Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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       Forschungsstand

      Diesen Mangel an Verbindlichkeit und auch an Vergleichbarkeit des deutschen militärischen Kunstschutzes im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg beobachtet auch die neuere Forschung, deren Fragestellungen, Erkenntnisse und Unzulänglichkeiten im Folgenden skizziert werden sollen. Es wird dabei jeweils hervorzuheben sein, welche Forschungslücken die vorliegende Arbeit im Rahmen ihrer Gesamtkonzeption zu schließen beabsichtigt. Dabei wird zunächst die wichtigste Literatur zum Thema Kunstschutz in Serbien und anderen deutsch besetzten Gebieten zu berücksichtigen sein. Danach gilt es, die zentralen Arbeiten über die deutsche Besatzungsherrschaft in Serbien zu präsentieren. Schließlich soll auch die für die vorliegende Arbeit relevante Literatur zu Wissenschaftlerkarrieren im Nationalsozialismus kurz vorgestellt werden. Diese Reihenfolge soll keinesfalls von der Person Reiswitz weg-, sondern, ganz im Gegenteil, zu ihr hinführen. Hinzu kommt, dass von einem „Forschungsstand“ zu Reiswitz nicht gesprochen werden kann, da es, abgesehen von zwei Nachrufen in wissenschaftlichen Publikationen, bislang keine biographische Sekundärliteratur zu ihm gibt.14

      Seitens des deutschen Kaiserreiches wurde im Ersten Weltkrieg zwar im besetzten Nordfrankreich und Belgien Kunstschutz betrieben, doch bestand ein Unterschied zwischen den beiden Wirkungsräumen allein schon darin, dass Belgien unter deutscher Zivil-, Nordfrankreich aber unter Militärverwaltung stand. In beiden Gebieten – dies war eine Gemeinsamkeit – fehlte es an einem „programme préalable“ seitens der Besatzer.15

      Es wird mit dieser Studie nicht beabsichtigt, einen Vergleich zwischen den Kunstschutzkampagnen der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg in Südosteuropa und dem deutschen Kunstschutz in Serbien 1941–1944 zu leisten, zumal, wie zuletzt im Mai 2018 auf einer Tagung in Berlin über Kunstschutz im Ersten Weltkrieg festgestellt wurde, der Kunstschutz im Ersten Weltkrieg auf dem Kriegsschauplatz Balkan bislang „wenig Beachtung“ fand.16 Symptomatisch ist dafür schon der Titel des Aufsatzes von Popović, „The Forgotten Expeditions of the Central Powers in South-East Europe during World War I“.17 Den Forschungsstand zum Kunstschutz auf dem genannten Kriegsschauplatz referieren die Herausgeber im Eingangsaufsatz ihres 2017 erschienenen Sammelbandes.18

      Die Abwesenheit einer verbindlichen Richtschnur für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten führte im Zweiten Weltkrieg dazu, dass die Kunstschützer vor Ort eher reagierten denn agierten, wie es Fuhrmeister19 schon im Mai 2010 in München auf einer Tagung über den deutschen Kunstschutz in Norditalien im Zweiten Weltkrieg feststellte. Fuhrmeister war es auch, der den übrigen Teilnehmern Folgendes auftrug: „The first major objective of research into German military art protection in Italy is to collect and assemble the widely scattered documents. Furthermore, analyzing private notes and reconstructing the lives of the members of the art protection project as completely as possible are essential to a nuanced evaluation of the measures taken. This is because they could contain information about the frictions between the regime and the executing individuals.“20 Dieser Aufforderung versucht die vorliegende Arbeit nachzukommen, allerdings nicht auf Norditalien bezogen, sondern auf Serbien.

      Die Münchener Tagung fand im Gebäude des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI) statt, dem ehemaligen Munich Collecting Point.21 In der Bibliothek des ZI entdeckte Fuhrmeister zwei Berichte aus der Feder von Reiswitz, verfasst 1943 bzw. 1944, die er als Grundlage seines Aufsatzes über den Kunstschutz in Serbien nahm.22 Obgleich Fuhrmeister nur für sich beansprucht, „ein Desiderat zu skizzieren“, fällt er dennoch ein dezidiertes Urteil. Der Kunstschutz in Serbien scheine „stets vom Primat einer deutschen Überlegenheit – in kultureller wie in wissenschaftlicher Hinsicht – durchdrungen gewesen zu sein“ und die „wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit“ sei nur „zum bloßen Vorwand“ geworden. Dieses Urteil versucht die vorliegende Arbeit unter Rückgriff auf eine erweiterte Quellenbasis, die u.a. auch die von Fuhrmeister gewünschten „private notes“ umfasst, auf den Prüfstand zu legen.23

      Fuhrmeister behauptet, Reiswitz sei im Januar 1940 Mitglied der NSDAP geworden.24 Dies trifft nicht zu, wie eine Nachfrage des Verfassers beim Bundesarchiv in Berlin ergab.25 In einem undatierten Schreiben aus dem Nachlass an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität München, den Ägyptologen Alexander Scharff (1892–1950), welches vom Kontext her aus dem Jahre 1946 stammt, legte Reiswitz allerdings dar, dass vom 13.11.40–30.06.41 eine „Parteianwärterschaft“ seinerseits bestand.

      Ein von Fuhrmeister 2016 nicht beachteter Beitrag zum Kunstschutz in Serbien stammt von Vujošević aus dem Jahre 2002, der im Freiburger Militärarchiv im Bestand „Territorialbefehlshaber Südost-Europa“ auf weitere drei Reiswitz’sche Kunstschutzberichte, diesmal aus dem Jahre 1941, stieß. Anders als Fuhrmeister enthielt er sich allerdings einer Bewertung der Arbeit des Belgrader Kunstschutzes, sondern bot die Texte lediglich mit einigen erläuternden Bemerkungen in serbischer Übersetzung dar.26 Vujošević schreibt in der Zusammenfassung seines Textes, dass es allerdings an weiteren Quellen mangele.27 Diesen Misstand wird die vorliegende Arbeit versuchen, im Rahmen und als Folge des oben beschriebenen Forschungsprogramms zu beheben.

      Die dritte Abhandlung über den Kunstschutz in Serbien wurde von Kott vorgelegt. Sie berücksichtigte die Vorarbeiten von Vujošević und Fuhrmeister, konnte aber zusätzlich auf die Ergebnisse von Bandović eingehen, der sich des sogenannten „Musealkurses“ annimmt, welcher unter der Ägide von Reiswitz zur Schulung des serbischen Wissenschaftlernachwuchses 1942 erstmalig ermöglicht wurde. Ferner befasst sich Bandović mit der Einrichtung eines Amtes für Denkmalschutz seitens des Kunstschutzes und den archäologischen Grabungen auf der Belgrader Burganlage, dem Kalemegdan. Den „Musealkurs“ beurteilt er wie folgt: „The course became the turning point in the history of archaeology, a sort of parallel university in the occupied city“. Aus ihm ging eine „whole generation of post-war archaeologists, art historians and architects“ hervor.28 Der Einfluss von Reiswitz, auch aufgrund der Kalemegdangrabungen, spiegelt sich zudem in der methodologischen Ausrichtung der jugoslawischen Archäologie der Nachkriegszeit wieder: „The symbiosis developed before and during the WWII between German and Serbian archaeology did not disappear during the post-war period.“29

      Kott schließt sich dem Urteil von Bandović an, erweitert es sogar noch um andere modernisierende Aspekte der Kunstschutztätigkeit von Reiswitz: „Nicht nur die Nachwuchsausbildung, sondern auch die Interdisziplinarität bzw. das Zusammenwirken unterschiedlicher Behörden und Ebenen sowie der Einsatz weiblicher Wissenschaftler“ sei [von Reiswitz] „gefördert“ worden. Zu diesem Ergebnis kommt Kott durch die Hinzuziehung weiterer Primärquellen, vor allem des mittlerweile erschlossenen Archivbestands zum Thema Kunstschutz im Nachlass Metternich, der sich im Archivdepot der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven befindet. Ferner hat sie die Akten zur Ausgrabung von Reiswitz und dem Archäologen Wilhelm Unverzagt am Ohridsee im heutigen Nordmazedonien im Archiv des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte teilausgewertet. Sie revidiert das äußerst negative Urteil Fuhrmeisters über die Kunstschutzarbeit von Reiswitz und bescheinigt ihm, „eher ‚zivile‘ Verhaltensweisen verfolgt“ und „seine serbischen Partner durchaus als Partner betrachtet zu haben.“ Sie klassifiziert das Wirken von Reiswitz dann aber dennoch nach Hachtmann30 als „neokolonialistische Praxis wissenschaftlicher Durchdringung unter nationalsozialistischen Vorzeichen“, wobei sie letztere besonders in der Zusammenarbeit Reiswitz’ mit der SS-Forschungseinrichtung „Das Ahnenerbe“ sieht.31

      Kott kann bislang sicherlich als die Doyenne der internationalen Kunstschutzforschung bezeichnet werden, nicht nur wegen ihrer Publikationsdichte, sondern auch wegen der zeitraum- und territorial übergreifenden Spannbreite ihrer Arbeit. Sie ist die bislang einzige, die den Versuch unternahm, den deutschen Kunstschutz des Ersten mit dem des Zweiten Weltkriegs am Beispiel des besetzten Frankreichs zu vergleichen und kam zu folgendem Ergebnis: „Von einem Weltkrieg zum anderen hatte sich der ’Kunstschutz’ von einer Abteilung ohne echten Status, Personal und Material zu einer zentralisierten, gut organisierten und materiell abgesicherten militärischen Einrichtung entwickelt. Die Motivationsfaktoren, die in beiden Fällen zu seiner Schaffung seitens der Machthaber führten, waren


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