Kopflos am Aasee. Christoph Güsken

Kopflos am Aasee - Christoph Güsken


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wenige Haare auf dem Kopf. Stahlblaue, leicht wässrige Augen blickten alkoholselig aus einem Gesicht, das in einem besorgniserregenden Bluthochdruck-Rot leuchtete.

      »Freut mich, dass das alles doch noch geklappt hat«, sagte de Jong, um zu überspielen, dass er den Besuch komplett vergessen hatte.

      »Na ja, nicht alles«, widersprach sein Gast mit einem nachdenklichen Blick in sein kleines Ouzoglas.

      Worauf der Exkommissar sich ertappt fühlte. »Also gut«, gestand er. »Ich hatte am Wochenende Beziehungsstress. Und dadurch ist mir wohl so einiges entgangen.«

      Grönewald schüttelte den Kopf. »Ich meine das, was gestern Nacht passiert ist …«

      Gestern Nacht. Der Mord an Nöck. De Jong ahnte, warum Grönewald ausgerechnet jetzt die Einladung angenommen hatte. »Du wolltest auch an diesem Event in der Halle Münsterland teilnehmen?«, sagte er. »War das der Anlass deines Besuchs?«

      »Na, klar. Ich bin Nöck-Fan aus Leib und Seele. Und besonders auf den Frauenesser war ich gespannt. Der Mann war mein großes Vorbild.« Grönewald zuckte traurig mit den Schultern. »Aber jetzt ist alles anders.«

      Eine Weile herrschte Schweigen, während die beiden der Andersartigkeit von allem nachzuspüren schienen. »Der Mord stammt aus einem seiner Bücher, nicht wahr?«, nahm de Jong die Konversation schließlich wieder auf.

      Grönewald sah ihn verständnislos an.

      »Nicht aus dem aktuellen. Es gibt wohl ein anderes, da werden Leute geköpft.«

      »Ich weiß. Der Köpfesammler. Kann mir schon denken, wie die Polizei das sieht: Dieser Mann ist auf eine Weise abgetreten, die er sich selbst nicht besser hätte schreiben können.«

      »Die Polizei fragt sich, ob das wohl ein Zufall sein kann.«

      Grönewald machte Aristoteles ein Zeichen, woraufhin der mit einer Ouzoflasche zum Nachfüllen herbeieilte. »Wenn es nach dem Buch geht, dann bleibt es nicht dabei.«

      »Wobei?«

      »Na, bei dem einen Mord. Nöcks Krimi handelt von einem Serientäter.«

      »So wie der Frauenesser

      »Genau. Nur eben keiner, der Frauen isst, sondern einer, der Köpfe sammelt.«

      »Verstehe«, sagte de Jong. »Das ist allerdings ein Unterschied.«

      Irgendwann nach dem nächsten Ouzo begann Grönewalds Miene sich allmählich aufzuheitern. Vielleicht weil er genug Trübsal geblasen und der Bluttat von gestern gedacht hatte. Der Alkohol bewirkte überdies, dass die Wolke der Düsternis dünner wurde und hier und da Löcher bekam. »Und sonst?«, schaffte der Mann aus dem Harz schließlich den Themenwechsel mit der Frage, die man eben stellte, auch wenn einen die Befindlichkeit des anderen wenig interessierte.

      »Kann nicht klagen. Na ja, schon. Klagen geht eigentlich immer.« De Jong grinste. »Wie kommst du denn in Sachen Verschwörungen voran?«

      Der andere überhörte die Ironie. »Ach, weißt du, davon bin ich weg. Verschwörungstheorien sind was für Leute, die im Kreis denken. Sensationsgeile Dummköpfe.«

      »Sehr vernünftig«, lobte de Jong, positiv überrascht, weil er das seinem Gast nicht zugetraut hatte.

      »Ich persönlich halte gar nichts davon.«

      »Das war ja schon mal anders«, meinte de Jong.

      »Es gibt doch tatsächlich Leute, die dir erzählen, die Kondensstreifen am Himmel bestehen aus Gift. Aus chemischen Kampfstoffen. Oder dass sie, wenn man sie vom Weltall aus betrachtet, eine geheimnisvolle Schrift sind, die irgendeine schockierende Botschaft für die Menschheit verkündet.« Till schüttelte den Kopf. »Das ist doch komplett gaga.«

      De Jong hob sein Glas zum Anstoßen. »Wenn einer das beurteilen kann, dann ja wohl du.«

      Grönewald knallte sein Glas gegen de Jongs. »Aber willst du wissen, warum ich nichts von Verschwörungstheorien halte? Ich hab mich ein bisschen umgehört, und mein Eindruck ist: Die werden ganz bewusst gestreut. Von oben. Um die Leute für dumm zu verkaufen, verstehst du? Damit sie keine Fragen stellen.«

      »Was für Fragen denn?«

      Aristoteles’ Logiergast nickte irgendwie zufrieden. »Darauf kommt nämlich kein Mensch: dass es jemanden gibt, dem das nützt. Der davon profitiert, dass die Leute immer dümmer werden und diesen Verschwörungsunsinn glauben.«

      »Und wer?«, erkundigte sich de Jong, obwohl er das eigentlich schon gar nicht mehr wissen wollte.

      »Keine Ahnung. Die Betreffenden werden ja wohl nicht so dumm sein und sich zu erkennen geben. Dann hätte ja die ganze Verschleierei keinen Sinn, ist doch klar.« Till machte ein Gesicht, als hätte er so eben mal die Relativitätstheorie erklärt. »Sag ruhig, wenn ich Unsinn rede.«

      Warum mach ich das eigentlich nicht, dachte de Jong und sagte: »Aber schön jedenfalls, dass du von diesen Theorien weg bist.«

      »Finde ich auch.«

      »Und was macht die Schreiberei?«

      »Frag besser nicht.« Grönewald verzog das Gesicht. »Das läuft noch beschissener als die Verschwörungstheorien.«

      »Tut mir leid zu hören.«

      »Ach was, geschenkt.« Till Grönewald nahm noch einen Schluck, stellte das Glas auf den Tisch, und das Grinsen, was dann folgte, war kein fröhliches, sondern eher ein tapferes. »Ich hab ja noch meine Bimmelbahn. Und wenn die Touristen kommen, muss schließlich einer am Steuer sitzen, was?«

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      Das war aber noch lange nicht alles. Wie sich herausstellte und de Jong eigentlich von ihrem ersten Zusammentreffen in Holzwickede wusste, gehörte der Mann aus Wernigerode zu den Menschen, die gern und viel über sich erzählen und dazu weder eine Aufforderung benötigen noch ein irgendwie geartetes Interesse des Gegenübers. Also hörte sich de Jong – auch Aristoteles, jedenfalls so lange, bis er unter einem Vorwand die Flucht ergriff – noch einiges über die Bimmelbahn an. Über die Touristen und ihre dämliche Knipserei, ihre bescheuerten Selfies, die sie immer an denselben Ecken aufnahmen, ihre immer gleichen Kommentare zu den Sehenswürdigkeiten – dem Rathaus, dem berühmten schiefen Haus und dem Schloss. De Jong gewann den Eindruck, dass Grönewald nicht besonders nett über seine Kundschaft dachte. Dass er sich weniger als Bimmelbahnpilot, sondern vielmehr als Künstler verstehe. Und während er die Bimmelbahn durch den Ort kutschierte, so manches Projekt in seinem Kopf bewege. Eine Oper beispielsweise, eine poetische Ode an die Natur oder einen geheimnisvollen Polit-Thriller, der auf dem Brocken zur Zeit des DDR-Regimes spielte. De Jong spürte, wie sich Müdigkeit in ihm breitmachte, und dachte daran, sich zu verabschieden; aber er wollte nicht unhöflich sein, kein schlechter Gastgeber, wo er doch schon den Start vermasselt hatte. Und so kämpfte er gegen den Drang an, die von Sekunde zu Sekunde schwerer werdenden Augenlider einfach zufallen zu lassen. Mit reiner Muskelkraft stemmte er sich gegen diese tonnenschweren Dinger, und als er merkte, dass er nicht beide Augen gleichzeitig offenhalten konnte, probierte er es immer abwechselnd.

      Dass es schon auf den Abend zuging, bemerkte er daran, dass Aristoteles die Tische neu ausrichtete und Servietten und Speisekarten verteilte. »Ihr bleibt natürlich zum Essen«, sagte er, schien es aber irgendwie nicht zu meinen. De Jong vermutete, dass auch ihm schwere Augenlider zu schaffen machten – und das, wo draußen vor der Tür schon die ersten Gäste die Speisekarte studierten.

      »Sonst gern«, ergriff de Jong die Möglichkeit zur Flucht. »Aber heute hat mich meine Nachbarin zum Abendessen eingeladen.«

      Grönewald kippte noch einen Ouzo und winkte de Jong zu. »Na gut, wir können ja später weiterquatschen.«

      »Klar.« Der Exkommissar grinste. »Machen wir.«

       4. Kapitel

      Pünktlich


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