Tod des Verlegers. Christina Wermescher
abstoßende Fratze mit tiefen Falten, die sie hämisch angrinste. Ein ganzes Leben ist eine verdammt lange Zeit, um ein Geheimnis zu bewahren.
Sie rannte ins Badezimmer und übergab sich.
»Marleen, alles in Ordnung?« Patrick klopfte an die Tür.
Klar ist alles in Ordnung. Ich habe dir buchstäblich Jahre meines Lebens geopfert. Aber das darf ich dir nicht sagen, weil du sonst tot umfällst, und das war es dann mit dem trauten Babyglück.
Sie lehnte sich an die Tür und weinte. Ihr ganzer Körper schien plötzlich nur noch aus Tränen zu bestehen.
Er klopfte erneut. »Es tut mir leid. Du musst das verstehen. Ich liebe Susanne. Wir werden heiraten.«
Sie schnaubte verächtlich. »Du hast keine Ahnung.«
»Was hast du gesagt?«
Sie riss die Tür auf. »Ich sagte: Du hast überhaupt keine Ahnung, was es heißt, jemanden zu lieben! Du weißt nicht, was es bedeutet, ein Leben lang für jemand anderen verantwortlich zu sein!«, schrie Marleen verzweifelt. »Du Arschloch!« Ihre Stimme überschlug sich.
Patrick stand da wie vom Donner gerührt. Behutsam streckte er die Hand nach ihr aus.
»Fass mich nicht an!«, keifte sie. »Nie mehr! Hau ab! Geh!«
»Marleen …«
»Verschwinde!«
Wortlos schnappte er sich seine Jacke. Bevor er ging, legte er den Wohnungsschlüssel und den Glücksbringer auf den Tisch.
Mit brennenden Augen starrte Marleen den Mondstein an. »Du bist schuld«, zischte sie. »Mit dir hat alles angefangen. Ich werde dich vernichten, du verdammtes Stück Dreck!«
Sie räumte die unterste Küchenschublade aus, bis sie den Hammer gefunden hatte. Er wog wohltuend schwer in ihrer Hand.
***
»Wie geht es ihm heute?«
»Unverändert. Leider.«
Die blonde Frau nickte. Leise öffnete sie die Tür zum Krankenzimmer, in dem Patrick lag, hilflos an Schläuche gefesselt und wieder abgemagert bis auf die Knochen.
Ächzend wuchtete sich die Frau mit ihrem Babybauch auf die Bettkante und strich dem jungen Mann zärtlich über die Wange. Seine Lider flatterten.
»Susanne.« Er versuchte ein Lächeln.
»Streng dich nicht an, Liebster«, meinte sie. »Ich bin nur kurz da, weil wir gleich einen Termin im dritten Stock haben, die Zwillinge und ich.«
Er lächelte und legte die Hand auf ihren Bauch. »Hallo, ihr zwei.«
Möglichst unauffällig wischte sich die Blonde eine Träne aus dem Auge. »Ich wollte dir nur schnell die Post bringen. Hier, ein Päckchen von Marleen. Soll ich es aufmachen?«
»Bitte«, krächzte er.
Sie öffnete das Päckchen und ein kleiner Anhänger an einer silbernen Kette rutschte heraus. Der Stein war schwarz wie die Nacht, mit einem eigentümlichen, lebendigen Feuer.
»Hier ist noch ein Brief«, erklärte Susanne.
»Lies … lies vor.«
Mein lieber Patrick,
ich habe von deinem Rückfall gehört, und es tut mir so leid. Ich würde Dir gerne helfen, aber wie damals könnte ich wieder nur versuchen, Dir bei deinem Kampf beizustehen. Eine Aufgabe, die Susanne übernommen hat.
Daher möchte ich Dir, als Erinnerung an alte Zeiten, den Mondstein schenken. Auch wenn Du es für Aberglauben hältst: Einmal hat er schon geholfen, daher tu mir bitte den Gefallen und trag ihn!
Nicht, um Dich an mich zu erinnern, oder weil ich mich in Dein Leben drängen will. Sondern um Deiner Familie, um des Babys willen. Trag ihn! Jeden Tag! Wundere Dich nicht, wenn der Stern im Laufe der Jahre immer heller wird, das ist normal.
Ich gehe nach Australien und lebe meinen Traum, wir werden uns also nicht wiedersehen. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen alles Gute und viele glückliche Jahre.
Marleen
»Ich glaube, sie hat dir verziehen. Hoffentlich findet sie ihre große Liebe noch und wird so glücklich wie wir«, meinte Susanne.
»Ja, hoffentlich«, hauchte Patrick und nahm die Hand seiner Frau.
Mr. Eldritchs
Garten
Thomas Heidemann
Willard Elleridge – nennen wir ihn ruhig Mr. Eldritch, das tun alle hier– beginnt seinen allmorgendlichen Rundgang durch den Garten um Punkt sieben, begleitet von seiner englischen Bulldogge Boozer.
Eine Minute später macht er einen frischen Maulwurfshaufen zwischen den Apfelbäumen nahe der Mauer ausfindig. Während sein altgedienter Arbeitsstiefel (Schuhgröße vierundvierzig) die aufgeworfene Erde verdichtet, presst Boozer die Nase in den taufeuchten Rasen und sucht vergeblich die Duftspur des unterirdischen Übeltäters. Weil er weiß, was von einem anständigen Hund erwartet wird, wählt er willkürlich eine Richtung und nimmt heldenhaft die Verfolgung auf.
Aus einer vorsorglich gefüllten Tasche seiner Wachsjacke lässt Mr. Eldritch eine Handvoll Grassamen rieseln. Noch zeigt sich in seiner Mimik keines jener Charakteristika, denen er den Beinamen »der Unheimliche« verdankt. Die Rasenschändung ist ihm keine hochgezogene Braue wert; Mr. Eldritch quälen ganz andere Sorgen.
Zum Beispiel die tags zuvor im Kürbisbeet aufgetauchten Spuren, die eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit winzigen menschlichen Fußabdrücken aufweisen (Schuhgröße sechs). Damit scheiden die üblichen Verdächtigen – Kaninchen, Krähen, Ratten – als Verursacher aus. Hamster vielleicht, die hatte er noch nicht. Sehen wir mal zusammen mit dem alten Griesgram nach, ob über Nacht eines dieser possierlichen Tierchen in der Schnappfalle sein Leben ausgehaucht hat.
»Boozer, du saublödes Viech! Komm her!« Hund und Herrchen trotten Richtung Gemüsebeete.
Es ist Anfang September, und die Kürbisse benötigen noch einige Zeit bis zur Reife. Umso augenscheinlicher ist der unerhörte Umfang eines Exemplars, das die kleineren Nachbarn beiseite drängt wie ein Kuckucksküken seine Stiefgeschwister.
Normalerweise schlägt Mr. Eldritchs Gärtnerherz beim Anblick der wohlverdienten Früchte seiner Arbeit höher, aber er kann sich nicht erinnern, zu diesem absonderlichen Wachstum wissentlich beigetragen zu haben. Sollte er versehentlich eine Schubkarre Pferdemist an einer bereits gedüngten Stelle untergegraben haben? Er kratzt sich am Kinn.
Sein Blick fällt auf die unberührte Schnappfalle.
Ein kleiner Zettel liegt davor. Ein sehr kleiner Zettel, nicht größer als eine Briefmarke, auf den jemand in zierlicher Handschrift etwas gekritzelt hat. Mr. Eldritch muss die Augen zusammenkneifen, um die Nachricht zu entziffern.
Sie könnten jemanden verletzen, steht da.
Boozer beschnüffelt derweil die Falle; der Bügel schnappt zu und verbeißt sich in eine der zahllosen Hautfalten, aus denen sein zerknautschtes Gesicht besteht. Jaulend wetzt Boozer quer durch die Beete davon.
Mr. Eldritch misst diesem Vorfall nur mäßiges Interesse bei.
»Sie könnten jemanden verletzen«, imitiert er näselnd den Tonfall der lokalen Bauerntölpel (seiner Definition nach sind das die meisten Leute jenseits der Mauer).
Dann wird ihm bewusst, dass die Bauerntölpel bereits an der Aufgabe gescheitert wären, ein ausreichend filigranes Schreibutensil aufzutreiben, von der orthographischen Glanzleistung, einen fehlerfreien Satz zu produzieren, ganz zu schweigen. Nein, er hat es hier mit einer gewiefteren Sorte von schlechten Menschen zu tun.
Es bereitet ihm wenig Befriedigung, dieses schwindsüchtige Stückchen Papier zu zerknüllen; es fühlt sich an, als würde man statt mit der Faust mit einem Wattestäbchen auf