Projekt Unicorn. Gene Kim

Projekt Unicorn - Gene Kim


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jeden Anflug von Heiterkeit, an Chris. »Okay, das ist gut zu wissen.« Er zeigt Richtung Maxine: »Unsere kluge Systemarchitektin hat gerade gefragt, wie viele Transaktionen Phoenix im Moment bewältigen kann. Und?«

      Chris schaut zu William, der einen Ausdruck hervorholt. »Frisch aus dem Drucker heute Morgen. In unseren Tests verarbeitet Phoenix derzeit etwa fünf Transaktionen pro Sekunde. Alles, was darüber hinausgeht, führt dazu, dass die Datenbankclients aufgrund von Zeitüberschreitungen abstürzen, einschließlich der mobilen Anwendungen … Ich glaube, uns fehlen noch ein paar Datenbankindizes, aber wir haben noch nicht herausgefunden, wo genau …«

      William schaut hoch. »Das ist sehr, sehr schlecht, Chris.«

      Wes wirkt für einen kurzen Moment fassungslos. Und wendet sich dann unverblümt und mit leicht belegter Stimme an Chris: »Wir werden es nicht schaffen, oder?«

      Niemand sagt etwas. Schließlich fragt Bill: »Wes, was brauchst du an Unterstützung?«

      »… ich kann es dir im Moment nicht einmal genau sagen«, antwortet er. »Vielleicht geben wir den Teams einfach etwas Rückendeckung, damit sie weiter fokussiert bleiben können.«

      In diesem Moment hört Maxine eine laute Stimme aus Richtung Tür. »Um das Überleben von Parts Unlimited zu sichern, müssen wir es schaffen, also werden wir es auch schaffen.«

      Oh nein, denkt Maxine. Es ist Sarah Moulton.

      Sie trägt einen hellen, teuer aussehenden gelben Anzug, und ihr Gesicht strahlt dermaßen, dass Maxine sich fragt, wie das überhaupt möglich ist. Die Leuchtstoffröhren im Büro lassen Gesichter normalerweise gräulich und farblos wirken. Maxine mutmaßt, dass Sarah ihrem Make-up möglicherweise Radium beimischt, um sich selbst wie eine Nachttischuhr aus den 1950er-Jahren zum Leuchten zu bringen. Sarah hat einen gewissen gefährlichen Glamour an sich, und jeder im Raum scheint davon gebannt zu sein.

      »Wir bewegen uns in einem schrumpfenden Markt, in dem uns erbitterte Konkurrenten Marktanteile wegnehmen«, stellt Sarah fest. »Ganz zu schweigen von Tech-Giganten wie Amazon und 20 neuen Start-ups, die die ganze Branche aufmischen. Wie Steve schon im Townhall-Meeting erklärte, hatten wir drei Jahre Zeit, uns darauf vorzubereiten. Jetzt ist es für uns an der Zeit, in den Krieg zu ziehen und das zu verteidigen, was uns rechtmäßig gehört.«

      Sie schaut sich im Raum um und sucht nach Anzeichen von Widerstand oder Rebellion. »Das ist die Strategie, für die sich die Führungskräfte dieses Unternehmens entschieden haben. Hat jemand ein Problem damit?«, stellt sie herausfordernd in den Raum.

      Unglaublich, aber Maxine hört sich selbst lachen. Entsetzt hält sie ihren Mund zu. Reiß dich zusammen, Maxine! Schnell versucht sie, ein unschuldiges Gesicht zu machen – wie ein Schüler, der bei irgendeinem Vergehen erwischt wurde. Seit wann interessiert es dich, was Verantwortliche über dich denken?, fragt sie sich.

      Seitdem Chris mich gewarnt hat, mich bedeckt zu halten, erkennt sie. Maxine zwingt sich, Sarah mit einer möglichst ausdruckslosen Vulkanier-Miene anzuschauen, die nur kühle, leidenschaftslose Logik ausstrahlt.

      »Etwas scheint daran komisch zu sein … äh, Verzeihung, und wer sind Sie?«, fragt Sarah und sieht Maxine frostig an.

      »Maxine«, antwortet sie ruhig. »Ich habe gelacht, weil Sie darüber gesprochen haben, warum Sie Phoenix für wichtig halten. Aber in diesem Raum versuchen wir gerade einmal, herauszufinden, wie wir Phoenix überhaupt bereitstellen können.«

      »Was nicht besonders gut läuft«, murmelt Wes mit nervösem Lachen.

      »Ich sehe, dass einige von Ihnen nicht wirklich an unsere Mission glauben«, stellt Sarah fest, alle im Raum taxierend. »Nun, wie ich bereits beim Townhall-Meeting erwähnt habe, sind die Fähigkeiten, die uns bis hierher gebracht haben, nicht unbedingt die gleichen, die uns dorthin bringen, wo wir hinwollen. Als Führungsteam müssen wir herausfinden, ob wir noch die richtigen Leute an Bord haben. Ich werde auf jeden Fall Steve informieren. Ich weiß, dass ihm dieses Release persönlich sehr am Herzen liegt.«

      Als er Steves Namen hört, schaut Chris Maxine ungläubig an und bedeckt dann sein Gesicht mit beiden Händen. Dich zurückzuhalten, hast du ja hervorragend hinbekommen, sagt Maxine zu sich selbst.

      »Okay, Sarah, das reicht«, sagt Bill, während er aufsteht. »Informieren wir Steve über diese Probleme und überlassen wir es dem Team, herauszufinden, wie das Release durchgeführt werden kann. Wir sind hier nur im Weg.«

      »Ja, Steve muss davon erfahren«, sagt sie. Sarah dreht sich um, schaut dann aber zurück zu Maxine: »Ich mag es, dass Sie sagen, was Sie denken.

      Falls Sie irgendwann in dieser Woche Zeit haben, sollten wir zusammen zu Mittag essen. Ich würde Sie gern besser kennenlernen.«

      Was zum … – Maxine versteinert wie ein Reh, das ins Scheinwerferlicht gerät.

      »Als Frauen müssen wir doch zusammenhalten, oder?«, ergänzt Sarah mit einem Augenzwinkern.

      Mit einem erstarrten Lächeln antwortet Maxine: »Äh … danke – ja … gerne.« Sofort hasst sie sich selbst, beschämt darüber, dass so viele Menschen sie so unverblümt lügen hören.

      »Okay, also abgemacht«, reagiert Sarah mit einem warmen Lächeln. »Und falls Sie Unterstützung brauchen, jederzeit gerne.« Sie schaut auf ihr Telefon und sagt: »Das ist Steve. Er will irgendetwas von mir. Ich lasse Sie jetzt in Ruhe. Denken Sie daran, wir alle müssen optimistisch sein.«

      Als Sarah weg ist, atmet Maxine ganz langsam aus und kann nicht ganz glauben, was gerade passiert ist. Sie weiß, wie wichtig es ist, ein großes Netzwerk zu haben, damit man über Kontakte verfügt, die einem helfen können, wenn wichtige Dinge zu erledigen sind. Aber sie ist nicht übermäßig darauf aus, mit Sarah vernetzt zu sein, egal wie einflussreich sie ist. Maxine ist ausgesprochen wählerisch, wenn es darum geht, mit wem sie sich einlässt.

      Die nächste Stunde verbringt Maxine damit, zwischen den verschiedenen Gruppen hin- und herzuspringen, während das riesige Release-Team zu verstehen versucht, was genau zur Sicherstellung des Phoenix-Launchs gebraucht wird. Es gibt mindestens zwölf verschiedene Technologie-Stacks, die bereitgestellt werden müssen, mehr, als Maxine während ihrer Nachforschungen zum Build-Prozess vermutet hatte.

      Sie wusste von den verschiedenen Applikationsservern unter Windows und Linux und den Frontend-Anwendungen, die im Web laufen, aber sie hatte die beiden mobilen Anwendungen (eine für das iPhone und eine für Android) nicht mit in ihre Überlegungen einbezogen. Und alle zusammen greifen auf mindestens zehn verschiedene Backend-Systeme aus dem gesamten Unternehmen zu, bei denen überall Änderungen erforderlich sind, um für Phoenix gerüstet zu sein.

      Sie hatte auch übersehen, dass sich die Anzahl der beteiligten Teams mehr als verdoppelt, wenn man die Teams von Operations in die Zählung miteinbezieht, denn damit all diese Anwendungen in einer Produktivumgebung laufen, sind auch die ganzen Gruppen unverzichtbar, die für Serveradministration, Virtualisierung, Cloud, Speicher und Netzwerke zuständig sind.

      All das erinnert Maxine daran, dass Bereitstellungen in einer Produktionsumgebung zu den komplexesten Prozessen einer Technologieorganisation gehören, weil sie immens viel Koordination zwischen unterschiedlichsten Teilbereichen erfordern. Und bei Phoenix geht es nicht um irgendein beliebiges Deployment – Phoenix soll die Interaktion des Unternehmens mit seinen Kunden komplett umkrempeln.

      Je mehr Maxine mitbekommt, desto schlechter fühlt sie sich. Es scheint unmöglich, dass bei so vielen unterschiedlichen Komponenten beim ersten Mal alles richtig funktionieren wird. Allein um ihre eigene Entwicklungsumgebung einzurichten, musste Maxine eine Unzahl von Tickets öffnen, und sie war damit bisher immer noch nicht erfolgreich. Sie schätzt, dass für die Bereitstellung von Phoenix Hunderte oder vielleicht sogar Tausende von Tickets geöffnet werden müssen.

      Die Projektleiterin in der Gruppe, mit der sie gerade zusammensitzt, fragt: »Brauchen wir nicht auch eine Reihe von Änderungen an der Firewall? Nicht nur für den externen Verkehr. Ich glaube, dass einige dieser Systeme noch nie miteinander kommunizieren mussten …«

      Maxine


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