Das Geheimnis von Belle Island. Julie Klassen

Das Geheimnis von Belle Island - Julie Klassen


Скачать книгу
möchten.«

      »Ich gehe sie selbst durch, vielen Dank«, antwortete der Beamte kühl.

      »Verstehe. Aber Sie haben schließlich gefragt«, sagte Hardy.

      Officer Riley kratzte sich hinter dem Ohr und runzelte unsicher die Stirn. »Wahrscheinlich wären die Unterlagen nur juristisches Kauderwelsch für mich. Es kann wohl nicht schaden. Aber erst, wenn der Leichenbeschauer hier fertig ist. Und Sie müssen mir sofort Bescheid geben, wenn Sie etwas finden, das in Zusammenhang mit seinem Tod stehen könnte.«

      »Natürlich. Darum geht es ja schließlich.«

      Der Beamte blickt auf und hob seinen Stift. »Und wo ist Isabelle Wilder jetzt?«

      Mrs Kittleson antwortete: »Auf Belle Island. Dem Landgut der Wilders in Berkshire.«

      »War sie kürzlich hier zu Besuch?«

      »Gute Güte, nein!«, rief die Haushälterin. »Miss Isabelle war seit Jahren nicht mehr in London. Was für ein Gedanke!«

      Der Beamte drehte sich wieder zu Mr Hardy. »Besteht Grund für die Annahme, diese Miss Wilder, abgesehen von der Erbschaft, zu verdächtigen?«

      Bevor Hardy antworten konnte, sprang die Wohnzimmertür auf und eine junge Frau im Abendkleid stürmte ins Zimmer. Helle Seide umwehte ihre Gestalt, ihr hellbraunes Haar war zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmt. Erschrocken über den Anblick der vielen Menschen machte sie abrupt einen Schritt rückwärts und stieß dabei mit dem jungen Mann zusammen, der hinter ihr das Zimmer betreten wollte. Er streckte beide Hände aus, um sie zu stützen, und warf ihr einen besorgten Blick zu, bevor er den Rest der Anwesenden musterte. Hinter ihm trat eine weitere, aber ältere Frau in Schwarz ein. Miss Lawrences Gesellschafterin oder Gouvernante, vermutete Benjamin.

      »Was geht hier vor?«, fragte der Gentleman. Er trug Abendkleidung, war schlank, hatte helle, sommersprossige Haut und war fast genauso hübsch wie seine Begleiterin.

      Officer Riley ignorierte ihn und fragte: »Miss Lawrence?«

      »Ja«, antwortete die jungen Frau. »Und das ist mein Verlobter, Mr Adair. Und Miss O'Toole.« Als sie den Seniorpartner erkannte, sagte sie: »Oh, guten Abend, Mr Hardy. Ich habe Sie gar nicht gesehen. Wollten Sie Onkel Percy besuchen?«

      »Diesmal nicht.« Er hielt inne und fügte behutsam hinzu: »Er ist leider verstorben, meine Liebe.«

      Ihre behandschuhte Hand fuhr erschrocken zum Mund.« »Oh nein! Ist er im Schlaf gestorben?«

      Hardy schüttelte den Kopf. »Im Büro.«

      Der Beamte fügte hinzu: »Er wurde getötet. Vielleicht von einem Eindringling.«

      »Getötet?« Ihre dunklen Augen wurden groß.

      »Während wir auf dem Fest waren«, bemerkte Mr Adair. »Wie tragisch.«

      Die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen. »Onkel Percy hätte mit uns kommen sollen. Ich hatte ihn so darum gebeten.« Sie schüttelte den Kopf. »So überfallen zu werden, im eigenen Haus. Hat ihn jemand erschossen oder …?«

      »Erschlagen«, antwortete der Beamte.

      Miss Lawrence zuckte zusammen, dann fragte sie: »War er … betrunken?«

      »Das wissen wir noch nicht. Warum?«

      »Ich denke, nun ja, ich hoffe, dass er bewusstlos war, als er gestorben ist. Dass er keine Schmerzen hatte.«

      »Der Leichenbeschauer hat keinen Gin-Geruch an dem Mann wahrgenommen. Nur Orangen, auch wenn die Haushälterin dabei bleibt, dass sie ihm nichts dergleichen serviert hat«, erklärte Officer Riley kühl.

      Rose warf dem jungen Mann, der hinter ihr stand, einen bedeutungsvollen Blick zu, den er erwiderte. Sie wollte etwas sagen, doch er fasste sie am Arm.

      Der Beamte, der gerade wieder etwas in sein Notizbuch kritzelte, bemerkte die kleine Szene nicht, aber Benjamin und Mr Hardy hatten es gesehen und wechselten ebenfalls einen vielsagenden Blick.

      »Jetzt versuchen Sie mal, sich zu erinnern«, forderte der Beamte die Hausangestellten auf. »Hat einer von Ihnen etwas gehört oder gesehen, das von Bedeutung sein könnte?«

      Das Hausmädchen trat vor. »Ich habe gehört, wie er sich mit jemandem gestritten hat, bevor ich aus dem Haus ging, aber ich habe nicht an der Tür gestanden und habe gehorcht, ganz gleich, was manche Leute von mir denken.« Sie warf dem Hausknecht einen vorwurfsvollen Blick zu.

      »War das, bevor oder nachdem Sie das Glas splittern hörten?«

      »Kurz davor.«

      »Wissen Sie, mit wem er gestritten hat?«

      Der Blick des Mädchens wanderte durchs Zimmer, dann sah sie wieder ihren Befrager an. »Ich … nein, Sir. Ich habe nicht gehört, dass er einen Namen genannt hätte.«

      Hatte sie Mr Adair angesehen oder hatte Benjamin sich getäuscht?

      Der Beamte hatte nichts bemerkt und wandte sich als Nächstes an die würdevolle ältere Dame in Schwarz. »Sind Sie ebenfalls ein Hausmädchen?«

      Die Frau versteifte sich und antwortete unwillig: »Ich bin Miss Lawrences frühere Gouvernante und gegenwärtig Gesellschafterin und Anstandsdame.«

      »Ah. Und hatten Sie etwas gegen Percival Norris?«

      »Mir gefiel nicht, wie er meine junge Herrin behandelte. Aber sonst gab es nichts, nein.«

      Officer Riley sah die Anwesenden der Reihe nach an. »Kennen Sie irgendjemanden, der Grund hatte, Mr Norris etwas anzutun? Der ihn womöglich lieber tot sehen wollte?«

      Die Menschen im Raum wechselten betretene Blicke. Schließlich sagte Miss Lawrence: »Vermutlich nur ich.«

      »Rose …«, warnte Mr Adair sie leise.

      »Warum soll ich es nicht sagen? Die Dienerschaft wird es ohnehin erzählen. Er soll es lieber von mir hören.«

      Sie wandte sich an Officer Riley. »Ich war wütend auf ihn, das ist kein Geheimnis. Er legte mir ein Hindernis nach dem anderen in den Weg. Er wollte nicht, dass ich Mr Adair heirate, kürzte mein Taschengeld und verlangte einen völlig widersinnigen Ehevertrag. Ich hatte also durchaus Grund, ihm böse zu sein. Aber ich habe ihm nichts getan. Ich hätte es auch nicht tun können, selbst wenn ich gewollt hätte. Seit dem Nachmittag war ich bei den Adairs – wir sind gerade eben erst von dem Fest nach Hause gekommen.«

      Ihre ältere Gesellschafterin nickte. »Das stimmt. Ich war die ganze Zeit mit ihr zusammen.«

      »Ich auch«, ergänzte Mr Adair.

      Miss O'Toole warf ihm einen empörten Blick zu. »Nicht mit ihr, Mr Adair! Achten Sie auf Ihre Worte, Sie vermitteln den Männern ja ein völlig falsches Bild.«

      »Natürlich nicht während sie sich zum Essen umkleidete, aber mit ihr im Haus. Ich verbrachte die Zeit mit meinem Vater und einer schönen Flasche Bordeaux und hörte mir seine Ratschläge für eine lange und erfolgreiche Ehe an.« Sein liebevoller Blick ruhte auf Miss Lawrence; er nahm ihre Hand.

      »Wissen Sie vielleicht von jemandem, der einen Groll gegen Mr Norris hegte?«, fragte Officer Riley.

      »Du meine Güte«, antwortete Miss Lawrence, »ich glaube, es gibt nicht viele Menschen, die ihn mochten. Verzeihung, Mr Hardy. Ich weiß, dass er Ihr Freund und Geschäftspartner war. Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass ihm wirklich jemand etwas angetan hat. Außer …«

      »Außer?«

      Sie runzelte die Stirn. »Kürzlich war ein Geschäftsmann hier. Die Tür war geschlossen, deshalb habe ich ihn nicht gesehen, aber ich habe ihn gehört. Er war ganz eindeutig sehr verärgert und hat die Stimme erhoben.«

      »Worüber war er verärgert?«

      »Er wollte, dass Onkel Percy in irgendetwas investierte.


Скачать книгу