Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


Скачать книгу
von Oberkriegs- bzw. Militärverwaltungsräten und darunter gibt es ebenfalls keine wissenschaftlichen Arbeiten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die aber in keinem Fall an eine biographische Studie heranreichen.56

      Wie an einer Gesamtdarstellung der nichtmilitärischen Arbeit der deutschen Verwaltung im besetzten Serbien fehlt es auch an einem opus magnum zur Politik der Kollaborationsregierung. Überzeugende Vorarbeit hat hier Stojanović geleistet.57

      In Abwesenheit struktureller Verbindlichkeit ergeben sich individuelle Handlungsspielräume, da letztlich politische Entscheidungen „nicht von Strukturen, sondern von Menschen getroffen“58 werden. In den Jahren 1941–44 wurden im besetzten Serbien viele der unheilvollsten Entscheidungen von österreichischen Militärs getroffen. Diese Diagnose stellt Manoschek und gibt dabei sogar den „cool tone“ – so Steinberg – des Historikers auf: „Manoschek is particularly angry at his fellow Austrians.“59 Viele dieser österreichischen Offiziere waren bereits im Ersten Weltkrieg in Serbien in Erscheinung getreten und trachteten nun nach Genugtuung für die von ihnen als Schmach empfundene Niederlage.60 Der erste Chef der Militärverwaltung, der aus Hessen stammende Jurist Harald Turner, zeichnete sich allerdings eher durch seine antisemitische denn serbophobe Grundhaltung aus und vermochte schon im August 1942, nachdem die Mordaktionen abgeschlossen waren, Serbien für „judenfrei“ zu erklären.61

      Konnte bei dieser Konstellation ein preußischer Baron dienstlich reüssieren, der es als Historiker strikt ablehnte, „eine heranwachsende Generation in den Vorurteilen der Habsburgischen Monarchie … zu erziehen“62, und zu dessen engsten Freunden ein Berliner und ein Belgrader Jude zählten? Konnte ein zu fünfzig Prozent Kriegsversehrter mit nach Aussage des dritten Chefs der Militärverwaltung „fraglicher“63 soldatischer Eignung, dem noch kurze Zeit vor seinem Amtsantritt als Leiter des Kunstschutzes in Serbien der spätere Rektor der Universität München „unmännliche Unentschlossenheit“ attestiert hatte, erfolgreich wirken? Vermochte ein Mann, dem nach seiner Ankunft in Belgrad im Juli 1941 mehrfach nachgesagt wurde, Freimaurer und Serbenfreund zu sein, seine Aufgabe als einziger Kunstschützer im Lande so erfüllen, dass er 2014 in der offiziellen Geschichte des serbischen Militärmuseums als „Lichtgestalt in deutscher Uniform“64 etikettiert wurde? Konnte der schwächliche Serbenfreund und seit mehreren Jahren erfolglos um eine Dozentur kämpfende parteilose Südosteuropahistoriker im Range eines Majors seinen ganz persönlichen Plan der Denkmalspflege, den er siebzehn Jahre zuvor bereits zu konzipieren begonnen hatte, als Angehöriger einer Wehrmacht, die in Belgrad 1941 rund 4.750 Geiseln erschoss,65 im Alleingang in die Tat umsetzen?

      Studien, die das Wirken einzelner Wissenschaftler zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland erhellen, sind keine Seltenheit,66 insbesondere nachdem das wissenschaftliche Genre der Biographie in Deutschland wieder verstärkt salonfähig wurde.67 Zunehmend werden einzelne Gelehrte nicht mehr ausschließlich entweder als Opfer, Täter oder Mitläufer gesehen. Es ist erkannt worden, dass viele Forscher versuchten, die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik, der ein „Masterplan“68 fehlte, für ihre eigenen Ziele zu nutzen. Diese Ziele konnten sowohl wissenschaftlicher Natur sein als auch persönliche Ambitionen in den Vordergrund stellen. In der Regel handelte es sich aber um ein Wechselspiel bei der Nutzung von Ressourcen.69 Die Minderheit der bislang untersuchten Wissenschaftler war schon fest im Wissenschaftsbetrieb etabliert, sei es in den Universitäten, oder auch in bestehenden oder nach 1933 neu geschaffenen Forschungseinrichtungen. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu ergründen, wo der Münchener Südosteuropahistoriker Johann Albrecht von Reiswitz in diesem Zusammenhang zu verorten ist. Insofern kann sie auch einen Beitrag leisten zur Erforschung der Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität zur Zeit des „Dritten Reiches“.

      Historikerkarrieren im Nationalsozialismus haben ebenfalls das Augenmerk der Forschung auf sich gezogen.70 Eine Vielzahl von Studien widmet sich der Frage nach dem aktiven Beitrag von Geschichtswissenschaftlern bei der Legitimierung und Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft.71 Auch die Gruppe der Ost- bzw. Südosteuropahistoriker hat dabei bereits Aufmerksamkeit erfahren72, wobei in der Regel die Tätigkeit der Ordinarien oder aber die Arbeit bestimmter Forschungseinrichtungen unter die Lupe genommen wurde. In ihrer Arbeit über den Osteuropahistoriker Peter Scheibert (1915–1995) kommt die Autorin zu dem Schluss, dass wegen der signifikanten Ambivalenzen, Kontinuitäten und Widersprüche „für die Zeit des ‚Dritten Reiches‘ und auch für die Frage nach der … Motivationsstruktur die Biographie eines Historikers in jedem Einzelfall zu hinterfragen ist.“73 Dieser Aussage schließt sich der Verfasser an.

       Quellen

      Der private Nachlass – im Folgenden schlicht „Nachlass“ – von Johann Albrecht von Reiswitz, der dem Verfasser durch die Familie des 1962 Verstorbenen zu Studienzwecken übergeben wurde, ist zwar fragmentarisch und ungeordnet, doch umfasst er eine reichhaltige Überlieferung an sowohl privatem als auch dienstlichem Schrifttum, das erstmalig zu Forschungszwecken herangezogen werden konnte und die Quellenbasis der Arbeit bildet. Dokumente aus dem Nachlass werden dergestalt zitiert, dass sie im Fußnotenapparat eindeutig identifizierbar bleiben. Bei Briefen werden z.B. das Datum und die Namen von Absender und Empfänger genannt, ohne allerdings in jedem Einzelfall den Nachlass als Quelle anzugeben.74 Alle Archivalien hingegen, die nicht aus dem Nachlass stammen, werden gemäß der üblichen wissenschaftlichen Verfahrensweise zitiert.

      Reiswitz hatte die Gewohnheit, auch von seiner Privatkorrespondenz Durchschläge zurückzubehalten. Mehrere hundert Kopien von Briefen an seine Frau konnten in dieser Form ausgewertet werden. Seine Briefe aus Belgrad in den Jahren 1941–44 beinhalten sowohl private wie dienstliche Komponenten.75 Da die Originale wohl verloren gegangen sind, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob und inwieweit die Briefe an seine Frau und an eine geringere Zahl weiterer privater Empfänger, wie seine Mutter oder eine enge Freundin, der Militärzensur unterlagen. Auffällig ist, dass er durchaus, wenn auch in der Regel nicht zu detailliert und oft in Anspielungen, Kritik an der deutschen Besatzungpolitik bzw. einzelnen Vertretern der Militäradministration übte. Die Briefe an seine Frau Erna Böcks (1906–1988) dienen in dieser Studie weniger einer psychologischen Evaluation von Reiswitz, wozu sie durchaus herangezogen werden könnten, da er in ihnen häufig auf seine Sorgen und Nöte als Besatzer einging. Sie bieten vielmehr eine ausgezeichnete Grundlage dafür, persönliche Schwerpunkte, die er seiner Arbeit als Kunstschützer setzte, zu ermitteln. Sie können damit als Korrektiv zur dienstlichen Korrespondenz dienen. Generell kann von einem hohen Glaubwürdigkeitsgrad der Briefe von Reiswitz an seine Frau ausgegangen werden, die ihm ebenfalls regelmäßig an seine Feldpostadresse schrieb. Die Briefe von Erna von Reiswitz, „Böckschen“, wurden hier aber nicht ausgewertet, da sie inhaltlich fast ausschließlich um rein private Themen kreisten. Von einer Analyse der Beziehung der Eheleute zueinander oder der von Reiswitz zu seinen Kindern ist angesichts der Fragestellungen dieser Arbeit ebenfalls abgesehen worden. Aus der Ehe mit Erna Böcks ging der Sohn Stefan (geb. 1931) hervor. Die Ehe wurde 1948 geschieden. Ein Jahr später heiratete Reiswitz Elisabeth Reichel (1918–1995). Aus dieser zweiten Ehe stammen der Sohn Christoph (geb. 1950) und die Tochter Bettina (geb. 1956).

      Hinzu kommen aus dem privaten Nachlass Durchschläge von Briefen an diverse Einzelpersonen, die einerseits häufig aus dem Bereich der Wissenschaft stammen, andererseits aber auch romantische billets doux umfassen. Zum Teil ergänzen sich Reiswitz’ Durchschläge mit den Originalbriefen seiner Korrespondenzpartner, so dass streckenweise ein vollständiger Briefwechsel erhalten geblieben ist. Für die Rekonstruktion der Genese von Reiswitz’ Interesse an Serbien war insbesondere die Auswertung von Reiswitz’ Korrespondenz mit Vida Davidović, einer jungen Serbin aus dem heutigen Zrenjanin, von Bedeutung.

      Neben Briefen finden sich im Nachlass auch tagebuchartige Aufzeichnungen. Diese reichen von unvollständig erhaltenen Dienst- und Taschenkalendern hin zu längeren, teilweise sehr intimen Tagebuchnotizen. Den Aussagen seiner Kinder zufolge führte Reiswitz regelmäßig privat Tagebuch, doch sind nur gewisse Jahrgänge und auch diese nicht immer vollständig erhalten.76


Скачать книгу