Kopflos am Aasee. Christoph Güsken
und ihren Plastikmüll hinterlassen.« Also hatte er kurzfristig umgeplant und war an die Küste gezogen. Hatte in Hai-Käfigen getaucht. »Da gibt’s sogar große Weiße«, berichtete Detlev stolz. »Die kommen dir so nah, du brauchst nur den Arm auszustrecken. Da wird’s dir schon anders.«
De Jong, der keine Lust verspürte, Detlev seine Bewunderung für dessen Kaltschnäuzigkeit auszusprechen, suchte stattdessen nach einer entsprechend giftigen Erwiderung, aber ihm fiel keine ein. Also schwieg er.
»Hey, was ist los mit dir, Niklas? Du wirkst heute irgendwie angespannt.«
»Angespannt?«
»Brummig geradezu.«
De Jong warf ihm einen warnenden Blick zu, woraufhin Rickelrath auf ein drittes Adjektiv verzichtete.
»Übrigens haben sie frühlingshafte Temperaturen vorhergesagt.« Das war einer von Detlevs Stärken: Launische Stimmungen perlten wirkungslos an ihm ab. Weil er sie eben überhaupt nicht bemerkte, hatte de Jong anfangs vermutet, aber inzwischen war er davon überzeugt, dass Rickelrath einfach nichts übelnahm. Dazu wirkte er einfach zu fit und zu naturverbunden. Ein wirklich edler Zug, der de Jong aber dummerweise noch neidischer und übellauniger machte.
»Also, ich bin dann auch schon wieder weg.« Rickelrath winkte ihm zu, während er von Bord stapfte. »Muss noch ein paar Sachen besorgen. In zwei Tagen geht mein Flug. Katmandu. Himalaya.«
»Na dann«, sagte de Jong. »Reisende soll man nicht aufhalten.«
Detlev stoppte und drehte sich noch einmal um. »Na ja, soll ich ehrlich sein? Am liebsten würde ich stornieren. Da oben sind massenhaft Touristen. Man kommt überhaupt nicht voran. Auf dem Weg zum Everest gibt es ständig Staus, weil irgendeiner ein Selfie machen will.«
»Und was hält dich davon ab zu stornieren?«, fragte de Jong achselzuckend.
»Ich hab da jemanden kennengelernt.« Rickelraths Stimme hatte in eine weichere, verliebte Lage gewechselt.
De Jong reichte es. Wenn der Kerl jetzt darauf wartete, dass er fragte: Na, wer ist sie denn? Kenne ich sie?, dann hatte er sich aber so was von verrechnet. Stattdessen stand er nur herum und wartete stumm, dass Detlev seine Ankündigung wahrmachte.
»Also gut dann«, wandte der sich endlich zum Gehen. »Ich werde dir Bericht erstatten. So wie immer.«
De Jong blieb noch eine Weile so stehen und starrte dem Weltenbummler hinterher, der sich zur nächsten Bushaltestelle aufmachte. Ich hab da jemanden kennengelernt … Wart’s nur ab, hätte er ihm am liebsten gesagt. Heute wandert ihr noch einträchtig Arm in Arm, aber schon morgen, spätestens übermorgen wirft sie dir vor, dass es affenkalt ist und du dunkle Dinge magisch anziehst …
»Hallo, Nachbar!«
De Jong war so tief in seinen dunklen Gedanken, dass er die Rufe gar nicht zur Kenntnis nahm, jedenfalls nicht auf sich bezog. Als er endlich hochsah, bemerkte er eine Frau auf der anderen Seite des Stegs, der an Bord des Alten Mädchens führte. Die Frau war schlank, irgendwo in den Vierzigern und hatte leuchtend rotes Haar, das nicht gefärbt aussah. In den Händen hielt sie eine Springform mit einem Kuchen darin.
»Hallo«, sagte de Jong.
»Ich bin Camilla.« Die Frau deutete auf das Boot, das seit gestern gleich neben dem Alten Mädchen festgemacht hatte. »Die neue Nachbarin.«
De Jong war das schicke Ding natürlich längst aufgefallen. Aber aus der Sicht seines alten Hausbootes kam ihm das Wort Nachbarschaft nur schwer über die Zunge. Da lag eine mutmaßlich hochseetaugliche Jacht mit allen Schikanen, mit makellos weißem Rumpf und einer Reling aus blank geputztem Messing, das bei Sonnenschein wie pures Gold blitzte. Am Bug prangte in altertümlichen Lettern der Name Medea.
»Ich hab hier ein Geschenk für Sie.« Camilla hielt den Kuchen hoch. »Pflaumenkuchen, selbst gebacken.«
»Das ist sehr nett«, sagte de Jong. »Kommen Sie doch herein.«
Die Frau balancierte mit ihren High Heels über den Steg. Dann stand sie vor ihm, und de Jong atmete ein süßliches Parfum ein, das ihn spontan faszinierte, obwohl er normalerweise für süße Gerüche gar nichts übrig hatte.
»Niklas de Jong«, sagte de Jong. »Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
»Gern. Einen Kaffee?« Ohne um Erlaubnis zu bitten, begab sich Camilla mitsamt dem Kuchen nach unten in die Küche. »Ein schönes Boot«, schallte es herauf. »So altertümlich. Urgemütlich.«
De Jong folgte ihr nach unten.
»Wenn auch ein bisschen unterkühlt.«
»Die Heizung macht leider Probleme«, gab de Jong zu.
»Sie Armer«, meinte Camilla und legte ihm in einer mitfühlenden Geste die Hand auf den Arm. »Nachts wird es ja schon richtig kalt, nicht wahr?«
»Es geht«, sagte de Jong.
»Also wenn Sie wollen – Sie kommen einfach auf mein Boot und wärmen sich ein bisschen auf. Was halten Sie davon?« Camilla lächelte ihn an.
De Jong hatte allerdings auch das Gefühl, dass sie ihn hinter dem Lächeln durchdringend musterte. »Nettes Angebot«, sagte er. »Wie wollen Sie den Kaffee?«
»Schwarz mit Zucker, gern.« Camilla fand sich offenkundig schon in der Küche zurecht, hatte ein Messer aus der Schublade geholt und war dabei, den Kuchen anzuschneiden. »Aber natürlich nicht nur zum Aufwärmen.«
De Jong kamen diverse Dinge in den Kopf, die man drüben auf der Hightech-Jacht unternehmen konnte, außer sich aufzuwärmen.
»Ich habe gehört, Sie waren bei der Kripo?«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
Camilla überging die Frage. »Außerdem war die Rede davon, dass Sie in diesen Dingen hin und wieder behilflich sind.«
»Welchen Dingen?«
»Kriminellen Dingen.« Sie grinste. »Deswegen habe ich sozusagen einen Anschlag auf Sie vor. Auf Sie als Experte.«
Das waren also die ›anderen Dinge‹. De Jong ärgerte sich über sich selbst, dass seine Gedanken spontan in eine ganz andere Richtung gegangen waren. »Ja«, sagte er deshalb. »Aber so was mache ich schon länger nicht mehr. Irgendwann muss man mal einen Schlussstrich ziehen.«
Er startete die Kaffeemaschine. Sie meldete sich mit einem leisen, zischenden Knall und qualmte ein wenig. Im selben Moment verlöschten die Kontrolllämpchen, und sie machte keinen Mucks mehr.
»Das auch noch«, sagte de Jong.
»Tja, wenn schon, dann kommt immer alles zusammen, was?« Camilla klatschte unternehmungslustig in die Hände. »Was denken Sie, sollen wir einfach rübergehen? Bei mir gibt’s Heizung und Kaffee im Überfluss.« Sie schnappte sich die Teller mit dem Kuchen. »Übrigens, wollen wir nicht Du sagen?«
»Warum nicht«, sagte de Jong. »Ich bin Niklas.«
»Also dann, auf gute Nachbarschaft.«
Aber aus dem Kuchenessen wurde dann doch nichts, weil oben an Deck schon wieder jemand wartete: Hauptkommissar Achim Bühlow. Ein Mann um die dreißig, schlank, der ab und an zu hektischen Bewegungen neigte, die de Jong immer an eine heimische Vogelart erinnerten.
»Besuch?«, sagte Camilla und musterte den Gast neugierig.
»Kann ich dich sprechen? Es ist wichtig«, wandte Bühlow sich an de Jong.
»Also ich bin hier gerade …«, sagte de Jong vage und bemerkte Camillas neugierig fragenden Blick. »Das ist Hauptkommissar Bühlow von der Kripo Münster.«
»Die Kripo! – Tja, irgendwann muss man einen Schlussstrich ziehen, was?«, stichelte sie.
»Aber nein«, eierte er herum. »So hab ich das nicht gemeint.«