Tod des Verlegers. Christina Wermescher

Tod des Verlegers - Christina Wermescher


Скачать книгу
Er gab Marleen die Hand. Sofort suchte sie in seinem Gesicht nach dem Funken Hoffnung, den er nach dem letzten Besuch in ihr selbst entfacht hatte.

      »Gehen wir ein paar Schritte?«, fragte er.

      Schon an seinem Ton erkannte Marleen, dass er keine guten Nachrichten hatte.

      »Sie werden das Medikament nicht bekommen!«, kam sie ihm zuvor.

      Er blieb stehen und musterte sie einen Moment, dann nickte er resigniert. »Es war unsere letzte Hoffnung; aber die Behörden machen uns einen Strich durch die Rechnung. Es tut mir leid.«

      Marleen blies die Luft aus. Sie hatte nicht mal bemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte.

      »Das war‘s dann? Ich kann Patrick mit nach Hause nehmen – und ihm beim Sterben zusehen?«

      Doktor Kurz setzte das Gesicht auf, das er vermutlich für trauernde Angehörige reserviert hatte. »Es gibt die Möglichkeit, ihn in ein Hospiz …«

      Mit einer Geste schnitt ihm Marleen das Wort ab. »Nein! Vergessen Sie‘s. Patrick – er wird nicht sterben. Das werde ich nicht zulassen!«

      »Aber Frau Hoffmann …«

      Sie ließ ihn stehen und rannte beinahe den Flur hinunter.

      Im Aufenthaltsbereich wischte eine Putzfrau zwischen den Sesseln.

      »Hallo! Haben Sie die alte Dame gesehen, die eben noch hier saß?«, fragte Marleen aus einem Impuls heraus.

      »Alte Dame? Ne. Ich habe gewartet, bis Sie weg waren, damit ich hier sauber machen kann. Von einer Dame hab ich nischt gesehen.«

      Dann eben nicht, dachte Marleen und schaute in den Papierkorb. Sie war sicher, die alte Frau hatte die Zeitung in den Eimer geworfen.

      »Haben Sie den Papierkorb geleert?«

      »Na hör‘n Se mal. Ich hab gerade angefangen. Außerdem ist da doch eh nischt drin. Watt wollen Se denn?«

      »Nichts. War nur eine Frage, danke.«

      Sie tastete in den Hosentaschen nach der Anzeige, die die Frau ihr gegeben hatte. Das Papier knisterte beruhigend zwischen ihren Fingern.

      Mein Leben bricht gerade auseinander und ich drehe komplett durch.

      Sie wollte weg. Raus aus dem Krankenhaus, irgendwohin.

      ***

      Eine kleine Glocke bimmelte aufgeregt, als sich die Tür öffnete, und noch einmal, als die Tür langsam wieder ins Schloss fiel.

      Der Laden roch alt – wie eine Mischung aus feuchtem Keller und zugestelltem Dachboden, auf dem schon seit Jahren niemand mehr gewesen war. Sie wartete einen Moment, bis ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, und auch darauf, dass jemand auftauchte, um sie in Empfang zu nehmen. Als nichts dergleichen geschah, wagte sie sich weiter vor.

      »Hallo?«

      Zögernd näherte sie sich dem altmodischen Verkaufstresen, die Dielen unter ihren Füßen knarrten protestierend. Um besser zu sehen, zog sie ihr Handy aus der Tasche und benutzte das Display als Taschenlampe. Der Strahl huschte über verblasstes Holzspielzeug, einen Globus und immer wieder Bücher, vom Alter gebeugt und zerfleddert. Porzellanpuppen mit aufgemalten Gesichtern glotzten sie vorwurfsvoll an, während sie von dem kalten LED-Licht geblendet wurde.

      »Oh, verzeihen Sie, meine Liebe. Ich habe keinen Besuch erwartet.«

      Die Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken wie Fingernägel auf einer alten Schultafel.

      Marleen fuhr herum. Vor ihr stand ein Mann unbestimmten Alters. Seine hagere, hochaufgeschossene Gestalt steckte in einem Morgenmantel oder Kaftan. Jedenfalls in einem Kleidungsstück, das vor ihrer Zeit modern gewesen war. In das schmale Gesicht hatte die Zeit tiefe Furchen gefräst. Man hätte es aristokratisch nennen können, wenn die lange Nase und die kaum vorhandenen Lippen den Gesamteindruck nicht gestört hätten.

      »Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann.

      »Sind Sie Herr Mondstein?«

      Er nickte. »Albert Nicolas Mondstein. Zu Ihren Diensten.«

      Marleen räusperte sich. »Gut. Ähm, ich komme wegen der Anzeige.« Mit zitternden Fingern legte sie die zerknitterte Annonce auf den Tresen, wo sie unbeachtet liegen blieb.

      »Das heißt, eigentlich komme ich wegen der Frau im Krankenhaus«, fuhr sie fort. Was redest du da?

      Der Mann zog die Brauen hoch und schwieg.

      Sie begann zu schwitzen. »Also, es geht um meinen Verlobten. Patrick. Er liegt im Sterben, weil«, sie räusperte sich erneut, »Krebs. Im Endstadium. Und da war diese Frau, die sagte, dass Sie mir helfen können. Sie hätten ihr auch geholfen, mit Herbert. Damit er weiterlebt, verstehen Sie? Jedenfalls würde ich alles tun, alles. Weil – ich ihn liebe«, schloss sie lahm.

      Der Mann betrachtete sie stumm. Eine Minute, zwei, ihr halbes Leben? Sie hätte es nicht sagen können.

      Plötzlich lächelte er. »Wie sehr lieben Sie Ihren Verlobten?«

      »Mehr als mein Leben!«, antwortete Marleen, und sie fühlte tief in ihrem Inneren, dass es stimmte.

      »Ausgezeichnet!« Herr Mondstein rieb sich die dünnen Finger. »Dann habe ich etwas für Sie.«

      Er verschwand in einem Nebenraum und kehrte kurz darauf mit einer kleinen Schmuckdose zurück. Andächtig öffnete er das Kästchen und hob eine silberne Kette heraus, an der ein weißer, zu einem Herzen geschliffener glitzernder Kristall hing.

      »Was ist das?«, fragte Marleen, gefangen von der Reinheit des Steins.

      »Das, meine Liebe, ist ein Mondstein.«

      »Ein Mondstein? Er heißt wie Sie?«

      »Umgekehrt. Ich habe mich nach diesem Stein benannt, weil er ein überaus seltenes, kostbares Exemplar ist. Genau wie ich.«

      Er lachte über seinen eigenen Witz, während Marleen sich mit Mühe ein Schmunzeln abrang.

      »Und wie soll der helfen?«

      Er schaute sie an wie ein begriffsstutziges Kind. »Ich könnte Ihnen was von Meteoriten auf ihrem einsamen Weg durch das Universum erzählen, und von Sternengeburten, aber das wäre profan. Stattdessen spreche ich von einem Stein, geformt aus den Tränen des Nordwinds, gehärtet in den Feuern des Polarlichts und von solcher Seltenheit, dass seine Existenz allein an ein Wunder grenzt. Dabei ist das noch nicht alles.«

      Schweigend sah er Marleen an, die darauf wartete, dass er weitersprach.

      »Auf seinem Weg durch die Mysterien des Weltalls hat er eine einzigartige Kraft gesammelt, die einen immer wieder staunen lässt: das Leben selbst.«

      Marleen sah ihn irritiert an. »Ich verstehe nicht«, bekannte sie schließlich.

      Er lächelte. »Dieser Kristall«, er hielt das Herz mit Daumen und Zeigefinger gegen das Licht, sodass die Strahlen darin funkelnde Regenbogen gebaren, »dieser Stein konserviert das Leben selbst. Er speichert Lebenskraft. Geben Sie mir Ihre Hand.«

      Zögernd streckte Marleen ihre rechte Hand aus. Überraschend kräftig schlossen sich seine knochigen Finger um ihr Handgelenk.

      Er legte den Kristall auf den Tresen, zog eine Schublade auf und zog eine lange Nadel hervor.

      Marleen zuckte zurück, doch er hielt sie fest.

      »He? Was … Au! Sind Sie verrückt geworden?«

      Blut quoll aus einem Loch mitten in ihrem Handteller, doch Mondstein ließ die junge Frau nicht los.

      »Sind Sie vollkommen übergeschnappt?«

      Schweigend ließ der Alte den Stein in ihre Hand gleiten und schloss ihre Finger darüber zur Faust.

      »Was …?«

      Er legte den knochigen Zeigefinger auf seine Lippen. »Lassen Sie


Скачать книгу