr Benjamin fort.

      »Ich habe ihm keine Orangen serviert«, meinte die Haushälterin verwirrt.

      »Keinen … Orangenwein?«

      Marvin schien zu zögern. »Nun, es war Wein in …«

      »Er zog Gin vor«, fiel die Haushälterin ihm ins Wort. »Aber zur Not hat er alles getrunken, oder, Marvin?«

      Der sah sie einen Moment an, dann nickte er langsam. »Das stimmt.« Wieder zögerte er. »Steht eine … Weinflasche im Zimmer?«

      »Nein.«

      »Ah. Na dann …« Er zuckte die knochigen Achseln. »Dann muss ich mich wohl irren.«

      In Bezug worauf?, fragte sich Benjamin stirnrunzelnd, doch der Beamte kritzelte etwas in sein Notizbuch und wechselte dann sofort das Thema.

      »Die nächstliegende Frage lautet: Wer könnte von Mr Norris' Tod profitieren? Wer ist sein Erbe?«

      Die Dienstboten wechselten ratlose Blicke. Mr Hardy sagte: »Ich glaube, Miss Lawrences unverheiratete Tante, Isabelle Wilder, war ursprünglich


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