Magie am Hof der Herzöge von Burgund. Andrea Berlin
veranlasste, Anschlagspläne gegen den Grafen von Charolais zu schmieden. Unser Augenmerk soll daher insbesondere auf die Position des Grafen von Étampes am burgundischen Hof gelegt werden.
Aufgrund der besonderen Überlieferungsgeschichte des Aktenmaterials ist die Forschung speziell für diesen Fall – abgesehen von einigen Erwähnungen in der Chronistik – quasi nicht existent. Zum Grafen von Étampes hingegen existieren bereits einige Untersuchungen, die für diese Studie herangezogen werden konnten. Eine frühe und ausführliche Einordnung des Grafen in die Erbfolge der burgundischen Besitztümer bietet Bernard de Mandrot mit einem Aufsatz über Johann von Burgund, Herzog von Brabant, und seine Nachfolge.109 Maurice Hurbain hingegen thematisiert in einem Aufsatz die Konsequenzen des Vertrags von Péronne für den Grafen von Étampes/Nevers.110 In der Forschung vollständig unbekannt sind die beiden Werke Lucien Cremieux’, der sich in seiner ungedruckten Dissertationsschrift aus dem Jahre 1940 an der Universität Clermont mit »Jean de Clamecy – Comte de Nevers (1415 – 1491)« beschäftigt. Eine zweite, ebenfalls ungedruckte Studie desselben Autors behandelt die Regierungszeit Johanns von Burgund als Graf von Nevers.111 Beide Arbeiten stützen sich auf größtenteils noch vorhandene Quellen sowie die burgundische Chronistik; sie zeichnen sich allerdings durch einen zum Teil stark positivistischen, zum Teil spekulativen Anteil aus, der eine tiefere analytische Schärfe vermissen lässt. Zudem konzentrierte sich Cremieux an einigen Stellen so ausführlich auf die Schilderungen der politischen Umstände, dass die Rolle Johanns von Burgund blass bleiben musste. Beide Werke sind in den Archives départementales de la Nièvre zu finden. Eine Kopie des ersten Werkes findet sich zudem in der Bibliothèque nationale de France. Einblicke in die Nachfolgeregelungen des Hauses Burgund bietet die Untersuchung von C.A.J. Armstrong, der hinsichtlich des Grafen von Étampes dessen Ringen um die ihm von Philipp dem Guten zugesprochene Grafschaft Auxerre schildert.112 Wie bereits erwähnt ist die einzig neuere Arbeit über Johann von Burgund der Aufsatz Marié-Thérèse Carons aus dem Jahre 1999.113
Die Verbindungen des Grafen von Étampes zum burgundischen Hof, dies belegen die Quellen, waren anfangs und noch lange sehr eng. Tatsächlich befand sich der im Oktober 1415 in Clamecy geborene Johann mit seinem älteren Bruder Karl bereits seit dem Jahre 1424 am Hof des Herzogs von Burgund. Ihre Mutter Bonne d’Artois wurde 1415 durch den Tod ihres Mannes Philipp von Burgund, Graf von Nevers – eines Bruders des damaligen Herzogs von Burgund, Johann Ohnefurcht –, in der Schlacht von Azincourt zur Witwe.114 Einige Jahre später heiratete Philipp der Gute Bonne in zweiter Ehe, sodass ihre Söhne Karl und Johann am herzoglichen Hof erzogen wurden.115 Der Herzog – einziger Sohn Johanns Ohnefurcht, aber Bruder einiger Schwestern – nahm viele seiner Neffen und Nichten schon im Kindesalter am Hof auf. Während die Mädchen in der Regel den Hof durch die Heirat mit einem geeigneten – und für den Herzog diplomatisch nützlichen – Kandidaten wieder verließen, verblieben die Neffen oft im Dienst des Herzogs an dessen Hof.116 Die beiden Vettern117 Philipps des Guten kamen mit zehn und neun Jahren an den Hof und blieben dort über den Tod ihrer Mutter im Jahre 1426118 hinaus. Dort erwarben sie schnell Ansehen, wie sich besonders bei Johann noch zeigen wird. Als seine Verwandten tauchen die beiden Brüder bereits in einem Testament des Herzogs aus dem Jahre 1425 auf.119 Karl von Nevers trat mit der Übernahme der Grafschaften Nevers und Rethel bald sein Erbe als ältester Sohn Philipps, Graf von Nevers, an und wurde ein Verbündeter König Karls VII., dem er gegen die Engländer in der Normandie half. Zudem soll er vom König eine ansehnliche Pension bekommen haben. Offenbar gab es aber auf französischer Seite erhebliche Differenzen zwischen den Anhängern des königlichen Vaters und denen des Dauphins. Mit der Erhebung Ludwigs XI. zum französischen König findet man Karl von Nevers wieder in der Gefolgschaft des Herzogs von Burgund. Im Jahre 1463 soll er sogar mit dem Grafen von Charolais über die Abtretung der Grafschaft Rethel verhandelt haben, was ihm der neue König zum Vorwurf machte.120
Johann von Burgund hingegen hielt sich nach dem Tod Bonnes d’Artois sehr oft am Hofe des Herzogs, durchaus aber auch bei der neuen Herzogin Isabella von Portugal und deren Sohn Karl auf. Die Écroes des Fürstenpaares der 1430er bis 1450er Jahre belegen die häufige Anwesenheit Johanns am Hof des Herzogs oder der Herzogin.121 Der im Jahre 1434 zum Grafen von Étampes erhobene Johann122 heiratet 1435 in Brüssel durch die Vermählung mit Jacqueline d’Ailly, Dame von Ingelmunster und Tochter des Vidame Raoul d’Amiens, in eine der reichsten Familien der Picardie ein.123 Dieser ersten Ehe124 entsprangen zwei Kinder, Elisabeth125 und Philipp. Der kränkelnde Sohn verstarb allerdings bereits im Jahre 1452. Jacqueline, Gräfin von Étampes, in den Écroes als mademoiselle d’Estampes nachweisbar, wurde eine der bevorzugten Hofdamen Isabellas von Portugal und verbrachte die meiste Zeit an deren Seite. Auch ihre Tochter Elisabeth wuchs am herzoglichen Hof auf.126 Sie wurde später von Herzog Philipp in eine äußerste vorteilhafte Verbindung mit dem Herzog von Kleve gegeben.127
Johann von Burgund scheint bei Philipp dem Guten in hohem Ansehen gestanden zu haben. Der Herzog übertrug dem Grafen mehrere Male in seiner Abwesenheit die Regentschaft für Teile seiner Länder128 oder stellte ihn dem Grafen von Charolais als Berater zur Seite. So empfahl der Herzog seinem Sohn vor seiner Reise zu einem Treffen mit Kaiser Friedrich III. in Regensburg sowohl die Meinung des grand conseil einzuholen als auch diejenigen des Grafen von Étampes, Adolphs von Kleve und Johanns von Coimbra.129
Ausgezeichnet hat sich Graf Johann von Étampes am herzoglichen Hof besonders durch seine militärischen Aktivitäten. Wir finden ihn beispielsweise bereits 1434 bei der Eroberung der Stadt Saint-Valéry,130 1438 im Kampf Burgunds gegen die Engländer bei Calais, mit Anton, Bastard von Burgund, in Holland131 oder beim Kampf des Herzogs von Burgund gegen Luxemburg, wo er auch in beratender Funktion beim Herzog erwähnt wird.132 Besonders aber scheint sich der Graf im Kampf gegen die Genter (1451/52) ausgezeichnet zu haben, wie die Chronisten in ihren Werken hervorheben.133 Während des in diesen Konflikt fallenden Kampfes um Oudenarde wurde der Graf, der die picardischen Kämpfer anführte, laut Olivier de la Marche durch den Bastard von Saint-Pol zum Ritter geschlagen.134 Bei diesem Chronisten wird Johann von Burgund oft in Kampfsituationen beschrieben, wohingegen Mathieu d’Escouchy den Grafen als einen wohlüberlegten Mann darstellt, der sich in neuen Situationen mit seinen