Falsches Spiel in Brodersby. Stefanie Ross
Andrea wieder ernst. »Ich weiß zwar nicht, was Paul Winkler vorhat, aber ich traue ihm nicht. Und jetzt, wo ich weiß, wer er ist, bin ich sicher, dass er den Resthof zu einem ganz bestimmten Zweck gekauft hat. Und den müsst ihr rausfinden!«
Kapitel 6
Markus König, Oberkommissar im Wirtschaftsdezernat des LKA Kiel, betrachtete unschlüssig die gut zwanzig Zentimeter dicke Akte, die von einem grauen Paketband gerade so zusammengehalten wurde. Obwohl er seinen Job eigentlich liebte, widerstrebte es ihm, die Verschnürung zu lösen und sich mit den Trickbetrügern zu beschäftigen.
Der Grund dafür war einfach: Der Fall war aufgeklärt, es mussten nur noch gefühlt Hunderte Formalitäten für die Staatsanwaltschaft erledigt werden. Und dazu hatte er definitiv keine Lust! Er liebte die Jagd auf Verbrecher und die Suche nach Unstimmigkeiten in Firmenzahlen, aber genauso inbrünstig hasste er diese Seite seines Jobs.
Seufzend lehnte er sich zurück und gähnte. Die Nacht war entschieden zu kurz gewesen und das lag leider nicht an seinem Lebensgefährten, sondern an seiner Nebentätigkeit als Bassist und Sänger in einer Band. Allmählich kollidierten seine beiden Jobs immer heftiger. Und das hieß dann ständige Müdigkeit, schließlich hatte Bjarne auf Dauer kein Interesse an einem Partner, der die gemeinsame Zeit schlafend im Bett verbrachte.
Markus’ Stimmung hob sich bei dem Gedanken an Bjarne. Mittlerweile wohnten sie schon fast zusammen in seiner Wohnung. Bjarne war nur noch zum Wäschewechseln in seinem eigenen Apartment. Ein Teil von ihm konnte es nicht fassen, dass dieser gut aussehende, durchtrainierte Mann Interesse an ihm hatte. Er war eher hager, seine sportlichen Fähigkeiten hielten sich in engen Grenzen, das galt auch für seine Trefferquote am Schießstand und seine Nahkampfkenntnisse – alles Dinge, in denen Bjarne als Mitglied einer Spezialeinheit hervorragend war. Rein äußerlich konnte der Unterschied zwischen ihnen nicht größer sein. Bjarne war groß und muskulös, kleidete sich sportlich lässig und wenn es darauf ankam, stand ihm auch ein Sakko hervorragend. Auf der anderen Seite Markus, der wusste, dass ihn einige Kollegen wegen seiner weißblond gefärbten Haare, den Totenkopfohrringen und den Heavy-Metal-T-Shirts »LKA-Punk« nannten. So ganz unrecht hatten sie damit nicht, er war eine auffällige Erscheinung und eckte gerne mal durch seine offene Art an.
Nachdenklich drehte er einen Bleistift zwischen den Fingern. Bisher hatten Bjarne und er im Kollegenkreis wenig anzügliche Bemerkungen abbekommen. Vielleicht lag das daran, dass kaum jemand so bescheuert gewesen wäre, sich mit dem beliebten stellvertretenden Leiter des besten MEK-Teams anzulegen, oder die Zeiten waren für Männer, die Männer liebten, tatsächlich besser geworden.
Es klopfte zweimal laut an der Bürotür und Martin Harms, Leiter des Kieler MEK und damit Bjarnes oberster Vorgesetzter, stürmte ins Zimmer, ehe Markus etwas sagen konnte.
»Ah, sehr schön, dass dein Kollege nicht da ist und wir das Büro für uns haben. Wir müssen uns unterhalten.«
»Ist was mit Bjarne?«, fragte Markus sofort und sein Puls raste plötzlich.
Martin runzelte die Stirn. »Nein, natürlich nicht. Die Jungs sind nur im Training. Ohne Jörg halte ich die von Einsätzen fern, so lange wie möglich.«
»Wenn es um Bjarne und mich geht, dann …«
»Sag mal, spinnst du? Oder ist das wieder einer von deinen völlig übertriebenen und überflüssigen Komplexen?«
Nicht nur wegen des scharfen Tons spürte Markus mit einem Mal eine deutliche Wärme in den Wangen. Vermutlich lief er gerade rot an. Musste denn Bjarnes Chef auch in die Kerbe schlagen? Exakt das warfen ihm seine Freunde oft genug vor.
Martin sah ihn amüsiert an und ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen, auf dem sonst Markus’ Kollege saß. »Was du und Bjarne macht, geht mich nichts an. Ansonsten freue ich mich für zwei Kollegen, wenn sie glücklich sind, und erwarte eine Einladung, wenn ihr eure Beziehung legalisiert. Sonst noch was?«
Es war Zeit für einen Themenwechsel! »Äh, nein. Was ist denn los?«
»Das frage ich dich! Ich habe eben eine sehr interessante Mail erhalten. Leider ist der Absender nicht genau feststellbar, derjenige sitzt irgendwo im Verteidigungsministerium, mehr bekommt man über ihn nicht raus.«
Markus’ Gedanken überschlugen sich, dann nahm die Erinnerung an eine Bemerkung seines Cousins konkrete Formen an. »Das könnte vom Militärischen Abschirmdienst stammen. Ich meine, Mike hat mal erwähnt, dass die so auftreten, damit man nicht sofort drauf kommt, wo der Absender sitzt.«
»Verdammt, genau das hatte ich befürchtet und wollte ich nicht hören! Bist du sicher?«
Markus überlegte kurz, wo sich sein Cousin, der beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr tätig war, gerade aufhielt. »Ich kann ihn anrufen. Der ist auch nur im Training.«
»Nicht nötig. Eine Mail und eine Antwort im Laufe des Tages reichen.«
Wie überaus großzügig … »Und was wollten die von dir?«
Jeder Anflug von Humor verschwand aus Martins Miene. »Eine Einschätzung von Jörg, ein paar Fragen zu seiner Akte und dazu ein paar gezielte Fragen zu einem gewissen Landarzt. Da interessiert sich jemand insbesondere dafür, ob und inwieweit Jan bei uns mitgemischt hat.«
Mit offenem Mund starrte Markus sein Gegenüber an. »Holy shit! Wo sind die beiden da reingeraten?«
Martin zielte mit einem Zeigefinger auf Markus’ Brust. »Genau das wollte ich von dir erfahren! Bjarne wusste nichts. Oder er wollte nichts wissen. Und darum will ich jetzt von dir hören, was da los ist.«
»Nichts«, wehrte Markus ab und prompt wurde Martins Blick drohend. »Ich meine, nichts, das die Einmischung des MAD rechtfertigen würde. Warte, ich zeig’s dir.« Statt sich mit dem lahmen Internet aufzuhalten, das auf ihren Dienstrechnern zugänglich war, öffnete Markus einen Artikel der Eckernförder Zeitung auf seinem Smartphone und reichte Martin das Telefon. »Hier. Lies.«
»Phosphorfund in Brodersby?«, fragte Martin, obwohl die Überschrift eindeutig war.
»Ja. Jan und Jörg waren mit den Hunden an der Steilküste. Ein Kind hat einen angeblichen Bernstein gefunden und Jan hat Erste Hilfe geleistet, als sich der Mist entzündet hat. Das ist alles.«
Damit blieb Markus dicht bei der Wahrheit, denn Jans Frage, ob es einen Markt für alte Weltkriegswaffen gab, die im Meer versunken waren, unterschlug er lieber. Er hatte das für ausgeschlossen gehalten, aber nun würde er weitere Informationen einholen – sobald Martin verschwunden war. Trotzdem verstand er nicht, was der Militärische Abschirmdienst damit zu tun hatte und wieso sich die für Jörg und Jan interessierten. Da er jedoch nicht einmal genau wusste, wofür der Geheimdienst zuständig war, konnte er keine Antwort aus dem Hut zaubern. Wenn Martin gegangen war, würde er seinem Kollegen die Akten auf den Tisch packen und sich mit diesem Thema beschäftigen. Eigentlich tat er damit sogar noch ein gutes Werk, denn sein Kollege sollte sich nach der zweiwöchigen Grippepause keineswegs überanstrengen und damit war die Aktenarbeit perfekt für ihn.
So unschuldig wie möglich erwiderte Markus den forschenden Blick, der nach wie vor auf ihn gerichtet war.
»Was hast du denen geantwortet?«, erkundigte er sich.
»Dass sie gerne persönlich vorbeikommen können und ich ihnen nach entsprechender Prüfung ihrer Legitimation für Auskünfte zur Verfügung stehe.«
Markus lachte. »Also die formelle Variante von ›Ihr könnt mich mal‹.«
»Ganz genau. Ich erwarte, dass du mich auf dem Laufenden hältst, wenn sich die beiden wieder in hochexplosive Sachen einmischen.« Martin runzelte die Stirn. »Sag mal, dieses Phosphorzeug, gibt’s dafür einen Markt?«
Markus rollte mit den Augen. »Das haben mich Jan und Jörg schon gefragt. Soweit ich weiß, nicht, aber ich werde der Sache noch mal genauer nachgehen.«
Martin tippte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum und stand dann auf. »Wenn du das tust, hast du Probleme mit den Zuständigkeiten. Was hältst du