Helvetia 1949. Philipp Gurt
können, und deswegen wird keiner gleich zum Mörder gestempelt. Und ausserdem bin ich meines Wissens dem Mann noch nie begegnet.» Caminadas Stimme blieb fest und ruhig. Er würde sich bei seinen Ermittlungen niemals einen Maulkorb aufbinden lassen, dafür war sein Rückhalt im gesamten Korps zu gross und sein Gerechtigkeitsempfinden zu stark ausgeprägt.
Das schien auch der Major wieder zu begreifen, obwohl sein Gesichtsausdruck noch immer zornig blieb. «Respektvoll und diskret, wenn es denn schon ums Verrecken sein muss. Aber diese Woche kümmert ihr euch um das Eidgenössische wie schon lange geplant. Wir brauchen jeden verfügbaren Mann für einen gelungenen Auftakt. Denkt daran, die ganze Eidgenossenschaft blickt auf Chur! Vernehmen könnt ihr den auch danach.» Er drehte sich von den beiden ab, und Caminada und Marugg verliessen sein Büro.
Die nächsten beiden Tage reisten immer mehr Schützenvereine an, bis sich am Mittwoch das Städtchen mit derart viel Volk gefüllt hatte, dass es aus allen Nähten platzte.
Chur war tatsächlich bereit, als am Donnerstag, dem 23. Juni, ein weiterer schwülheisser Morgen anbrach.
Das kleine Städtchen hatte sich so schön für das grosse Fest herausgeputzt, als wäre es eine Braut, und prangte in reichem Festschmuck der Blumen, Girlanden, Fahnen, Bänder und Standarten, dass es kaum wiederzuerkennen war.
Mit dem feierlichen Einzug der eidgenössischen Fahne setzte sich der riesige Umzug, bestehend aus allen Schützenverbänden und Ehrengästen, kurz vor Mittag in Bewegung. Hinter dem Fahnenträger folgten in den Trachten ihrer jeweiligen Heimatkantone die Blumensträusse tragenden Ehrendamen, die ihr Lachen der ganzen Welt zu verschenken schienen. Aus allen Regionen und Tälern der Schweiz und sogar aus der ganzen Welt waren die Schützen angereist. Unter dem stahlblauen Himmel Graubündens marschierten sie gemeinsam im Fahnenmeer durch die engen Gassen, während die Churer freudig Blumen streuten und ihnen zujubelten. Eine Kapellenformation nach der nächsten zog im Freudentaumel an den Zuschauern vorüber.
Reden wurden auf den einzelnen Plätzen gehalten, immerhin lag ein verheerender Weltkrieg zwischen dem letzten und dem jetzigen Eidgenössischen: Würde, Vaterland und der Zusammenhalt des stolzen und gwehrigen Schwyzerländlis wurden hochgehalten. Nach dem Schlussapplaus verteilten sich die Massen in den Gassen und Strassen, bis die Fahne feierlich den Weg aus dem Städtchen hinunter zum Rossboden fand, wo der riesige geschmückte Festplatz wie mit offenen Armen für die Menge bereitstand.
Doch es zeigte sich schnell das erste grosse Problem: Eine erschreckend lange Kolonne von Automobilen staute sich von der Stadt hinunter zur neuen Schützenstrasse am Rossboden und auf dieser weiter bis vor die Tore des Festes.
Rasch mussten deshalb mehrere Bauern davon überzeugt werden, dass sie die angrenzenden Wiesen in aller Eile mähten, damit die Fahrzeuge dort abgestellt werden konnten – per Handschlag wurde eine grosszügige Abschlagszahlung dafür abgemacht. Ein Hilfspolizeimann hatte bis zum Ende des Tages über achttausend Automobile, darunter auch viele dieser neuen Autocars, gezählt, in denen bis zu fünfundzwanzig Personen Platz fanden. Viele der Besucher schenkten auch dem riesigen Meer aus Automobilen fassungslose Blicke. Väter mit ihren Kindern an den Händen liefen staunend durch die in Reih und Glied parkierten Wagen.
Doch das tat der Feststimmung keinen Abbruch. In den überfüllten Festzelten wurde gegessen und getrunken und alte Freundschaften neu und neue frisch begossen, während die Musik fröhlich aufspielte.
Dass nur fünf Tage zuvor ein grausamer Mord in Chur geschehen war, wurde bloss hie und da an wenigen Tischen kurz zum Thema. Der weit gerühmte Geist des Schützenfestes umgab einen jeden und eine jede und liess den Alltag vergessen.
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