Kopflos am Aasee. Christoph Güsken

Kopflos am Aasee - Christoph Güsken


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Na ja, damals waren wir noch zu zweit.«

      »Verstehe«, sagte de Jong. »Es nennt sich schließlich Paartherapie.«

      »Genau. Aber dann hat sich mein guter Sergej von mir getrennt, wegen einer Schlampe, die eigentlich noch ein Kind war. Eine Schande. Unterhalt zahlt er auch keinen.«

      »Tja, da hat das mit der Paartherapie wohl nicht so ganz geklappt.«

      »Wer weiß das schon?« Sie zuckte mit den Schultern. »Immerhin haben sie mir ja die Stelle hier gegeben. So hab ich wenigstens mein Auskommen. Insofern …«

      Die Kaffeemaschine hörte auf zu schnarchen. Frau Schymanski nahm zwei Tassen aus einem Hängeschrank, füllte sie mit Kaffee und reichte eine de Jong.

      »Ich vermute, die Praxis läuft nicht schlecht«, sagte der Exkommissar. »Bestimmt können die beiden sich vor Klienten nicht retten.«

      Ludmila pustete in ihr Heißgetränk, so dass ihre Brille beschlug. Sie beugte sich zu de Jong herüber. »Da ist es auch immer ziemlich abgegangen. Aber ich glaube, das hat die Leute angezogen. Sie fanden das spannend.«

      »Abgegangen? Was meinen Sie damit?«

      »Herr Doktor und Frau Doktor. Die haben es knallen lassen. Das ganze brutale Spektrum. Manchmal haben sie tagelang so getan, als würden sie sich überhaupt nicht kennen. Eisiges Schweigen zwischen ihnen. Lange Gesichter, von morgens bis abends. Und dann wieder haben sie sich auf der Toilette so laut gezofft, dass man es im ganzen Haus gehört hat. Sogar noch unten an der Bushaltestelle.«

      Das hörte sich fast so an, als wären die beiden Psychologen nicht nur Kollegen, sondern auch ein Paar gewesen. »Die beiden hatten Differenzen? Welcher Art?«

      Schulterzucken. »Streitereien eben. Er sagt was, dann sie, das ärgert ihn und er sagt was zurück. Immer so weiter. Immer lauter.«

      »Und die Klienten haben das mitgekriegt? Wohl nicht gerade die beste Werbung.«

      »Die Leute fanden es spannend. Ich sag Ihnen was: Wenn die beiden laut wurden, war es im Wartezimmer mucksmäuschenstill. Manche haben sich sogar einen Termin geholt, nur um mitzukriegen, wie es weitergeht, verstehen Sie? Wie in einer dieser Fernsehserien.«

      »Dabei waren die beiden doch nur Kollegen«, vergewisserte sich de Jong. »Oder waren sie ein Paar?«

      »Wollen Sie noch einen Kaffee?« Ludmila nahm ihm die Tasse aus der Hand und stellte ihn auf die Anrichte. Dann begann sie im Schrank herumzukramen. »Warten Sie, hier gab es auch irgendwo Kekse …«

      De Jong sah auf die Uhr. »Tut mir leid. Ich muss in drei Minuten im Polizeipräsidium sein. Eigentlich schon in zwei.« Er winkte Ludmila zu. »Vielen Dank für den Kaffee.«

      Er schritt durch den Flur in Richtung Ausgang, blieb aber noch einmal stehen, weil ihm im Vorbeigehen der Name Hauke ins Auge fiel. Auf einem computerausgedruckten Zettel, der mit Tesafilm von innen an der Glastür klebte:

      Dieses Mal AUSNAHMSWEISE samstags: Die Unfreiwilligen Singles treffen sich wie üblich im Sprachtherapieraum der Waldorfschule unter der Leitung von Hauke Fromm. Beginn wie immer um 20.00.

      De Jong fand, dass sich das gut traf. Schließlich war er selbst unfreiwilliger Single. Außerdem konnte er dort vielleicht etwas mehr über den verschwundenen Therapeuten erfahren.

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      Die Friesen-Schmiede präsentierte sich von ihrer besten Seite. Goldenes Sonnenlicht flutete den ansonsten bescheiden ausgestatteten Speisesaal, schwappte über furnierte Tische und rote Plastikstühle, veredelte halb geleerte Kaffeetassen und verstopfte Salzstreuer, ließ die Senf-Reste auf den Plastiktischdecken geheimnisvoll glitzern. Es bemühte sich sichtlich, das Mittagsmahl zu einer fröhlichen Angelegenheit zu machen. Das schien auch auf die anwesenden Mitarbeiter auszustrahlen, die es mit heiterer Miene verzehrten. Einzig Bühlow schien immun dagegen zu sein, wie er auf seinem Fensterplatz vor sich hinstarrte und mit dem Finger auf einem Plastiktablett sinnlose Kreise malte. Er wirkte verbissen und schien unter Strom zu stehen. »Da bist du ja endlich«, sagte er und hörte abrupt mit der Malerei auf.

      De Jong tat der Junge ein bisschen leid. Er wusste nur zu gut, dass der Chef einem ziemlich auf den Geist gehen konnte. Besonders wenn er fast stündlich verlangte, endlich Ergebnisse zu sehen, zu einem Zeitpunkt, an dem man unmöglich mit Ergebnissen aufwarten konnte. Wie ein Trainer, der bereits in der ersten Spielminute aufgeregt an der Seitenlinie herumhüpft und seine Mannschaft damit nervt, dass er endlich Tore sehen will. Es ging nicht anders, als dass man mit der Zeit eine Technik entwickelte, den Druck an sich abprallen zu lassen. Bühlows Technik steckte offenbar noch in den Kinderschuhen. Wie man aus den Essensresten auf dem Tablett schließen konnte, hatte er sich für ein vegetarisches Nackensteak mit Rotkohl entschieden und zum Nachtisch Karamellpudding – was sicher auch seinen Anteil an der gedämpften Laune des Hauptkommissars hatte.

      »Also gut, dann lass doch mal hören, was ihr bis jetzt so habt«, ermutigte ihn de Jong.

      Bühlow richtete sich auf und zwang seine Hände, von einem Salzstreuer abzulassen und ihn ordentlich in der Mitte des Tisches abzustellen. »Zurzeit sind wir noch dabei, Nöcks nahes Umfeld zu checken.«

      »Okay«, sagte de Jong. »Die meisten Täter stammen bekanntlich aus der Familie oder dem nahen Bekanntenkreis.«

      »Obwohl wir in dem Fall eigentlich nicht davon ausgehen«, widersprach der junge Kommissar. »Die Umstände des Mordes legen eine andere Täterschaft nahe.« Er griff in seine Hosentasche, zückte sein Smartphone und öffnete einen elektronischen Notizblock. »Genau: Nöck hat keine Geschwister, sein Vater lebt nicht mehr. Die Mutter ist schon vor zehn Jahren nach Österreich gezogen.«

      »Freunde und Bekannte?«

      »Das ist schon etwas interessanter. Da ist zuerst Ingolf Bolte, sein Agent. Er wohnt hier in der Stadt und hat die ganze Büchershow, die jetzt wohl doch nicht stattfindet, organisiert. Die beiden, also Nöck und Bolte, waren angeblich unzertrennlich. Bisher konnte ich aber noch nicht mit ihm sprechen.« Bühlow entfuhr ein Rülpser. »Verzeihung. – Nöcks Tod hat ihn ziemlich mitgenommen. Er hat sich daraufhin die Kante gegeben und war nicht ansprechbar. Aber das könnte auch ein Trick sein.«

      De Jong runzelte die Stirn. »Sich zu besaufen? Toller Trick.«

      »Wenn ich Angst hätte, dass man mir meine geheuchelte Trauermine nicht abkauft, dann besaufe ich mich einfach. Und alle sagen verständnisvoll: Der arme Kerl, den hat’s echt umgehauen.«

      »Wen habt ihr noch?«

      »Seine Verlegerin: Frieda von Bechritz. Laut Bolte, dem Agenten, hat zwischen den beiden was nicht gestimmt.«

      »Also hat er doch geredet.«

      »Das schon, aber nicht besonders viel. Eher genuschelt.«

      »Immerhin. Was hat denn nicht gestimmt?«

      »Da war irgendwas Persönliches. Obwohl Bechritz ihn in allen Interviews immer über den Klee gelobt hat. Er war schließlich ihr umsatzstärkster Autor.«

      »Ach, die meisten, mit denen ich nicht so gut konnte, habe ich auch einen Kopf kürzer gemacht«, witzelte de Jong.

      »Das war’s auch schon. Mehr haben wir bis jetzt nicht.«

      »War der Ermordete solo oder liiert?«

      Der Hauptkommissar riss seine Milchportion auf, kippte sie in seine Tasse und kleckerte auf den Tisch. »Nadja vom Hofe. Sie wohnt während des Besuchs in Münster bei Bolte.« Mit der Serviette tupfte er die Spritzer auf.

      »Also gut, dann lass uns mit den Leuten reden.«

      »Das hab ich ja schon getan.«

      »Aber ich noch nicht.«

      »Du bist ja auch nicht der Bulle, sondern ich.«

      »Ach, und was bin ich?«

      »Du bist der Mann im Hintergrund.«

      De


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