Opfer ohne Gewissen. Lasse Blom

Opfer ohne Gewissen - Lasse Blom


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das Friedhofstor passierte.

      „Geht ihr vermutlich sehr nahe“, sagte Leila.

      Munk dachte anders – er hatte Wut in den Bewegungen der Frau gesehen. Aber er sagte nichts. Er speicherte es erst mal ab.

      Sie gingen zu Munks altem Saab, den er in einer Seitenstraße nahe des Friedhofs abgestellt hatte.

      „Wer ist älter – Rune Katt oder dein Auto?“, fragte Leila, als Munk die Tür des Saab 900 öffnete.

      „Wie alt ist Katt geworden?“, fragte Munk.

      „73.“

      „Sie könnten Brüder sein – Katt und mein Auto“, sagte Munk und lächelte.

      „Stiefbrüder“, sagt Leila. „Sie wurden erst verwandt, als dein Auto einen Kattalysator bekam.“

      Sie lachte laut über ihren Witz. Katt und Kattalysator.

      Munk lachte auch, aber mehr darüber, wie laut Leila über einen Witz lachte, den sie erstens selbst gemacht hatte und der zweitens höchst albern war. Wie viele Schweden würden über Katt und Kattalysator lachen? Drei Prozent? Der Rest würde Leila raten, sich mal untersuchen zu lassen.

      Munk sah sie an und lächelte. Er hatte nun drei Frauen mit Humor um sich herum: Leila, Luna und Tove. Eine Kollegin, seine beste Freundin und seine Lebensgefährtin. Gerade jetzt ist das Leben schön, dachte er. Aber er sagte es nicht.

      „Erzähl mir, was im Präsidium passiert ist, während ich im Urlaub war“, sagte er stattdessen. „Haben wir einen Neuen?“

      Hauptkommissar Halldor Selander hatte angekündigt, dass ein neuer Mitarbeiter kommen würde, nachdem der Kollege Achatz Larsson beim Versuch, einen durchgedrehten Mörder festzunehmen, schwer verletzt worden war. Der Mörder hatte eine Stalinorgel gebaut, die er auf Larsson abgefeuert hatte. Munk hatte im Urlaub oft an Larsson denken müssen, und einmal hatte er ihn auch im Krankenhaus besucht. Larsson war noch nicht lange bei der Mordkommission gewesen, aber er war Munk bereits ans Herz gewachsen. Larsson fehlte ihm.

      „Wir haben eine Neue bekommen“, sagte Leila.

      „Eine Frau?“, entfuhr es Munk.

      „Nein, eine Bergziege – die Uniform steht ihr ausgezeichnet.“

      Munk lachte.

      „Sorry“, sagte er. „Wie ist sie? Wie heißt sie?“

      „Sie heißt Kajsa. Sie ist groß, jung, blond, durch­trainiert und selbstbewusst.“

      „Sympathisch?“

      „Sie fängt erst heute an. Ich habe sie einmal auf dem Flur getroffen und mit ihr gesprochen – ich finde, sie ist ein bisschen zu ehrgeizig“, sagte Leila. „Aber Halldor meint, wir bräuchten frischen Wind, denn Grip hätte nur seine Witze im Kopf, ich sei manchmal zu verträumt und du seist nach all deinen Erfolgen träge, fett und selbstzufrieden geworden.“

      „So sehe ich das auch“, sagte Munk, grinste und drückte aufs Gaspedal.

      Als Leila Andersson und Casper Munk im Polizeipräsidium im Stockholmer Stadtteil Kungsholmen ankamen, saßen die alten Kollegen und die neue Mitarbeiterin bereits im Besprechungsraum: der bodenständige Hauptkommissar Halldor Selander, der ausgeglichene Kriminaltechniker Jari Huskonen, der lässige Per Henrik Grip – und Kajsa Tapper. Munk nickte ihr freundlich zu und setzte sich auf seinen Platz neben Selander, den Leiter der Mordkommission.

      „Schön, dass du wieder da bist, Casper“, sagte Selander. „Ich hoffe, du hattest einen erholsamen Urlaub und kannst uns jetzt wieder deine volle Arbeitskraft widmen.“

      Selander redete so. Förmlich. Ironiefrei. Munk hatte sich damit abgefunden. Er mochte ihn trotzdem, vielleicht gerade wegen seiner Ernsthaftigkeit.

      „Das ist Kajsa Tapper“, sagte Selander in Munks Gedanken hinein. „Sie war bisher beim mobilen Einsatzkommando, ich muss euch ja nicht erklären, was sie dort gemacht hat.“

      Die Polizisten schüttelten den Kopf. Beim mobilen Einsatzkommando ging es um verdeckte Observierungen und Zugriffe „in besonderen Bedrohungslagen“, wie es so schön hieß.

      Kajsa Tapper stand auf, um ein paar Worte an die neuen Kollegen zu richten. Munk musterte sie. Kajsa war etwa 1,85 Meter groß, also unwesentlich kleiner als er selbst. Sie war sehr gut trainiert. Munk bemerkte, wie Grip Kajsa musterte. Grip, der seit längerer Zeit Single war, hatte Munk kürzlich gesagt, er sei mittlerweile schon erregt, wenn er von Weitem das Klappern von Stöckelschuhen höre.

      „Ich freue mich, hier zu sein“, sagte Kajsa, „und ich werde mein Bestes geben.“

      Dann ging sie reihum, gab jedem die Hand und blickte den Kollegen dabei in die Augen. Anschließend setzte sie sich wieder auf ihren Platz. Eine sympathische Vorstellung, dachte Munk. Sie schwätzt nicht. Und sie ist offen.

      „Zum Fall Rune Katt“, sagte Selander. „Ich fasse für Casper mal zusammen, was wir haben: Katt wurde vor drei Tagen tot vor seinem Ferienhaus bei Grisslehamn gefunden. Der Nachbar hat ihn dort entdeckt. Er rief sofort die Polizei. Wir sind nach Grisslehamn gefahren und fanden Katt auf dem Boden vor seiner Hütte – mit einem Loch in der Stirn. Jemand hat ihn einfach über den Haufen geschossen. Er wurde nicht gequält, jedenfalls nicht physisch, es war einfach ein Schuss in den Kopf. Fertig.“

      Warum so … so einfallslos, dachte Munk. Mörder töten doch oft und hinterlassen Symbole. Weil sie den Polizisten oder der ganzen Welt etwas sagen wollen. Munk hatte wenigstens erwartet, dass man den ehemaligen Torwart mit zwei angespitzten Stollen an die Querlatte eines Tores nageln würde. Oder dass man ihm zwei Torwarthandschuhe in den Mund stopfen würde, bis er erstickte. Oder dass …

      „Der Todeszeitpunkt war zwischen 15 und 17 Uhr“, fuhr Selander fort.

      „Irgendwelche Spuren?“, fragte Munk.

      Der Hauptkommissar schüttelte den Kopf.

      „Keine Waffe, kein Fußabdruck, kein verdächtiger Finger­abdruck, nichts“, sagte er, „aber …“

      Selander rieb sich die Nasenwurzel, als hätte er Kopfschmerzen.

      „Aber was?“, fragte Munk.

      „Die Kugel, die Rune Katt getötet hat, war angemalt“, sagte Selander.

      „Ich rate mal“, sagte Munk. „Der Ex-Torwart wurde mit einer Kugel getötet, auf die der Täter weiße und schwarze Rautenmuster gemalt hatte – Muster, wie man sie von den alten Fußbällen kennt.“

      „Ich würde gerne ernsthaft über den Fall reden“, sagte Selander trocken. „Nein, sie hatte kein Rautenmuster, sondern eher Streifen. Und sie wurde nicht schwarz und weiß angemalt, sondern sehr bunt. In den Regenbogenfarben.“

      „Rot, orange, gelb, blau, grün, violett – die Farben der Homosexuellen“, sagte Grip. „Wir haben deshalb schon mal recherchiert, ob Katt vielleicht schwul war, sich aber nie geoutet hat. Seine Ex-Frau, die Tochter und seine Freunde haben dies verneint.“

      „Und seine Freundin?“, fragte Munk.

      „Sie lebt in Lappland, wir haben sie noch nicht erreicht“, sagte Selander. „Außerdem hatten sie sich vor einiger Zeit getrennt.“

      „Zeig mal bitte die Kugel“, sagte Munk zum Kriminaltechniker Jari Huskonen.

      Huskonen schob die Kugel, die in einer Klarsichthülle steckte, hinüber zu Munk.

      Munk sah sich die Kugel kurz an. Ärger stieg in ihm hoch.

      „Da sind zwar Regenbogenfarben drauf“, sagte er, „aber nicht so viele wie bei der Flagge der Homosexuellen, sondern nur rot, grün, gelb und blau.“ Dann äußerte er seine Vermutung: „Das sind die Farben der Sami!“

      „Die Farben der Sami?“, riefen Leila, Kajsa, Grip und Huskonen. Sie schauten Selander an. Der schwieg


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