Kopflos am Aasee. Christoph Güsken

Kopflos am Aasee - Christoph Güsken


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in etwa.«

      Camilla stand auf und begab sich in die Küche. Eine Minute später kehrte sie mit zwei Eisbechern zurück. »Das Dessert«, sagte sie.

      Eine Weile aßen sie schweigend.

      »Ich bitte dich ja nicht einfach so um einen Gefallen«, erklärte die Gastgeberin. »Nicht ohne mich zu revanchieren.«

      »Also, das wäre nun wirklich nicht nötig«, sagte de Jong bescheiden und merkte erst danach, dass er in eine Falle getappt war.

      »Natürlich wäre es das. Ich würde dich bezahlen, außerdem könnte ich mich mit einem tollen Abend auf einem geheizten Boot bedanken. Abgesehen davon könnte ich dir den einen oder anderen Tipp für deine Beziehung geben.«

      »Für meine Beziehung?«

      »Nicht vergessen: Ich verstehe meinen Job. Mir entgeht nichts. Manchmal können in einer verfahrenen Beziehung kleine Dinge Wunder wirken.«

      »Zum Beispiel?« Die Aussicht auf irgendetwas, mit dem er die verfahrene Sache mit Giulia wieder ins Lot bringen konnte, war so verlockend, dass er sowohl vergaß, sich über die Indiskretion der Nachbarin zu ärgern, noch bedachte, dass der Tipp ja eigentlich als eine Revanche für die erbrachte Ermittlungsleistung gedacht war.

      »Schon mal von der Freundlichkeits-Strategie gehört?« Sie wartete sein Kopfschütteln nicht ab. »Höchstwahrscheinlich nicht. Das ist mein Baby. Ich gebe Freundlichkeits-Seminare. Auch online. Und nach dem, was ich von euch beiden mitbekommen habe, kann ein wenig Freundlichkeit Wunder bewirken.«

      »Bestimmt«, sagte de Jong.

      Camilla machte eine weitere Flasche Wein auf. Draußen war es längst dunkel. De Jong nahm einen Schluck und sah durch das runde Bullauge hinaus auf den Dortmund-Ems-Kanal, auf die Lichter der Stadt, die einen immer träumen ließen. Während seine Gastgeberin ihm ein wenig vom Hintergrund ihrer Arbeit erzählte, dass Paartherapie nichts mit Physiotherapie zu tun habe und dass es ihr nicht genüge, hier und jetzt irgendeine Störung zu beseitigen, sondern sich prinzipiell für das »Dahinter« interessiere, für den mythologischen oder philosophischen Hintergrund einer Person. Weit entfernt davon, dass ihn ihre Ausführungen langweilten, konnte der Exkommissar irgendwann nicht mehr so recht folgen, so wie wenn man auf einer Wanderung eine kurze Pause macht und dann aufsieht und feststellt, dass der andere längst schon weiter ist, um die nächste Kurve. Er berauschte sich an dem vortrefflichen Wein und an Camillas sympathischer Stimme, fing irgendwann sogar an, beides zu verwechseln.

      »Aber ich sehe schon, ich langweile dich«, stoppte die Paartherapeutin schließlich doch ziemlich abrupt.

      »Nein, überhaupt nicht«, sagte de Jong und legte die Hand auf sein Weinglas, bevor sie es nachfüllen konnte. »Ich denke, ich werde dann auch mal allmählich wieder …«

      Sie trat auf ihn zu und deutete eine Umarmung an, umhüllte ihn geradezu mit ihrem süßen Duft. »Das rechne ich dir so hoch an, dass du das für mich tust. Obwohl du es ja eigentlich nicht mehr machst. Ja, gerade deswegen.«

      De Jong konnte sich nicht so recht erinnern, wann im Verlaufe des Abends er von seinem Nein abgerückt war. Wann er sich bereit erklärt hatte, für sie eine Ausnahme zu machen, worauf sie ihm ein Foto von Hauke, dem Therapeutenkollegen, zugesteckt hatte. Er ging hinauf, stand eine Weile da, den bestirnten Herbsthimmel über sich und das blitzblanke Deck unter seinen Füßen. Die kalte Luft roch frisch, und sein Atem dampfte.

      Wieso eigentlich nicht?, überlegte er. Für Hauptkommissar Bühlow den Profiler zu machen, herauszufinden, was für ein kranker Idiot es fertigbrachte, jemandem den Kopf abzuschlagen – war das etwa der bessere Job? Blutrünstiges hatte ihn immer schon abgestoßen. Also warum nicht lieber einen verschwundenen Paartherapeuten suchen?

       5. Kapitel

      Die Nacht zum Donnerstag war vergleichsweise mild, die Temperaturen fielen nicht unter Null. De Jong, der alle Klamotten anbehalten hatte und sich zusätzlich in seinen neuen Mumienschlafsack gepackt hatte, träumte von Camillas mollig warmer Kajüte und fand im Übrigen, dass man auch auf dem Alten Mädchen nicht frieren müsse. Es war kühl, wie auch nicht, die Heizung war ja auch defekt. Angesichts dieser Tatsache war es an Bord sogar vergleichsweise mild.

      Der Morgen startete diesig, mit Nebelschleiern, die noch vor Sonnenaufgang aus dem Dortmund-Ems-Kanal aufgestiegen waren und die blasse Sonne einhüllten, als hätten sie einen blickdichten Duschvorhang zugezogen. De Jong schälte sich aus seinem Schlafsack und beschloss, draußen auf dem Achterdeck sein Frühstück einzunehmen.

      Als er gerade von seiner Brötchenhälfte abgebissen hatte, klingelte sein Handy, das neben dem Teller lag.

      »Ja?«, meldete er sich.

      »Hast du den Vertrag inzwischen zurückgeschickt?« Es war Bühlow.

      »Welchen Vertrag?«

      »Der Chef macht dich zum beratenden Profiler auf Honorar-Basis. Ich hab dir doch alles zugeschickt.« Und als de Jong nicht reagierte: »Hast du das noch gar nicht durchgelesen?«

      De Jong hörte gerade zum ersten Mal von der Existenz eines solchen Vertrags. »Doch, natürlich. Von A bis Z.«

      »Und? Ist er für dich okay so?«

      »Denke schon«, sagte de Jong vage.

      »Gut, dann schick ihn doch unterschrieben an den Chef, damit wir starten können.«

      »Und was muss ich dann machen?«

      »Aber das steht doch alles drin. Du bist mir zugeteilt. Ich bin der Leiter der Ermittlung. Ich brauche von dir ein Profil des Täters.«

      »Ein Profil? Wofür hältst du mich? Für einen Psychologen?«

      Man konnte geradezu hören, wie Hauptkommissar Bühlow stutzte. »Hast du nicht gerade gesagt, du hast dir alles durchgelesen?«

      »Ja, schon, aber … die eine oder andere kleine Frage hätte ich eben doch noch. Wie zum Beispiel die.«

      »Du bist kein Psychologe. Aber Krimischreiber. Darum geht’s hier. Wir vermuten, dass die Tat mit Nöcks Thrillern zusammenhängt. Dass der Täter darauf Bezug nimmt. Und du weißt, wie der Mann tickt. Bist wie er.«

      »Moment.« De Jong wurde ärgerlich. »Genau da ist doch der Hase begraben.«

      »Welcher Hase?«

      »Du erwartest von mir, dass ich einen Wisch unterschreibe, auf dem ich bestätige, dass ich so bin wie einer, der einem Menschen ohne mit der Wimper zu zucken den Kopf abschlägt. Dass ich wie er ticke. Dass wir es vielleicht nur zufälligen Umständen verdanken, dass ich bis jetzt noch nicht selbst mit dem Schwert losgezogen bin.«

      »Also, jetzt übertreibst du aber ziemlich …«

      »Ich soll keinen Vertrag unterschreiben, sondern ein Geständnis. Wenn auch für eine Tat, die noch nicht begangen wurde.«

      Eine Weile blieb es still in der Leitung. So lange, bis de Jong schon fragen wollte: Bist du noch dran?

      »Okay, dann verzichtest du auch auf die zweitausendfünfhundert Euro.«

      »Zweitausendfünfhundert?« De Jong wurde für einen Moment schwindlig von der Summe, auf die er verzichtete.

      »Hast du den Wisch jetzt gelesen oder nicht?«

      »Sicher, sag ich doch, aber …« Zweitausendfünfhundert Mäuse! »Achim, was hältst du davon, wenn wir uns zusammensetzen und alles auf den Tisch legen? Dann können wir klären, ob ich euch überhaupt eine Hilfe sein kann.«

      Wieder dauerte es geraume Weile, in der Bühlow der Enttäuschung darüber Raum gab, dass de Jong, von dem er sich Hilfe versprochen hatte, jetzt alles so kompliziert machte. »Also gut. Ich könnte um Mittag zwischen eins und halb zwei. In der Friesen-Schmiede

      »Gern. Wo ist denn das?«

      »Das


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