Umbrae Noctis 1: Jäger und Gejagter. Elian Mayes

Umbrae Noctis 1: Jäger und Gejagter - Elian Mayes


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drückte sich durch einen Spalt und wurde von dem Geruch beinahe überwältigt.

      Es war nicht nur einer, es waren sogar zwei, Kiresh konnte es ganz deutlich riechen. Seine Aufregung stieg. Die Aussicht auf Erfolg ließ ihn ganz fahrig werden. Seray durchquerte den winzigen Raum, Kiresh folgte ihr. Gemeinsam tasteten sich mühsam über den Beton vorwärts, denn hier spürten sie den Boden nur schwach. Es war der Geruch nach lebender Beute, nach Menschen, der sie leitete. Die verrostete Tür war kein Hindernis; geschmeidig glitt erst Kiresh, dann Seray hindurch. Er blinzelte. In diesem Raum war es so dunkel, dass selbst er große Probleme hatte, irgendetwas zu erkennen. Schemenhaft erkannte er Stapel von irgendwelchen Möbeln, aber nichts Genaues. Wenn sie, die Jäger, allerdings nichts sahen, sahen die Menschen erst recht nichts. Kiresh schlich weiter, wich den Tischen und Stühlen aus. Der Geruch war inzwischen sehr intensiv, doch es war nun nicht mehr nur derjenige der Beute, die sie hier irgendwo vermuteten. Kiresh roch auch noch schwach den Kleinen von vorhin und noch mindestens zwei weitere Menschenkinder.

      »Sie sind dort drin«, hauchte Seray ihm so leise zu, dass er sie kaum hören konnte, und deutete auf eine Tür, deren unterer Teil sich fast vollständig dem Lauf der Zeit ergeben hatte. Zum Zeichen, dass er verstanden hatte, nickte Kiresh wortlos, vertraute darauf, dass sie das noch sehen konnte. Zentimeter für Zentimeter schlich er vorwärts. Ob die beiden wussten, dass ihr Ende bevorstand? Oder hatten sie möglicherweise nicht einmal einen blassen Schimmer, dass sie nicht länger allein waren?

      Je näher Kiresh der Tür kam, umso mehr lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Dass er in dieser Nacht zweimal Erfolg haben würde, war unfassbar. Selbst Figh hatte das noch nicht geschafft. Und hier saßen gleich zwei Menschen in der Falle.

      Die letzten Zentimeter legte er im Schneckentempo zurück. Bloß keinen Fehler machen.

      Plötzlich hielt er inne. Etwas klickte.

      Der grelle Lichtstrahl traf Kiresh mitten ins Gesicht und er schrie vor Schmerz auf. Instinktiv riss er die Hände nach oben. Tränen schossen ihm in die geblendeten Augen. Er kniff sie fest zusammen, aber das Brennen wollte nicht verschwinden. Er hörte die Schritte der beiden Menschen, hörte, wie sie leiser wurden, fluchte laut und tastete blind nach der Betonwand.

      »Verdammte Scheiße!« Er war so nah dran gewesen! So nah! Da konnte er sich doch von ein bisschen Licht nicht unterkriegen lassen. Mit einem wütenden Aufschrei sprang er vorwärts, die Hand immer an der glatten Wand. Er konnte den Widerhall der Schritte genau hören. Deren Charakteristik deutete auf eine Art Tunnel hin und sie entfernten sich von ihm. Aber sie waren noch immer bloß Menschen und damit langsam. Viel langsamer, als er oder Seray sein würden, wenn sie sich erst wieder neu orientiert hatten und etwas sehen konnten.

      Allmählich hörten die schwarzen und blauen Punkte vor seinen Augen auf zu tanzen. Kiresh tastete sich vorwärts, schlüpfte durch das Loch in der verrotteten Tür und streckte die Hände nach links und rechts aus, um sich zurechtzufinden. Seine Finger trafen auf feuchte Wände; eine Art Tunnel, wie er vermutet hatte. Seine Schwester folgte ihm auf den Fuß, blieb dicht hinter ihm, während er weiterging.

      Die beiden Menschen flohen noch immer, der Widerhall ihrer Schritte war noch nicht verklungen. Sie waren so gut wie erledigt.

      Mit der Hand immer an der Wand beschleunigte Kiresh seine Schritte. Im Gegensatz zu denen, die er verfolgte, waren sie leise. Für die Ohren eines Jägers schon schwer zu orten, würden die Menschen ihn überhaupt nicht wahrnehmen können. Wenn er es schaffte, sie in Sicherheit zu wiegen, hatte er noch leichteres Spiel mit ihnen. Seray tat es ihm nach. Hätte Kiresh nicht gewusst, dass sie da war, er hätte sie nicht bemerkt.

      Der Tunnel endete abrupt. Der Raum an dessen Ende war winzig und bis auf eine Leiter vollkommen leer. Es schien der Keller eines anderen Gebäudes zu sein. Auch hier waren die Gerüche der beiden Menschen und auch derjenige der Beute von vorhin deutlich wahrnehmbar.

      »Los, da hoch!« Es gab nur diesen einen Weg, also würde er ihn nehmen. Er würde in dieser Nacht nicht noch einmal verlieren! Wenig elegant, aber dafür schnell wie der Blitz, erklomm Kiresh die morschen Sprossen. Oben angekommen, blieb er stehen. Verdammt, wo waren sie hin?

      Seray kam lautlos neben ihm zum Stehen.

      »Da entlang«, murmelte sie und deutete in eine Richtung, in der nichts weiter als Trümmer im Zwielicht zu erkennen waren.

      »Bist du sicher?« Zweifelnd hob Kiresh eine Augenbraue, doch sie nickte entschieden.

      »So sicher, wie ich hier stehe. Hinter diesem Chaos gibt es einen Ausgang.« Woher sie das wusste, war Kiresh schleierhaft, aber solange sie damit recht hatte, war es ihm gleich. Er nickte ihr zu und gemeinsam näherten sie sich dem Haufen aus zerstörtem Mauerwerk und Mörtel. Je dichter sie kamen, umso deutlicher konnte Kiresh einen Lufthauch spüren, der davon ausging. Tatsache. Sein Schwesterchen war doch zu etwas zu gebrauchen.

      Die Lücke war winzig und kaum wahrnehmbar, wenn man sich nur auf seinen visuellen Sinn verließ. Immerhin war sie gerade groß genug, dass Kiresh sich hindurchquetschen konnte. Auf der anderen Seite war der Geruch nach Mensch umso stärker. Er folgte ihm zu einer Treppe, die sich gewindeartig nach oben schraubte. Kiresh legte den Kopf in den Nacken und bleckte die Zähne.

      »Sie sind sicher dort hinauf.« Ein berechnendes Lächeln grub sich wie von selbst in seine Mundwinkel. Wenn die beiden aufs Dach geflohen waren, dann saßen sie in der Falle. Schon wollte er auf die Treppe zu pirschen, da hielt seine Schwester ihn am Arm zurück.

      »Mach dich nicht lächerlich!«, zischte sie ihm zu. »Die Spur führt eindeutig dort hinaus!« Und schon war sie vorausgeeilt und durch einen breiten Spalt im Mauerwerk nach draußen gesprungen. Kiresh verharrte kurz. Sein Blick ging zwischen dem Spalt und der Treppe hin und her. Er hätte schwören können, dass die Spur die Treppe hinaufführte. Tief durchatmend schloss er die Augen, konzentrierte sich nur auf seinen Geruchsinn. Der Geruch seiner Beute war eindeutig in Richtung Treppe zu verorten. Doch nicht nur.. Er musste sich eingestehen, dass Seray schon wieder recht hatte. Mit knirschenden Kiefern flog Kiresh über die Leiter, die auf dem Boden herumlag, und tat es seiner Schwester gleich. Zweieinhalb Meter tiefer rollte er sich mit einem unfreiwilligen Fauchen auf dem unebenen Boden ab. Das würde er noch länger spüren.

      »Seray!« Er zischte den Namen seiner Schwester in die Nacht und knurrte ungehalten. Sie war schon wieder vorgelaufen. Dafür, dass sie vorgegeben hatte, mit ihrem Dasein als Rattenfänger kein Problem zu haben, legte sie sich ganz schön ins Zeug.

      Kiresh rannte los, immer seiner Nase nach. Er bog um eine Ecke, hetzte die Straße hinunter und blieb an einer Kreuzung stehen. Die Gerüche begannen, sich zu vermischen. Es wurde schwieriger zu differenzieren, welche Spur die frischeste war.

      Ein gellender Schrei ließ ihn herumschnellen. Da also!

      Elias’ Brust hob und senkte sich im Rhythmus seines Atems. Adrenalin rauschte durch seine Adern. Ziellos wanderte sein Blick umher. Kurz begegnete er Annies, die ihn aus schreckgeweiteten Augen ansah. Elias wirbelte auf dem Absatz herum, als er das Echo von Schritten von den Wänden der Ruinen widerhallen hörte. Die Tränen der Angst waren inzwischen auf seinen Wangen getrocknet, kalte Panik war an ihre Stelle getreten. Jeden Augenblick drohte sie, ihn zu ersticken. Es wäre so viel leichter gewesen, einfach an Ort und Stelle zu verharren. Vielleicht würde der Jäger es schnell machen, wenn er sich nicht wehrte. Dummerweise war sein Überlebensinstinkt stärker.

      »Komm, da rein!« Elias packte Annies Hand und zog sie in eine der Ruinen. Dunkelheit umgab sie augenblicklich. Stumm betete er, dass er sie nicht gerade beide in eine Sackgasse und damit in den sicheren Tod geführt hatte. Er machte sich keine Illusionen, dass der Jäger sie nicht aufspüren würde. Aber er hoffte, dass sie dieses Versteckspiel lange genug durchhalten konnten, bis der Tag anbrach.

      Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Ohne Annies geistesgegenwärtige Reaktion vorhin im Tunnel wäre es mit ihnen vorbei gewesen. Auch jetzt hatte Elias noch immer panische Angst, dass der Jäger ihnen gefolgt und ganz nah war. Dass er nur auf eine passende Gelegenheit wartete, um zuzuschlagen. Die Sekunden verstrichen, wurden zu Minuten und doch passierte nichts. Lauerte er? Plante er den


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