Umbrae Noctis 1: Jäger und Gejagter. Elian Mayes
stakste Richtung Ausgang. So ganz glauben konnte er es nicht, doch das Licht, das ihren Schutzraum durch ein paar Ritzen erhellte, war wirklich da. Trotzdem war er vorsichtig, als er die Barrikade hinter der Tür öffnete und hinaustrat. Bedacht darauf, beim kleinsten Anzeichen eines Jägers sofort wieder hineinzuspringen. Doch es blieb still. Nichts regte sich.
»Ich glaube, wir haben es wirklich geschafft«, hauchte er und drehte sich zu Annie um, die ebenso zögerlich ihren Kopf durch den Spalt steckte.
»Ja …« Auch sie schien es kaum glauben zu können. Sowohl er als auch Annie zeigten eindeutige Zeichen eines Kampfes, doch Elias sah sie nicht mehr. Für ihn war nur wichtig, dass sie diesen Kampf gewonnen hatten. Was aus den Jägern geworden war, wusste er nicht und es war ihm auch egal.
»Lass uns nach Hause gehen.«
Sie erreichten die Tore Hand in Hand, stützten sich gegenseitig, denn die Nacht hatte ihnen alles abverlangt. Schon von weitem begegneten ihnen misstrauische Blicke. Zwei Sicherheitsleute kamen ihnen sogar mit erhobenen Tasern entgegen. Sicherheitshalber blieb Elias stehen und hob die Hände.
»Bitte … Kein Grund zur Beunruhigung, wir … wir sind bloß gestern nicht mehr rechtzeitig hineingekommen.«
Ungläubig und noch immer skeptisch wurden sie in Empfang genommen. Jemand scannte ihre IDs und nachdem das System ihre Daten als valide auswarf, senkten die beiden Sicherheitsleute endlich die Taser und führten sie durch die Tore hinein in einen Überwachungsraum.
»Elias Bennett und Annie Collins, richtig?«, wollte einer von ihnen wissen. Elias nickte stumm.
»Ihr beide wart die ganze Nacht über an der Oberfläche?«
Elias nickte noch einmal.
»Kam es zu irgendwelchen Zwischenfällen?«
Abermals ein Nicken.
»Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Junge! Kam es zu einem Kampf mit Jägern?«
Elias hasste es, bloß mit diesen anonymen Uniformen zu sprechen. Den Menschen unter dem chromfarbenen Helm sah man nicht. »Ja.«
Er schloss die Augen und atmete einmal ein und wieder aus. Wieso hatte das nicht Zeit, bis sie ihre Familien informiert und etwas gegessen hatten? In seinem Kopf drehte sich schon alles. Er wollte nur noch nach Hause. Doch er wusste, er würde diesem Verhör nicht entkommen. Stockend sprach er weiter: »Wir haben uns in einer der alten Ruinen in einem Keller versteckt. Dort wurden wir von den Jägern aufgespürt. Wir sind geflohen und sie hätten uns beinahe geschnappt. Wir sind nur durch einen glücklichen Zufall entkommen.«
»Was ist mit den Jägern geschehen?«
»Ich weiß nicht.« Elias runzelte die Stirn. »Vermutlich sind sie auf und davon. Oder sie sind noch immer in dem Loch, in das sie gefallen sind.«
Die beiden Sicherheitsleute wechselten bedeutungsvolle Blicke. »Welches Loch? Erzähl genauer.«
Müde erzählte Elias alles, woran er sich noch erinnern konnte. Viel war es nicht mehr, denn die Erschöpfung schlug nun, da sie außer Gefahr waren, erbarmungslos zu. Nur am Rande bekam er mit, dass die Männer auch Annie befragten, doch die sagte keinen Ton mehr. Kreidebleich saß sie auf ihrem Stuhl, die Tasse mit heißem Tee fest umklammert, die jemand ihr in die Hand gedrückt hatte, und starrte geradeaus.
Abwesend folgte Elias den aufgewühlten Sicherheitsleuten mit den Augen. Wie Ameisen liefen sie durcheinander, tauschten Blicke oder Worte. Befehle wurden barsch erteilt, doch keinen davon konnte Elias verstehen. Zahlenkombinationen, Codes oder einfach so schnell, dass sein müder Geist nicht folgen konnte. Es war ihm auch vollkommen egal. Er war fix und fertig. Irgendein Arzt untersuchte ihn von oben bis unten, aber konnte außer ein paar Prellungen und Schürfwunden keinen Schaden feststellen. Die offenen Stellen wurden desinfiziert und verbunden. Um seinen Kreislauf etwas zu stabilisieren, spritzte ihm jemand eine Zuckerlösung.
»Oh mein Gott, Elias! Ich hatte solche Angst um dich!« Elias sah auf, als er die Stimme erkannte. Mrs Marquez stürzte ihrem Sohn entgegen und schob den Arzt mit Nachdruck aus dem Weg. Jemand musste ihr Bescheid gegeben haben. Stürmisch drückte sie Elias an ihre Brust. Normalerweise fühlte er sich für solche Zuneigungsbekundungen zu alt, aber in diesem Fall erwiderte er die Umarmung mindestens ebenso heftig. Er hatte nicht daran geglaubt, die Nacht zu überleben.
»Morgen, Mom.« Er lächelte müde und wischte ihr eine Träne von der Wange. »Mir geht’s gut. Kein Grund zu weinen.«
»Kein Grund zu weinen«, wiederholte sie kopfschüttelnd und schluchzte nun. »Man sagte mir, dass du nach draußen verschwunden bist und nicht wiederkamst. Ich dachte, dass ich dich nie wiedersehen würde! Dass ich dich nicht einmal zu Grabe würde tragen können, weil eines dieser Monster dich …« Sie brach ab und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase.
»Ich weiß«, murmelte Elias. »Das dachte ich auch. Aber ich bin hier und mir geht es gut.« Einzig, dass es ihnen nicht gelungen war, Finja und Celan ausfindig zu machen, trübte sein Glück. Vor allem Annie traf es hart. Sie weinte, als ihr Vater sie abholte, und machte sich schwere Vorwürfe. Ihr Vater weinte gemeinsam mit ihr um Finja, aber kein einziges Wort des Vorwurfes kam über seine Lippen. Er begegnete kurz Elias’ Blick. Sein Lächeln war voller Schmerz, aber zugleich auch Dankbarkeit dafür, dass zumindest Annie wohlbehalten wieder da war.
Es wurde später Nachmittag, bis die Sicherheitsleute sie nach Hause gehen ließen. Immer wieder musste Elias schildern, was in der Nacht geschehen war. Immer wieder wurden seine Vitalparameter bestimmt und einmal wurde ihm sogar Blut abgenommen. Den Grund verriet ihm niemand. Unter normalen Umständen hätte er sich dagegen gewehrt, aber er konnte einfach nicht mehr. Sie hätten ihm die Haare abrasieren können und er hätte nichts gesagt.
Als man sie dann endlich gehen ließ, war er so müde, dass er kaum mehr etwas mitbekam. Wie seine Mutter es geschafft hatte, ihn nach Hause zu bringen, war ihm im Nachhinein ein Rätsel. Ohne zu protestieren, ließ er sich von ihr ins Bett legen und versorgen. Sie brachte ihm etwas Heißes zu trinken, etwas zu essen und schließlich sogar eine Wärmflasche, weil er trotz seiner Decke noch immer fror.
»Ich fürchte, du hast dich erkältet«, murmelte sie, als Elias schon fast eingeschlafen war. »Aber wenn es nur das ist, dann bin ich froh darüber.« Sie strich ihm liebevoll übers Haar und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Das hatte sie zuletzt getan, als er im Alter von sieben oder acht Jahren mit einer fiesen Grippe im Bett gelegen hatte.
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