Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth
Leser ein besseres Gespür dafür entwickelt, der Gedankenwelt und dem „Duktus“77 des Protagonisten zu folgen. Ein vielleicht aus platzökonomischer Sicht zu rechtfertigender Verzicht auf solche längeren Passagen oder ihre Kürzung bzw. Paraphrasierung würden dem gewählten methodischen Zugriff nicht gerecht. Dabei gilt es klar zu konstatieren, dass bei aller Würdigung der Quellen diese damit nicht den argumentativen Diskurs der Arbeit beherrschen. Ein weiteres Argument für die Einbindung längerer Zitate ist dem besonderen Umstand schuldig, dass derzeit die im Privatnachlass befindlichen Quellen der Forschung nur schwer zugänglich sind.
Äußerst ertragreich waren die im Nachlass gefundenen Aktenbestände des Kunstschutzes in Serbien, die Reiswitz im September 1944 nach Deutschland transportieren ließ. In den Folgejahren kam es zu unfreiwilligen und freiwilligen Teilabgaben dieser Bestände an verschiedene Archive. Reiswitz übergab auf Befehl der amerikanischen Besatzungsmacht einen Teil der Akten dem Munich Collecting Point, von wo aus diese viele Jahre später ins Bundesarchiv – Militärarchiv gelangten und vom Verfasser erstmalig ausgewertet werden konnten.78 Ein weiterer Teilbestand gelangte nach seinem Tod auf Umwegen in die Bayerische Staatsbibliothek und wurde dort erstmalig von Kott teilinventarisiert und ausgewertet. Ferner beherbergt der Nachlass Reiswitz im Archiv der Universität München mehr als ein Dutzend Kisten, von denen der Verfasser allerdings nur fünf einsehen durfte. Diese beinhalten ebenfalls dienstliche Vorgänge aus der Kunstschutzzeit in Serbien. Detaillierten Packlisten zufolge, die im Bundesarchiv – Militärarchiv überliefert sind, konnte aber dennoch nicht das gesamte Kunstschutz-Aktenmaterial ausfindig gemacht werden, das Reiswitz 1944 nach Deutschland bringen ließ. Ein Teil ist vielleicht auf dem Weg von Serbien nach Deutschland den Kriegswirren zum Opfer gefallen, oder nach dem Tode von Reiswitz vernichtet worden. Gut möglich ist es auch, dass ein Teil des Materials in Serbien verblieb, da Reiswitz auf eine Fortsetzung seiner Arbeit durch den serbischen Denkmalschutz hoffte. Oder aber die fehlenden Bestände befinden sich in den nicht zugänglichen Kisten des Archivs der Münchener Universität. Es wäre wünschenswert und entspricht auch dem Willen der Nachkommen, wenn der private Nachlass, der sich momentan noch beim Verfasser befindet, und die Nachlässe in der Staatsbibliothek bzw. im Universitätsarchiv zusammengeführt werden könnten.
In Serbien wurde das Archiv der Stadt Belgrad konsultiert, wo Spuren von Reiswitz auszumachen waren, ferner das Archiv Serbiens mit seinen Beständen über die Arbeit des serbischen Unterrichtsministeriums79 in Verbindung mit dem Kunstschutz, der Fond Marambo im Archiv Jugoslawiens, wo sich Dokumente über den Archivschutz finden, das Archiv des Museums in Zrenjanin, wo die Fundstücke der vom Kunstschutz organisierten Grabung von Crna Bara liegen. Das Archiv der Matica Srpska in Novi Sad beherbergt die Kriegstagebücher des Reiswitz-Freundes und Staatsarchivdirektors Milan Jovanović Stojimirović und die Außenstelle des Archivs der Serbischen Akademie der Wissenschaften in Sremski Karlovci den Nachlass des Archäologen Miodrag Grbić.
Ferner wurden diverse Archivalien aus Deutschland ausgewertet. Am reichhaltigsten sind sicherlich die Bestände des Bundesarchivs in Berlin bzw. des Bundesarchivs – Militärarchivs in Freiburg. Ersteres beinhaltet den „Ahnenerbe“-Bestand über die Grabungen in Serbien während des Zweiten Weltkrieges und die Ahnenerbe-Akten der wichtigsten daran beteiligten Wissenschaftler, aber auch die Akten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu den Reiswitz gewährten Stipendien. In Freiburg ruht die militärische Personalakte von Reiswitz ebenso wie ein Teil seiner Lageberichte und der Kunstschutzakten. Aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes wurde Material zur Auseinandersetzung zwischen Reiswitz und Fritz Valjavec herangezogen und die überschaubaren Bestände zum Kunstschutz in Serbien durchgesehen.
Das Bayerische Hauptstaatsarchiv in München führt die Personalakte von Reiswitz, die schon Fuhrmeister heranzog. Im Archiv der Humboldt-Universität liegen die Bestände von Reiswitz’ Promotions- und Habilitationsverfahren, seine Personalakte und seine Dozentenschaftsakte. In der Bibliothek der Humboldt-Universität fand sich auch Reiswitz’ ungedruckte Dissertationsschrift. Das Archiv des Museums für Vor- und Frühgeschichte bewahrt Akten über Reiswitz’ Ohridausgrabung auf, ebenso das Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts, dass auch Akten über die schon vor Kriegsbeginn mit Jugoslawien 1941 geplanten Ausgrabungen am Kalemegdan, ebenso wie auf die Biographica-Mappe des Kunstschutz-Mitarbeiters Friedrich Holste enthält. Um die Ohridgrabung geht es auch in der Korrespondenz von Wilhelm Unverzagt, die im Archiv der Römisch-Germanischen Kommission in Frankurt am Main aufbewahrt wird. Im Berliner Geheimen Staatsarchiv ist das Reiswitz vom preußischen Kultusminister über Jahre hinweg gewährte Stipendium dokumentiert.
Hinzu kommen Archivalien aus dem Archiv des Peabody Museum for Archaeology and Ethnology in Cambridge, USA, über die Reise des Reiswitz-Konkurrenten Fewkes in Mazedonien und ein Hinweis zu Fewkes aus dem Archiv der University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology. Schließlich wurden die Direktionsakten des Österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien konsultiert, welche Auskunft über die Arbeit des Archivschutzes in Belgrad geben.
Über den Privatnachlass Reiswitz und die archivalischen Quellen hinaus wurde für die vorliegenden Studie eine Vielzahl von zeitgenössischen, vornehmlich jugoslawischen Zeitungsartikeln ausgewertet, die in der Bibliographie nicht im Einzelnen nachgewiesen, aber in den Fußnoten dokumentiert sind. Zitate in serbokroatischer Sprache wurden vom Verfasser in der Regel ins Deutsche übertragen.
Methodik
Die vorliegende Untersuchung geht im Wesentlichen biographisch vor. Dieses Genre wird – so zumindest urteilt Ernst Peter Fischer – in Deutschland vernachlässigt: „Wissenschaftshistoriker lassen hierzulande lieber ihre Finger von Würdigungen in Gestalt von Lebensbeschreibungen.“80 Sie versteht sich aber nicht als klassische Biographie eines „großen“ Wissenschaftlers. Reiswitz veröffentlichte zeit seines Lebens lediglich eine Monographie und eine sehr überschaubare Zahl kleinerer Schriften. Als Hochschulprofessor wirkte er in München nur vierzehn Jahre. Auch wird das Leben von Reiswitz weder in allen Einzelheiten noch stringent chronologisch rekonstruiert. So kommt es kapitelbezogen zu thematisch bedingten, zeitlichen Überlappungen.
Doch das biographische Genre bietet durchaus die Gelegenheit, „eklektizistisch“ zu arbeiten: Eine Biographie „vereint ein Sammelsurium von Ansätzen, Methoden, Erkenntnisinteressen, ohne ein einziges ausschließlich und durchgängig zu verfolgen.“81 Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist daraufhin ausgerichtet, anhand der Person Reiswitz die Eigenart des deutschen Kunstschutzes in Serbien im Zweiten Weltkrieg zu verdeutlichen. Dabei versucht, ähnlich wie Abel, auch diese Arbeit „ein Leben, bzw. repräsentative Abschnitte hieraus, innerhalb der Geschichte zu präsentieren“.82 Viele Aspekte der Vita von Reiswitz werden in diesem Zusammenhang ausgeklammert, wie beispielsweise sein Familienleben, beziehungsweise nur gestreift, wie seine Jugend- und Militärzeit oder die Jahre nach 1945. Es wird der Versuch unternommen, Reiswitz’ „äußeren Lebenslauf“, die auf ihn „einwirkenden historischen und gesellschaftlichen Bedingungen, Prozesse und Ereignisse“ in Verbindung zu seinem „inneren Lebenslauf“83 zu setzen. Reiswitz’ Übernahme des Kunstschutzes der Wehrmacht in Serbien im Jahre 1941 stellt in diesem Zusammenhang sicherlich den Zeitpunkt dar, den Pyta unter Hinweis auf Hähner als „Krise“ beschreibt, eine „Zuspitzung“, in der sich „Individuen neuartige Handlungsoperationen“ eröffnen, in denen „das personale Element in geradezu exemplarischer Weise zum Tragen“84 kommt. Für Reiswitz ergab sich bezogen auf den Kunstschutz ein „biographischer Möglichkeitsraum von bislang ungeahnter Weite“.85
Bei aller Fokussierung auf die Genese des Kunstschutzes ist die vorliegende Arbeit aber auch keine bloße Fallstudie über diesen, da sie versucht, sich seiner spezifischen Vorgeschichte und Praxis, soweit wie methodisch möglich, aus dem Blickwinkel des Protagonisten zu nähern, ohne dabei allerdings die unabdingbare „gewisse Distanz zur biographierten Person“86 zu verlieren.
Ein Ansatz, der für die vorliegende Arbeit in Erwägung gezogen wurde, ist die Netzwerktheorie.87 Allerdings reicht die Quellenlage für eine Analyse nach Düring quantitativ nicht aus.