Tod des Verlegers. Christina Wermescher

Tod des Verlegers - Christina Wermescher


Скачать книгу
die lauschige Terrasse im Schatten der Fliederbüsche, das Weidendickicht, das einst ein lichter Dom aus kunstvoll verflochtenen lebenden Ruten war. In Letzterem, verborgen vor der impertinenten Neugier gelegentlicher Lieferanten und Mauerbezwinger, ruht Mr. Eldritchs größtes Geheimnis.

      Dann ist da noch das Gartenhaus, ein verwinkeltes Konglomerat aus Werkzeugschuppen, Remise, Gewächshaus und einem seit Jahren verwaisten Taubenschlag. Hier erkennen wir die Eldritch-Handschrift; Mr. Elleridge hätte mehr daraus gemacht.

      ***

      Das Gartenhaus wird in diesen Minuten zum Feldherrenhügel umgewidmet. Mr. Eldritchs Streitmacht besteht zwar nur aus ihm und Corporal Boozer, gebietet jedoch über ein beachtliches Arsenal militärisch nutzbarer Gerätschaften und Chemikalien.

      Das spektakuläre Versinken des Kürbisses hat eine beruhigend klare Sachlage geschaffen: In den Garten sind Wühlmäuse eingefallen. Und darauf wird General Willard Eldritch mit aller gebotenen Härte reagieren.

      Mit Branntkalk.

      Sollten die feindlichen Invasoren immer noch an Ort und Stelle ihren Triumph feiern, werden sie eine heiße Überraschung erleben.

      Mr. Eldritch fährt den Kampfstoff mit einer Sackkarre an die Frontlinie. Schnell hat er den Nordpol des versenkten Kürbisses freigelegt, mit einem Drillbohrer perforiert und einen Trichter eingeführt. Die Wirkung der ersten Ladung fein gemahlenen Branntkalks lässt zu wünschen übrig, also schüttet er großzügig nach. Dampf steigt auf.

      Aber die Sache geht Mr. Eldritch zu langsam vonstatten. Er holt eine Gießkanne und gibt einen Schluck Wasser hinzu. Es brodelt und dampft.

      »Na also. Wie schmeckt euch das?«

      Ermutigt durch die sicht- und hörbare Reaktion leert er die Kanne in den Trichter und drückt rasch einen Korken in das Bohrloch. Es wäre ja Verschwendung, die Hitze nach oben entweichen zu lassen.

      Zufrieden begutachtet er sein Werk, tritt einen Schritt zurück und–

      Der Kürbis explodiert.

      Etwas spritzt in Mr. Eldritchs Augen.

      Branntkalk, denkt er voller Grauen. Er wird erblinden!

      Kopflos stolpert er davon, walzt eine Schneise ins Kräuterbeet und fällt eine kapitale Sonnenblume.

      Boozer, krank vor Sorge um seinen Herrn und Napffüller, springt bellend um ihn herum, bis er ihn endlich zu Fall gebracht hat.

      Keuchend starrt Mr. Eldritch in den trüben Hochnebel und fragt sich, warum er keinen unerträglichen Schmerz fühlt und vor allem: immer noch sehen kann.

      Bebend vor Angst wischt er sich über die Augen und betrachtet seine Fingerkuppen: Erde. Die Explosion hat Erde in sein Gesicht geschleudert.

      Boozers Zunge schlabbert ihm über die Wange. Wie gut, dass du noch lebst, alter Junge, soll das heißen.

      »Verzieh dich, Köter!«

      Mr. Eldritch richtet sich stöhnend auf und wankt zurück auf das Schlachtfeld.

      Durch die Eruption ist kochendes Kalkwasser in alle Richtungen gespritzt und hat einen Großteil der Kürbisranken verbrüht. Wie es aussieht, wird die diesjährige Ernte wohl ausfallen.

      Aber etwas muss das Inferno überlebt haben, denn wenige Schritte vor Mr. Eldritch wölbt sich die Erde auf und spuckt einen kleinen Zettel aus.

      »Das kann doch nicht …«

      Es ist eine weitere Nachricht: Warum tun Sie das? Wir haben doch bloß Hunger.

      ***

      Nun, da Hamster, Wühlmäuse und Katholiken endgültig als Verursacher der erlittenen Unpässlichkeiten ausscheiden, muss Mr. Eldritch der unbequemen Möglichkeit ins Auge blicken, dass Mrs. Swanson rechthaben könnte.

      »Gnome? Was hältst du davon, Boozer?«

      Boozer kläfft erfreut; sein Herrchen hat versehentlich die Tonlage getroffen, in der er ihn zu fragen pflegt, ob er einen Spaziergang über die Feldwege machen will.

      »Verdammt, nein! Ich glaub‘s erst, wenn ich einen von den Burschen gefangen habe.«

      Noch hält sich nämlich das Undenkbare mit der hartnäckigen Vorstellung die Waage, Opfer eines besonders perfiden und bravourös inszenierten Streichs geworden zu sein.

      Die Waagschale neigt sich schlagartig zugunsten der Gnome, als ein Büschel Karottengrün in Mr. Eldritchs Blickfeld zu zittern beginnt.

      »Ja, da soll mich doch …«

      Er bewaffnet sich mit einer Eisenharke und marschiert auf den neuesten Kriegsschauplatz zu. Der Feind hat seine Stellung verraten, und Mr. Eldritch wird diesen taktischen Vorteil nicht aus der Hand geben.

      Die Möhre steht einen Moment still, bevor sie mit einem Ruck unter die Erde gezogen wird. In Gedanken untermalt Mr. Eldritch das Ereignis mit einem satten Plopp.

      »Hey! Das sind meine Karotten!«

      Die nächste Möhre verschwindet. Plopp!

      Und die nächste.

      Plopp!

      Plopp!

      Plopp-Plopp-Plopp!

      »Boozer!«, brüllt er in aufkeimender Panik und lässt die Harke fallen. »Fass!«

      Das lässt Boozer sich nicht zweimal sagen. Maulwürfe! Oh Junge, besser geht‘s nicht! Und dazu noch ein Freibrief, nach Herzenslust im Dreck zu wühlen!

      Als Erdklumpen, halbe und ganze Karotten, die Zwiebeln aus der linken und Pflücksalat aus der rechten Nachbarreihe hinter Boozer hochgeschleudert werden, bereut Mr. Eldritch sein unüberlegtes Kommando augenblicklich.

      »Aufhören! Du blöde Töle, komm sofort her!«

      Doch Boozer befindet sich in einem Zustand höchster olfaktorischer Erregung, in dem die Stimme seines Herrn lediglich eine belanglose Randnotiz darstellt. Er ist soeben auf einen Hohlraum gestoßen, in dem verheißungsvolle Aromen umherwabern: Wermut, ungewaschene Füße, Hallimasch, Maiglöckchen, Siegelwachs …

      All das ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der in diesem Moment seine Klauen in Boozers Nase schlägt. Gleichzeitig packt Mr. Eldritch ihn im Nackenfell, um seinen Garten vor weiteren Verheerungen zu bewahren. Boozer, der mit so vielen Sinneseindrücken hoffnungslos überfordert ist, zieht die Schnauze aus der Erde, erblickt ein unvorsichtig platziertes Bein und beißt zu.

      Oh nein! Das schmeckt ja nach …

      »Aah! Ich bring das blöde Viech um!«

      … und klingt nach … Ohverdammtermist!

      Winselnd wirft sich Boozer zu Boden und erwartet seine Bestrafung.

      Derweil hüpft Mr. Eldritch schreiend, fluchend und Salatpflanzen zertretend auf einem Fuß durch die Beete, während er mit beiden Händen die lädierte Wade umklammert. Sein Temperament hat einen Punkt erreicht, an dem wir ihm alles zutrauen.

      »Ich lass dich die Harke schmecken! Wo ist die verdammte Har-«

      Die verdammte Harke schnellt in die Senkrechte und befördert Mr. Eldritch in die Waagerechte.

      ***

      Als sein Herr ohne erkennbare Lebenszeichen auf der Seite liegen bleibt, gewinnt Boozers Sorge die Oberhand. Mit angelegter Rute kriecht er auf ihn zu.

      Eine übergroße Hundeschnauze ist das Erste, was Mr. Eldritch erblickt, als er die Augen aufschlägt. Vor Schreck verliert er beinahe erneut die Besinnung. »Aah! Du dämliches Miststück! Ich ersäuf dich in der Zisterne! Ich …«

      Aber was ist das?

      Aus Boozers Nase ragt ein metallischer Gegenstand.

      Mr. Eldritch setzt sich auf, zieht den Fremdkörper heraus und hält ihn dicht vors Auge. Er kann nicht glauben, was er sieht.

      Es ist eine vergoldete,


Скачать книгу