Magie am Hof der Herzöge von Burgund. Andrea Berlin
auch von den burgundischen Herzögen erhoben wurde. Das prominenteste Beispiel ist hierbei die Ermordung Herzog Johanns Ohnefurcht. Sein Sohn Philipp der Gute erhob angesichts dieses Verbrechens den Vorwurf des Majestätsverbrechens – eine Anschuldigung, die von französischer Seite nicht geteilt wurde.92 Mercier sieht sogar im Zusammenhang mit den städtischen Unruhen der Jahre 1450 – 1458, die hauptsächlich Gent betrafen, Ansätze von Verschwörungen gegen den Fürsten, die sich als Majestätsverbrechen klassifizieren ließen.93 Auch unter Karl dem Kühnen lässt sich verschiedentlich die Äußerung dieses Vorwurfs feststellen,94 was wiederum auf das Selbstverständnis der burgundischen Herzöge des 15. Jahrhunderts als souveräne Herrscher schließen lässt.95 Der Vorwurf des Majestätsverbrechens diente als eine aus dem römischen Recht entlehnte Rechtsfigure, die als Argument herangezogen werden konnte, aber durchaus nicht immer musste. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass auch die burgundischen Herzöge sich dieser Figur bedienten – möglicherweise, aber nicht zwingend, auch, um ihre Stellung gegenüber dem Königtum zu unterstreichen.96 Andererseits ist – darauf hat Blanchard zurecht hingewiesen – die Idee herrschaftlicher Souveränität um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch nicht so ausgeprägt, das mit einer juristisch auch nur einigermaßen zwingenden Argumentation zu rechnen wäre.97
Die Tendenz von Fürsten im Spätmittelalter, Prozesse zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren, hatte zugleich Einfluss auf die Bedeutung dieser Prozesse. Zum einen wirkten sie sich auf die Ausformung der fürstlichen Souveränität aus, denn ein Angriff auf ebendiese Souveränität hätte Konsequenzen auf der Ebene der öffentlichen Ordnung nach sich ziehen können.98 Zum anderen wurde die Öffentlichkeit gerade bei Verbrechen gegen hohe Fürsten instrumentalisiert, um vor eben dieser Verfahren zu begründen oder zu rechtfertigen und um die Vergehen des Angeklagten bekannt zu machen, wie dies auch bei einigen Fällen zu zeigen sein wird, die den burgundischen Erben und späteren Herzog Karl den Kühnen betreffen.99 Die Bedeutung eines politischen Prozesses wuchs dabei proportional zu dem Interesse, das dem Fall in der Öffentlichkeit zukam. Ein Verfahren etwa, das den Vorwurf des Majestätsverbrechens aufgrund der Ausübung von Zauberei gegen den König beinhaltete, konnte sich dabei eines öffentlichen Interesses nicht entziehen, wie die zahlreichen in der Chronistik überlieferten Fälle zeigen. Dazu gehören beispielsweise aus dem Umfeld König Philipps des Schönen (1285 – 1314) die Zaubereivorwürfe gegen Guichard, den Bischof von Troyes, dem der Umgang mit einer Zauberin und die Anwendung von Wachsfigurenmagie und Teufelsanrufung zur Schädigung der Königin nach deren plötzlichem Tod vorgeworfen wurden.100 Dem Vorwurf des Majestätsverbrechens folgte häufig die Verhängung der Todesstrafe. Der prominente Fall des Herzogs Jean d’Alençon zeigt aber, dass diese durchaus auch in Begnadigungen oder in Haftstrafen umgewandelt werden konnten. Jean d’Alençon sah sich durch den Vertrag von Arras 1435 um seine Ziele und Verdienste gebracht und begab sich in Opposition zu Karl VII. Er wurde mehrfach, sowohl unter Karl VII. als auch Ludwig XI., des Majestätsverbrechens beschuldigt und zum Tode verurteilt. Die Gründe für die harten Strafen lagen in der schwankenden Loyalität des Herzogs. Jean kollaborierte mit den Engländern und wurde 1456 von König Karl VII. eingekerkert. Die Todesurteile gegen ihn wurden aber nicht vollstreckt; unter Ludwig XI. wurde er sogar begnadigt. Gegen diesen paktierte Jean 1467 allerdings wiederum mit den Herzögen von Burgund und der Bretagne, entfernte sich aber aufgrund von Geldzahlungen des Königs von der Ligue du Bien Public. 1473 wurden eine weitere Verschwörung mit dem Herzog der Bretagne und Edward IV. aufgedeckt und er wurde ein weiteres Mal, diesmal von Ludwig XI., zum Tode verurteilt. Erneut wurde Jean d’Alençon begnadigt und seine Strafe in lebenslange Haft umgewandelt, in der er 1476 starb.101
Bei politisch motivierten Zaubereiprozessen standen dabei die religiösen Vorwürfe nicht selten stellvertretend für die eigentlichen politischen Motive.102 Für die auch bei den Zeitgenossen als außergewöhnlich eingestuften politischen Prozesse lassen sich einige wiederkehrende – allerdings nicht zu verallgemeinernde – Verfahrenselemente nennen, mit denen die Fürsten versuchten, den Anschuldigungen nachzugehen. Die Beschuldigten wurden in der Regel vor ein Gericht geführt, wo die Anschuldigungen gegen sie untersucht wurden. Hier kamen sowohl geistliche als auch weltliche Gerichte in Frage. Nicht selten wurden spezielle Kommissionen durch den Fürsten eingesetzt, deren Mitglieder Personen juristischer, königlicher oder fürstlicher Einrichtungen sein konnten. Dabei musste es sich nicht ausnahmslos um Kleriker handeln; auch vertrauenswürdige Adelige waren an solchen Kommissionen beteiligt.103 Der des Verrates an Karl VI. angeklagte königliche Advokat Jean de Marès beispielsweise wurde zunächst von einer königlichen Kommission befragt, bevor er dem Bischof von Paris überstellt wurde, damit dessen Offizial über ihn richte. Aus Sorge vor einem langwierigen Prozess mit womöglich unsicherem Ausgang veranlassten die Herzöge von Berry und von Burgund aber den Vogt von Paris, den beschuldigten Advokaten zurückzuholen und zu exekutieren.104 Die politischen Prozesse und die Prozesse mit dem Vorwurf des Majestätsverbrechens wurden oft in Form eines Inquisitionsprozesses geführt, bei denen die Folter ein regelmäßig angewendetes Verfahrensmittel war.105 Diese wurde dabei nicht nur gegen den Angeklagten selbst, sondern auch gegen dessen Diener oder Helfer eingesetzt. Die Vorwürfe bei den politischen Prozessen – Rebellion, Plünderung, Vergewaltigung, Mord, Zauberei oder Majestätsverbrechen – genügten, um die schwersten Strafen aufzuerlegen. Die Verfahren endeten daher häufig mit einem Todesurteil, das allerdings – wie gezeigt – nicht immer vollstreckt wurde.106
Einer der bekanntesten Fälle im Burgund des 15. Jahrhunderts war der des herzoglichen Kammerdieners Jean Coustain, der wegen eines versuchten Giftmordanschlags auf Karl von Burgund hingerichtet wurde.107 Dieses Komplott ist nur eines von mehreren Anschlägen oder Verschwörungen, die der Graf von Charolais während der Regierungszeit seines Vaters gegen sich vermutete.108 Auch gegen den Vetter des Herzogs von Burgund, Johann, Graf von Étampes, wurden – wie es in der Chronistik mehrfach angedeutet wird – schwere Vorwürfe kolportiert. Johann soll mithilfe von Wachsfiguren ein Komplott gegen den Grafen von Charolais geplant haben und sei daher in die Ungnade des Hauses Burgund gefallen. Das neue Aktenmaterial des Processus contra dominum de Stampis – die Prozessakten gegen Jean de Bruyère, einen Bediensteten des Grafen von Étampes und sein Mitverschwörer, – ermöglicht es, die Umstände dieser Vorwürfe und ihre Folgen wesentlicher genauer beurteilen zu können, als dies mit den wenigen Erwähnungen in der Chronistik bisher möglich gewesen ist. Für die Forschung können daraus insbesondere für die burgundische Krisenzeit der 1460er Jahre und die Rolle des Grafen von Étampes bei der Zuspitzung dieser Ereignisse tiefergehende Erkenntnisse gewonnen werden. Es ist daher an der Zeit, den Grafen von Étampes etwas näher vorzustellen.
1.2.3. Der Graf von Étampes (1415 – 1491) und der burgundische Hof
Der Graf von Étampes wird durch die Prozessakten des Processus contra dominum de Stampis belastet, ein Komplott gegen Karl von Burgund, Graf von Charolais, geplant und ausgeführt zu