Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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wichtige Rolle. Doch in beiden historischen Situationen war der sicherlich authentische Wille der Beteiligten nach Bewahrung des Kunsterbes der besetzten Länder im Rahmen der völkerrechtlichen Verträge und im Namen des Weltkulturerbeschutzes für die Rechtfertigung einer Kunstschutzorganisation nicht ausschlaggebend.“32 Es gilt zu überprüfen, ob dieses Urteil auch auf Serbien zutrifft.

      Während Kott 2007 den deutschen Kunstschützern im Zweiten Weltkrieg zumindest noch „authentischen Willen“ zusprach, so hat sich in jüngster Zeit dieses Bild, vorsichtig ausgedrückt, negativiert. Bandović sieht nun in Reiswitz jemanden, der im Sinne von Ian Kershaw lediglich dem „Führer entgegenarbeitete“33. Fuhrmeister geht in seiner jüngsten Publikation sogar noch darüber hinaus und postuliert, das die „wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit“ in Serbien unter Reiswitz „streng genommen zum bloßen Vorwand“34 geworden sei. Auch diese Einschätzungen werden unter die Lupe zu nehmen sein.

      Die Kunstschutztätigkeit, die außer in Frankreich und Serbien in der dem OKH unterstehenden institutionalisierten Form auch in Griechenland35 und Norditalien36 stattfand, wurde bislang nur in Aufsatzliteratur untersucht. Eine Monographie von Fuhrmeister dazu ist im September 2019 erschienen, konnte aber aus Zeitgründen hier nicht mehr in Bezug auf Italien ausgewertet werden.37 Für die Universität Trier bereitet Raik Stolzenberg eine Dissertation unter dem Titel „Der ‚Kunstschutz‘ der deutschen Wehrmacht im besetzten Griechenland (1941–1944)“ vor. In Griechenland arbeitete der militärische Kunstschutz eng mit dem Deutschen Archäologischen Institut38 gegen die Bestrebungen des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg39 zusammen. Letztlich setzten sich nach Gaertringen die Kunstschützer durch.40 Kankeleit folgt zum Teil dieser Sichtweise: „Festzuhalten bleibt, dass während der Besatzungszeit kein systematischer Raub oder eine von oben verordnete Zerstörung der Antiken stattgefunden hat.“ Andererseits aber moniert sie die Ignoranz der Archäologen gegenüber den Schattenseiten der Besatzung: „Die in Griechenland tätigen deutschen Archäologen waren Repräsentanten eines gebildeten Großbürgertums philhellenischer Prägung. Sie profitierten von der nationalsozialistischen Ideologie, die ihre ‚geistige und kulturelle Überlegenheit‘ gegenüber anderen Völkern manifestierte. Mit staatlicher Unterstützung konnten sie sich auf ihre archäologischen Aktivitäten konzentrieren und alle Verbrechen, die in der direkten Umgebung stattfanden, ignorieren.“41 Trifft diese Diagnose auch auf Serbien zu?

      Floudas Aufsatz ist eine Fallstudie über den auf Kreta tätigen österreichischen Kunstschützer August Schörgendorfer (1914–1976). Methodisch folgt sie, wie auch die vorliegende Arbeit, dem „paradigmatic shift of emphasis from collective to personal narratives“ und besorgt, ähnlich wie die vorliegende Studie, eine „combined study of official and personal archival testimonies“. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „archaeological research during the Nazi regime was not just dictated from above“, wobei der Fall Schörgendorfer auch zeige, „how military and research institutions in totalitarian regimes prevailed over archaeological ethics, and also how their priorities were filtered through personal academic interests and ambitions.“42 Es wird zu überprüfen sein, in welchem Wechselspiel militärische Interessen und die persönlichen Ambitionen von Reiswitz sich im Falle des Kunstschutzes in Serbien bewegten. Inwieweit war Reiswitz’ Tätigkeit „dictated from above“?43

      Gesamtdarstellungen der deutschen Besatzungsherrschaft in Serbien liegen in ausreichender Zahl vor.44 Keines dieser Überblickswerke aber widmet sich der Arbeit des Kunstschutzes. Marjanović, der im Jahre 1963 eine Studie des deutschen Besatzungssystems vorlegte, erwähnt lediglich ein nicht näher bezeichnetes „Command for the Gathering of War Booty“45, womit vermutlich der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg gemeint war.

      Gegen Ende seiner 1993 erschienenen Studie über die deutsche Besatzungspolitik in Serbien von 1941 bis 1942 konstatiert der Politikwissenschaftler Manoschek: „Das im NS-System typische institutionelle Chaos gab es auch in Serbien.“46 Obwohl Manoschek in serbokroatischer Sprache verfasste Literatur ignorierte – wie z. B. Kresos ursprünglich 1970 als Magisterarbeit vorgelegte grundlegende Studie über die deutsche Militärverwaltung47 –, so bietet sein Buch doch weiterhin eine hinreichende Einführung in die Struktur der militärischen Besatzung Serbiens. Allerdings befasst sich Manoschek in der Hauptsache nur mit einem der beiden Stäbe des Chefs der Militärverwaltung, dem Kommandostab. Den Verwaltungsstab, innerhalb dessen der Kunstschutz angesiedelt war, behandelt Manoschek nur äußerst kursorisch. Der Nachfolger Harald Turners als Chef der Militärverwaltung, Egon Bönner, wird mit keinem Wort erwähnt. Der Kunstschutz tritt gar nicht in Erscheinung.

      Kresos Abhandlung hingegen widmet sich – anders als neun Jahre zuvor Čulinović48 – detailliert auch und gerade der Arbeit des Verwaltungsstabes. Der 2015 verstorbene Kreso erwähnt auch Bönner und dessen Nachfolger Danckwerts – bei beiden Namen gerät die Schreibweise durcheinander49 – doch fehlt die Nennung von Reiswitz. Die Arbeit des Kunstschutzes beschreibt Kreso als lediglich im deutschen Interesse. Allerdings hebt er hervor, dass der Kunstraub keine „offizielle Aufgabe“ des Kunstschutzes gewesen sei. Dafür sei der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg zuständig gewesen, dessen Tätigkeit in Serbien gestreift wird.50 Trifft dies tatsächlich zu? Oder war der militärische Kunstschutz nicht doch in den Kunstraub verwickelt?51

      Allen bisherigen Darstellungen des Wirkens der deutschen Militärverwaltung in Serbien ist gemein, dass sie sich sich entweder mit rein militärischen bzw. wirtschaftlichen Fragen befassen, oder aber mit der Judenvernichtung. Bislang fehlt eine Gesamtschau, die über den Gesamtzeitraum der Jahre 1941–1944 alle Abteilungen der Militärverwaltung abdeckt, auch das Bauwesen, die Finanzen, die Justiz, das Arbeitsressort und auch die dem SS-Standartenführer Dengel unterstehende Pferdezucht, so dass es noch nicht möglich ist, den Kunstschutz im Kontext der Militärverwaltung zu beurteilen.

      Schlarp gelangte bereits 1986 zu dem Schluss, dass eine „effektive Koordination“ der wirtschaftspolitischen Maßnahmen durch die deutschen Besatzer auch in Serbien an der „Unfähigkeit der nationalsozialistischen Machthaber“ scheiterte. Wie „effektiv“ bzw. „unfähig“ arbeitete der Kunstschutz? Das „Dritte Reich“ konnte nur „marginal“ von der Indienststellung der serbischen Wirtschaft während des Krieges profitieren und erlitt darüber hinaus durch die „ausbeuterische Praxis“ einen erheblichen „Vertrauensverlust“.52 Inwiefern trifft dieses Szenario auch auf den von der Wehrmacht eingerichteten Kunstschutz zu?

      Schlarp weist darauf hin, dass innerhalb der Militärverwaltung die Beamten des Verwaltungsstabes, zu denen auch Reiswitz gehörte, nicht nur die serbische Kollaborationsregierung zu kontrollieren hatten, sondern auch versuchen sollten, die serbische „Bevölkerung für die Sache des Reiches zu gewinnen“. Der kulturelle Bereich, zu dem der Kunstschutz gehörte, hatte dabei durchaus Handlungsspielraum, war „sehr viel unabhängiger als etwa das Finanzwesen oder der Bergbau.“53 Konnte der Kunstschutz diese Gelegenheit nutzen?

      Auf den Vorarbeiten von Schlarp fußend, befasst sich Ristović in seiner ursprünglich 1991 erschienenen und 2005 wiederaufgelegten Studie insbesondere mit der deutschen Wirtschaftsplanung in Bezug auf Südosteuropa und kommt zu dem Ergebnis, dass Serbien nur eine passive Rolle zugedacht war und es damit zusammen mit Griechenland in der „neofeudal pyramid of conquered and vassal ‘allied’ peoples and states“ in Südosteuropa den Bodensatz bildete. Allerdings ist die Befundlage nicht eindeutig dahingehend, ob Serbien reiner Agrarstaat und Arbeitskräftelieferant sein sollte oder aber zum deutschen Nutzen innerhalb der anvisierten „Großraumwirtschaft“ auch Nutznießer industrieller Modernisierung hätte sein können. Als aktiver Planer oder gar akzentsetzende Stelle jedenfalls tritt die Belgrader Militärverwaltung, anders als bei Schlarp, bei Ristović kaum in Erscheinung. Auch Erpenbeck hatte in seiner Studie, trotz ihres Titels, die „Militärverwaltung“ nur insoweit im Fokus, als es um rein militärisch-operative Belange ging, die Sache des Kommandostabes waren. Der Verwaltungsstab findet nur kurze Erwähnung.54

      Abgesehen von Brownings Aufsatz über Turner55 fehlt es völlig an biographischen Studien über die Militärverwaltungschefs Bönner und Danckwerts. Selbst der


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