Fürchtet euch nicht. Betsy Duffey
ausgeräumt“, wiederholte er.
Sie wollten den Gottesdienstraum erweitern und brauchten dazu einen der kleinen Gruppenräume und eben diesen Lagerraum. Der Gruppenraum war kein Problem gewesen. Die Stühle hatten sie auf die anderen Räume verteilt – und fertig. Aber der Lagerraum, das war etwas anderes.
Ohne Holly schaffte er das nicht. Holly war wundervoll. Sie wusste genau, was sie sagen musste, wann sie sanft auf ihn eingehen und wann sie den direkten und offenen Ansatz wählen musste. Jetzt brauchte er die direkte und offene Ansprache, und genau das tat sie.
Jeremy griff in seine Tasche und holte den Schlüsselbund heraus.
Während er nach dem richtigen Schlüssel suchte, sagte er: „Die Gemeinde wächst und platzt aus allen Nähten. Die Erweiterung ist dringend nötig.“
Das wussten sie beide natürlich, aber es half, es noch einmal laut auszusprechen.
„Und es ist gut, dass wir die Möglichkeit haben, mehr Raum zu schaffen. Schließlich wollen wir unser Gebäude bestmöglich nutzen“, fuhr er fort.
„Ja“, stimmte Holly ihm zu. „Unsere Kapazitäten sind ausgeschöpft. Es ist einfach kein Platz mehr für zusätzliche Gäste bei einem Hochzeitsempfang im Gottesdienstraum oder für ein gemeinsames Mittagessen mit den Gemeindemitgliedern.“ Sie stieß ihn in die Seite. „Und die Tanzfläche ist auch viel zu klein.“
Er lächelte.
Das war natürlich ein Argument. Die Tanzfläche musste groß genug sein. Er und Holly tanzten für ihr Leben gern. Und nachdem sie nun offiziell verlobt waren, hoffte er auf viele Gelegenheiten für dieses Vergnügen.
Seine romantischen Gefühle für Holly waren bei einer Hochzeit aufgeflammt. Seit fünfundzwanzig Jahren war sie seine Sekretärin. Sie hatte ihn in den schwierigen Jahren, als seine Frau so krank gewesen und schließlich gestorben war, begleitet. Sie war während der Jahre der Trauer an seiner Seite gewesen. Und dann war der Moment gekommen, als er sie auf der Tanzfläche angeschaut und plötzlich mit ganz neuen Augen gesehen hatte.
Jeremy fasste Holly um die Taille und tanzte mit ihr ein paar Schritte durch den Flur. Sein Projekt war für den Augenblick in den Hintergrund getreten. Sie strahlte ihn an, und er lächelte zurück. Nach dem Tod seiner Frau war er nicht davon ausgegangen, dass er sich noch einmal verlieben würde.
Noch ein letztes Mal wirbelte er Holly herum und ließ sie schließlich los.
„Wieder an die Arbeit!“, sagte sie lächelnd. Er konnte sich wirklich glücklich schätzen.
Entschlossen nahm er den Schlüsselbund zur Hand, suchte den passenden Schlüssel und steckte ihn ins Schloss.
Da er nun endlich in die Gänge gekommen war, kehrte Holly ins Büro zurück.
„Alles kannst du durch Christus, der dir Kraft und Stärke gibt“, rief sie über die Schulter zurück, als sie um die Ecke bog.
Und Kraft würde er definitiv brauchen. Seit Jahren räumten die Gemeindemitglieder alles, was sie nicht mehr brauchten, in diesen Lagerraum. Wann immer die Frage aufkam, wo man etwas abstellen könnte, wovon man sich nicht trennen konnte oder wenn der Mut fehlte, es wegzuwerfen, war die Antwort die gleiche: „Stell es doch in den Lagerraum.“
Und was das Schlimmste war: Jeremy hatte es genauso gemacht wie alle anderen. Als die Gemeinde neue Abendmahlskelche bekommen hatte, war er gebeten worden, die alten zu entsorgen. Er hatte gezögert, sich an die vielen besonderen Abendmahlsgottesdienste mit genau diesen Kelchen erinnert und daran, dass seine Frau aus einem dieser Kelche ihr letztes Abendmahl empfangen hatte. Schließlich hatte er gesagt, was auch alle anderen immer sagten: „Wir stellen sie erst mal in den Lagerraum.“
Als die Vorhänge im Pfarrhaus erneuert worden waren, hatte er einen liebevollen Blick auf die alten geworfen. Eigentlich hätte er sie an das Sozialkaufhaus geben sollen, aber er musste an die Frauen im Frauenkreis denken, die diese Vorhänge genäht hatten, und er konnte sich einfach nicht davon trennen. Schließlich war doch noch Platz im Lagerraum, und genau dort waren sie am Ende gelandet.
Sogar die längst nicht mehr aktuellen Gemeindeblätter lagen noch auf den kaputten Stühlen an der Wand. Er konnte sich einfach nicht davon trennen.
Noch immer stand Jeremy vor der Tür zum Lagerraum und scheute sich, den Schlüssel umzudrehen und sich dem zu stellen, was sich hinter der Tür verbarg. In der Kirche gab es keinen weiteren Lagerraum. Diese ganzen Sachen einfach woanders unterzubringen, war also nicht möglich. Im Gemeindehaus war ebenfalls kein Platz. Schwierige Entscheidungen standen ihm bevor. Bei dem Gedanken, einige Sachen wegwerfen zu müssen, lief Jeremy ein kalter Schauer über den Rücken. Er brachte es einfach nicht übers Herz, Dinge wegzuwerfen, die zur Ehre Gottes erschaffen worden waren.
Gestern hatte Holly schon mal zwei Kisten mit alten Vorhängen und einem Sammelsurium von Geschirr weggebracht.
„Ich bringe das in das Sozialkaufhaus“, hatte sie gesagt und die Kisten nach draußen getragen, während er zurückgeblieben war und ihr wehmütig hinterhergeschaut hatte.
„Aber das sind doch die Vorhänge aus dem Pfarrhaus“, hatte er kläglich eingewandt.
„Die sind zwanzig Jahre alt!“, hatte sie erwidert.
Leider waren es nicht nur Sachen, die der Gemeinde gehörten, die er nicht wegwerfen konnte. Auch von den Dingen aus seinem Haushalt konnte er sich nicht trennen, so nutzlos und alt sie auch sein mochten. Ganz besonders nach dem Tod seiner Frau. Er war nicht unbedingt ein Hamsterer, aber er neigte dazu alles aufzuheben.
Da waren zum Beispiel die alten Zeitschriften. Man konnte Klassiker doch nicht einfach wegwerfen. Geschweige denn die Erinnerungsstücke an seine Kinder! Sein Dachboden quoll über vor Plastikbehältern voller Trophäen, Puppen, Spielzeug und alten Sportshirts. All das hatte eine Bedeutung für ihn. Wenn er diese Sachen wegwerfen würde, wäre es, als würde er seine Erinnerungen wegwerfen.
Ein entsetzlicher Gedanke durchzuckte ihn. Natürlich hatte auch Holly einen Haushalt. Neigte sie vielleicht ebenfalls dazu, alles zu horten? War ihr Dachboden etwa auch so vollgestopft mit Erinnerungsstücken? Du liebe Güte! Auf diese so wichtige Frage hatte er schlicht keine Antwort.
Sie hatten einen mehrwöchigen Ehevorbereitungskurs besucht und bei diesen Gesprächen die unterschiedlichsten Themen angesprochen, gegenseitig ihre Persönlichkeiten eingeschätzt und miteinander verglichen. Sie passten gut zueinander – in einigen Bereichen besser als in anderen. Organisation war definitiv sein Schwachpunkt, aber ihre Stärke. Er war introvertiert und gern auch mal allein, sie war extrovertiert und liebte Menschen und Feste.
Sie hatten über vieles gesprochen, aber nicht über … diesen Punkt. Wenn sie genauso viel Kram besaß wie er, dann hatten sie ein Problem. Jeremy nahm sich fest vor, sie danach zu fragen.
Würde Holly seine Sachen in Kisten packen und ebenfalls ins Sozialkaufhaus bringen? Oder schlimmer noch … Er stellte sich vor, wie die Kisten mit seinen Erinnerungen in den Müll wanderten.
„Sei ein Mann“, ermahnte er sich, drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf.
Das Licht aus dem Flur fiel auf ein großes Durcheinander von Gegenständen, die von einer dicken Staubschicht überzogen waren. Jeremy schaltete das Licht ein, doch das Grau blieb. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit und er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Es sah übel aus, aber der Staub war in gewisser Weise sogar hilfreich. Diese offensichtlich schmuddeligen und nutzlosen Dinge zu entsorgen, würde ihm vielleicht doch nicht allzu schwerfallen.
Mit neuem Mut trat er vor und öffnete die erste Kiste. Alte Kassetten mit biblischen Geschichten für Kinder kamen zum Vorschein. Das war leicht. Sie hatten nicht einmal mehr einen Kassettenrecorder, um diese Kassetten abzuspielen. Müll. Er stellte die Kiste in den Flur. Walter, der Hausmeister der Gemeinde, würde sie später zum Müllcontainer bringen.
Danach