Kopflos am Aasee. Christoph Güsken

Kopflos am Aasee - Christoph Güsken


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musste, deren prachtvolle Ausstattung alles übertraf, was er sich auf seinem kargen, unbeheizten Hausboot nebenan so vorgestellt hatte. Ihn erwartete ein vor Sauberkeit spiegelndes Oberdeck, das im letzten Licht der Abendsonne aufblitzte und auf dem alles, was vorhanden war, vor Reinlichkeit gleichsam starrte: ob es die Taue waren, die säuberlich zusammengerollt in den Ecken lagen, als hätten sie noch niemals Berührung mit Wasser gehabt, oder die Rettungsringe, die in lustig bunten Luftballon-Farben erstrahlten. Eine mit kostbarem Teppich belegte Treppe, die unter Deck führte, prahlte geradezu mit ihrer Lautlosigkeit und zeigte de Jong, dass es auch anders ging als auf dem Alten Mädchen, wo jeder Treppengang vom hässlichen Knarren der alten Holzstufen konzertiert wurde. Unten gelangte er in einen Raum, der wie durch Zauberei viel breiter wirkte, als es die schlanken Außenmaße des Bootes erlaubten. Bilder hingen an holzverkleideten Wänden, kein Seefahrerkitsch, keine Viermaster im Sonnenuntergang und rollende Brandungen, sondern abstrakte, moderne Malerei in frischen Farben. Blank geputzte Möbel aus dunklem Holz, die von indirekter Beleuchtung unaufdringlich illuminiert wurden, luden dazu ein, sich in einem der Sessel zu lümmeln und den Tag auf hoher See bei einem Glas guten Wein ausklingen zu lassen. Alles strahlte warme Heimeligkeit aus, Heimeligkeit, die sich freilich nicht jeder leisten konnte – und vor allem gab die Heizung ihr Bestes. Die Gastgeberin war offenbar fest entschlossen, ihm zu demonstrieren, wie viel Wohlgefühl eine Heizung produzieren konnte, wenn sie so reibungslos funktionierte wie auf der Medea.

      »Schön, dass du kommen konntest«, hieß sie ihn willkommen.

      Camilla hatte ihr Haar hochgesteckt und sich in eine weite und faltenreiche Kombination aus Bluse und Rock gehüllt, die an einen indischen Sari erinnerte, wobei die pastellfarbenen Töne der Kleidung einen Anflug von Transparenz bewahrten, die den Betrachter bei jeder ihrer Bewegungen vermeinen ließ, einen Blick auf den Körper unter den bunten Tüchern zu erhaschen.

      »Das riecht ja schon sehr appetitlich«, lobte de Jong, nachdem er ihr eine Flasche Rotwein als Gastgeschenk überreicht hatte. Und damit meinte er vielleicht auch das süße, aber dennoch faszinierende Parfüm, das sie aufgelegt hatte. Jenseits des Parfüms allerdings herrschte unumschränkt der Geruch nach Braten und Fleischsoße. »Ich hoffe, du magst Kaninchen«, rief Camilla aus der Küche, und de Jong wollte im ersten Moment höflicherweise antworten: Nein, ich hasse sie, weil nur das erklären würde, wie er es über sich brachte, eins zu verspeisen.

      »Eigentlich bin ich ja Vegetarierin«, kam es aus der Küche. »Nur zu besonderen Anlässen gönne ich mir mal ein kleines bisschen Fleisch.«

      »Etwas Fleisch ist gut«, sagte de Jong, aber er nahm sehr wohl zur Kenntnis, dass sie einen nachbarlichen Besuch offenbar als besonderen Anlass einstufte.

      Eine gute Viertelstunde später: Fleisch und Kartoffeln standen in dampfenden Schüsseln auf dem Tisch, der Salat war angemischt, die Vorspeise – eine Tomatensuppe mit einem einzelnen Basilikum-Blatt auf der Suppenoberfläche – verspeist.

      »Um sich so einen Schoner leisten zu können«, flachste de Jong, »muss man wohl bei der Mafia sein, was?«

      »Ich bin aber nicht bei der Mafia. Ich bin Paartherapeutin.«

      »Ach«, sagte de Jong. »Seit wann schließt denn das eine das andere aus?«

      Sie schenkte ihm ein Lächeln, während sie den Rotwein entkorkte. »Gulik und Fromm, eine Gemeinschaftspraxis. Hier in der Stadt.«

      »Die Praxis scheint eine rechte Goldgrube zu sein«, vermutete de Jong mit einem Blick auf die Pracht ringsum.

      »Wenn’s nur so wäre. Aber die Medea verdanke ich einer Erbschaft. Damit habe ich mir einen uralten Traum erfüllt: eine Auszeit nehmen und mit einer Jacht losschippern über Flüsse und Kanäle, immer weiter südwärts. Bis nach Barcelona, so ist der Plan. Und dann quer durchs Mittelmeer.«

      Immer wieder erlaubte sich de Jong während des Essens einen verstohlenen Blick auf die Gastgeberin, auf ihr teilweise transparentes Outfit. »Verstehe«, sagte er. »Und wer hält indessen die Stellung in der Praxis?«

      Camilla nickte. »Damit wäre ich bei dem Anschlag, den ich auf Sie vorhabe.«

      »Du«, erinnerte sie de Jong.

      »Hauke Fromm. Mein Mittherapeut. Er ist verschwunden.«

      »Also hält er nicht die Stellung?«

      »Ich weiß ja nicht, wo er steckt. Zu Hause ist er nicht, und in der Praxis lässt er sich auch nicht blicken. Sein Auto und sein Fahrrad stehen zu Hause vor seiner Tür. Auf E-Mails oder SMS antwortet er nicht.«

      »Hast du irgendeine Vermutung, was mit ihm sein könnte? Ob er in Schwierigkeiten steckt?«

      »Er arbeitet an einer Studie über alternative Beziehungsformen im digitalen Zeitalter.«

      »Nicht gerade ein heißes Eisen«, vermutete de Jong.

      »Hauke war sich sicher, beweisen zu können, dass Paarbeziehungen der Zukunft ohne die heute noch üblichen Geschlechterklischees funktionieren. Dass Paare ganz ohne Partner auskommen, was auch für die Paartherapie einen kompletten Paradigmenwechsel bedeuten würde.«

      »Gibt es vielleicht jemanden, den er damit verärgert hat?«

      »Er hat in den sozialen Netzwerken recherchiert. Sich in Dutzenden von Chatrooms herumgetrieben. Wer weiß schon, mit wem man da so aneinandergeraten kann.« Sie entfaltete einen Zettel und reichte ihn ihm. »Den hat er mir auf meinen Schreibtisch gelegt, bevor er verschwand.«

      De Jong las: Muss für eine Weile untertauchen. Hoffe nicht für länger. »Wie lange ist er denn verschwunden?«

      Sie überlegte. »Na ja, zwei Wochen sind jetzt rum.«

      »Hast du dich an die Polizei gewandt? Die ist für so etwas zuständig.«

      Camilla musterte ihn mit einem tadelnden Blick, den de Jong in etwa so deutete, dass sie, wenn die Sache so simpel wäre, ihn ja wohl nicht darauf angesprochen hätte. »Ich muss dir als Mann vom Fach ja nicht erklären, was du zu hören kriegst: Warten Sie erst mal ab, wir können schließlich nicht jedes Mal, wenn einer einen Zug durch die Kneipen macht, eine Vermisstenmeldung rausgeben.« Sie schüttelte den Kopf. »Und dann wartest du ab, und eines Tages heißt es dann: Ja, wenn Sie sich mal früher gemeldet hätten. Die Wahrscheinlichkeit, jemanden nach so langer Zeit noch lebend zu finden, geht gegen null.«

      »Na ja«, widersprach de Jong vorsichtig, »das ist jetzt ein bisschen übertrieben …«

      Camilla verstärkte ihren tadelnden Blick, in dem für de Jong auch etwas Vertrautes mitschwang, das unterstrich: Wir beide wissen doch, wie sowas läuft. Als wäre dies etwas Gemeinsames zwischen ihnen; und de Jong, der lange genug an seinem Kaninchen herumgesäbelt hatte, wollte den Abend lieber in wohliger Gemeinsamkeit verbringen als konstatieren, dass Verallgemeinerungen dieser Art wohl kaum weiterhelfen würden.

      Sie goss ihm Wein nach. »Und deshalb hatte ich mir gedacht, dass du, als Vertrauensperson, gleichsam …«

      »Eigentlich habe ich vor langer Zeit beschlossen, niemals Detektiv zu spielen«, sagte de Jong.

      »Schade.« Camilla richtete ihr halbtransparentes Kostüm und sah etwas weniger freizügig aus.

      »Weil die meisten denken, die Arbeit des Privatdetektivs wäre das gleiche wie die eines Bullen«, versuchte de Jong zu erklären. »Aber da irren sie.«

      Sie nahm ihr Glas und nippte daran. Es war ja nicht so, dass sie kein Verständnis hätte.

      »Ich war bei der Mordkommission«, sagte de Jong. »Das bedeutet: Indizien sammeln, Beweismittel in Tütchen stecken, Zeugen vernehmen, Haus-zu-Haus-Befragungen durchführen.«

      Jetzt lächelte sie wieder. »Verfolgungsjagden mit dem Auto? Schießereien?«

      »Eher selten.«

      »Aber am Ende dann den Bösewicht verhaften.«

      »Wenn es mal ein Bösewicht ist«, sagte de Jong. »Meistens sind es höchst bedauernswerte Trottel. Gescheiterte Existenzen. Verlorene Seelen.«


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