Kopflos am Aasee. Christoph Güsken

Kopflos am Aasee - Christoph Güsken


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in der Hand!« Frau Lohengrin nickte eifrig. »Und es war nicht seiner.«

       6. Kapitel

      Ingmar Bolte bewohnte eines der todschicken, topmodernen Häuser am Aaseeufer, in denen so viel Glas verbaut worden war, dass sie von Weitem an Aquarien erinnerten. Von innen hatte man durch dieses Glas hindurch einen exklusiven und unverstellbaren Blick auf das städtische Freizeitgewässer mitsamt der spätherbstlichen Flora ringsum.

      Inzwischen war es kurz vor sechzehn Uhr. Vorher hatte de Jong seinen jungen Kollegen in ein Eiscafé genötigt – eins der wenigen, die um diese Jahreszeit noch geöffnet hatten. Bei einem Erdbeerbecher hatte er sich Mühe gegeben, Bühlow gegen das Drangsalieren seines Chefs zu immunisieren. Zum Beispiel, indem er ihm erzählt hatte, dass er, de Jong, eines Tages im Büro seines damaligen Chefs aufgekreuzt sei und einen Zettel auf den Schreibtisch geknallt habe. Darauf seien nur Matheaufgaben gewesen. Addition, Subtraktion, Multiplikation. Zahlen untereinander mit Minus- oder Pluszeichen, die letzte doppelt unterstrichen. Was das denn jetzt solle?, hatte der Chef verärgert gefragt. Na ja, Sie wollten Ergebnisse, hatte de Jong geantwortet. Und das möglichst schnell.

      Bühlow schien das nicht so ganz zu glauben, und vielleicht hatte der zeitliche Abstand diese Szene auch etwas optimiert. Aber ob wahr oder frei erfunden, die Anekdote entfaltete ihre Wirkung. Als sie eine halbe Stunde später bei Bolte aufschlugen, wirkte Bühlow fast so, als wäre er ganz der Alte.

      Der Agent des berühmten Thrillerautors wirkte immer noch angezählt – wobei de Jong nicht sagen konnte, ob durch den Verlust des Freundes oder durch übermäßigen Alkoholkonsum. Er schätzte den Mann auf Anfang vierzig. Er hatte ein rundes Gesicht mit Pausbacken, und sein Outfit erweckte den Eindruck, als hätte Bolte es während des Ankleidens irgendwann aufgegeben, auf zueinander passende Sachen zu achten. Ein cremefarbenes Hemd hing aus der dunkelgrünen Hose, gefolgt von einem Speckröllchen, das über den Hosenbund quoll.

      »Herr Bolte, wir sind’s noch mal«, sagte Bühlow mit sanfter Stimme, wie ein Krankenpfleger, der sich nach dem Befinden seines Patienten erkundigt. »Fühlen Sie sich in der Lage, ein paar Fragen zu beantworten?«

      Bolte verzog den Mund zu einem trotzigen Grinsen. »Ich sag Ihnen alles, was ich weiß. Und dann finden Sie dieses Schwein.«

      Er ließ die Tür aufschwingen, Bühlow und de Jong folgten ihm hinein. Die Wohnung war weitläufig, Küche und Wohnzimmer gingen ineinander über. Über eine futuristisch anmutende Holzwendeltreppe gelangte man nach oben auf eine zweite Ebene. Eine monströse Eckcouch in düsterem Lila zog die Blicke auf sich, an den weiß gekälkten Wänden hing Malerei im gleichen Farbton, undefinierbare Klecksereien in Rorschach-Manier.

      »Leider bin ich noch nicht zum Aufräumen gekommen.« Der Agent wies auf einen Haufen Klamotten, die über einer Stuhllehne hingen, und zwei leere Weinflaschen auf dem Glastisch. De Jong nahm auf der Couch Platz. Er entschloss sich, dieses Mal den Auftakt der Befragung zu übernehmen. »Dass Sie uns alles sagen wollen, ist sehr lobenswert.«

      Bolte stand noch in der Küche und schenkte sich Rotwein ein, kam dann mit dem Glas in der Hand zu ihnen. Stellte es vor sich auf den Tisch und setzte sich. »Ja, und dann schnappen Sie das kranke Schwein«, wiederholte er.

      »Es hört sich ein bisschen so an, als hätten Sie einen bestimmten Verdacht.«

      »Einen bestimmten Verdacht? Schön wär’s, Herr Kommissar. Schön wär’s.«

      De Jong wies mit dem Kopf auf Bühlow. »Er ist der Kommissar.«

      »Allerdings bedeutet das ja wohl nicht, dass man beide Augen zudrückt, oder?« Bolte beugte sich vor und sah de Jong an, und de Jong sah in die blutunterlaufenen, vom Alkoholexzess gezeichneten Augen seines Gegenübers. »Wenn man zwei und zwei zusammenzählen kann, dann sollte man es verdammt noch mal tun, was meinen Sie?«

      »Also gut«, sagte de Jong. »Auch einfache Rechenaufgaben sind dazu da, gelöst zu werden. Meine Meinung.«

      Ingolf Bolte nahm einen großen Schluck, dann schüttelte er ausgiebig den Kopf und lachte zischend. »Ich will niemanden anschwärzen, weiß Gott … Aber ein Mann ist tot. Mein Freund, verstehen Sie? Mein Kumpel. Und er ist nicht nur einfach so tot. Man hat ihm den Kopf abgeschlagen wie einem …« Er schnaufte unwillig, da ihm offenbar kein Vergleich einfiel. »Und Sie sollten sich wenigstens mit ihr unterhalten.«

      »Mit ihr?«

      Boltes Kopf nickte nach oben, dort, wo die Wendeltreppe hinaufführte. »Nadja, die ihren Charles angeblich so abgöttisch geliebt hat. Ihn – nicht den guten Jo. Obwohl sie sich ja am Schluss kaum noch die Mühe gemacht hat, es zu verbergen.«

      Bühlow schaltete sich ein. »Sie deuten also an, Frau vom Hofe hat ein Verhältnis mit dem guten Jo? So dass die beiden möglicherweise ein Motiv gehabt haben könnten, Herrn Nöck …«

      »Ich deute gar nichts an«, widersprach der Agent und hob abwehrend beide Hände. »Ich sage nur, was ist. Schlicht und einfach. Weil ich Augen im Kopf habe.«

      »Und zwei und zwei zusammenzählen.«

      Schon wieder zischte Bolte. »Die beiden konnten doch die Finger nicht voneinander lassen. Haben jede Gelegenheit genutzt …«

      »Na gut«, sagte de Jong. »Aber wenn sie da was am Laufen hatte, dann war das doch noch lange kein Grund, Charles nach dem Leben zu trachten. So geht es in der Regel nur in drittklassigen Fernsehkrimis zu.«

      »Fragen Sie sie, Herr Kommissar.« Bolte hob die Schultern in einer Ich-wollte-ja-nur-helfen-Geste. »Mehr will ich nicht.« Aber dann musste er doch noch etwas loswerden. »Jo Lempel verdankt alles, was er ist, Charles Nöck. Ohne Charlie wäre er ein Nichts. Noch weniger: ein Garnichts. Aber der Neid hat ihn zerfressen. Ich wusste das schon immer: Der Kerl ist eine tickende Zeitbombe. Er steckt immer ein, aber vergisst nichts und nimmt alles übel. Wartet auf seine Chance, es heimzuzahlen.«

      »Besagter guter Jo war also nicht nur mit Herrn Nöcks Ehefrau …«

      »Lebensgefährtin.«

      »Okay. Er war nicht nur mit ihr näher befreundet, sondern auch neidisch auf Herrn Nöck und dessen Erfolg.«

      Bolte schien darüber nachzudenken. Schließlich nickte er. »Hinzu kommt aber, dass …«

      Er verstummte abrupt, als oben, auf der zweiten Ebene, eine Tür geschlossen wurde. »Jetzt ist sie wach«, flüsterte er. Und rief laut: »Nadja? Bist du das? Hier ist Besuch …«

      Eine Frau kam, nein, schwebte die Treppe herab. Eine schlanke, langbeinige Blondine, deren welliges, sorgfältig frisiertes Haar perfekt fiel und überhaupt nicht so aussah, als wäre sie gerade aus dem Bett geklettert. Nadja vom Hofe hatte sich in einen flauschigen, weißen Bademantel gehüllt. Ihre zierlichen, nackten Füße steckten in Flipflops.

      Bolte hatte sich schon erhoben und leerte eilig sein Weinglas. »Also, ich muss dann auch schon los …«

      De Jong legte ihm die Hand auf den Arm. »Sagen Sie mir doch erst noch: Was kommt hinzu?«

      »Hinzu?«

      »Sie haben gerade gesagt: ›Hinzu kommt aber, dass …‹ Mich würde interessieren, was.«

      Bolte zog ein gequältes Gesicht. Offenbar widerstrebte es ihm, weiter in Nadjas Anwesenheit über tickende Zeitbomben zu sprechen. Er war wohl nicht der Mann der offenen Auseinandersetzung. »Die beiden Herren sind von der Kripo«, flötete er in fast heiterer Manier. »Sie tun alles, um den Kerl zu finden, der Charles das angetan hat.«

      Nadja nickte de Jong und Bühlow flüchtig zu und steuerte zuerst die Küche an, wo sie den Kühlschrank öffnete, eine Flasche Orangensaft herausnahm und sich davon in ein Glas goss. Dann steckte sie einen bunten Plastikstrohhalm in das Getränk.

      Bolte nutzte die Zeit, um sich zu de Jong herunterzubeugen und ihm zuzuraunen: »Ein Schwert. Der Mann besitzt ein Schwert. Und was für eins.«

      »Ja, was für eins?«, fragte de Jong.


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