Kindheit D. Ines Krüger
Mutti lustig und vergnügt gewesen. Jetzt lachte meine Mutter nicht mehr. Sie schaute oft einfach still vor sich hin. Ich sagte dann auch nichts.
Manchmal versuchte sie mich aufzupäppeln. Sie nahm auf dem Sofa Platz und spielte mit mir Puppen, dann drückte sie mich an sich und flüsterte mir ins Ohr: „Du bist mein kleiner Liebling. Wer dir nur ein Haar krümmt, kriegt es mit mir zu tun.“
Ich lächelte glücklich, denn meine Mutti hatte mich so lieb.
Wir hatten immer so viel Spaß gehabt, früher. Wir lebten in Bonn. Meine Schwester und meine Cousine waren morgens in der Schule, wenn meine Mutti mit mir auf dem großen Roller zum Einkaufen fuhr. Unser Chihuahua lief an der Leine nebenher. Wenn wir alle Lebensmittel eingepackt hatten, hängten wir die Tüten über den Lenker und schoben den Roller nach Hause. Einmal riss unser Hund den Roller um, und wir fielen mitsamt den Tüten auf die Straße. Der Joghurtbecher war kaputtgegangen und alles klebte. Es machte uns nichts aus, wir lachten darüber.
Wenn ich besonders brav gewesen war, hatte meine Mutti immer eine Überraschung für mich. Es gab auf dem Rückweg vom Supermarkt einen Automaten, der vor einer Hecke aufgestellt war. Ich liebte die Kaugummikugeln, die es dort gab. In einigen Kugeln waren kleine Prinzessinnenringe aus Plastik versteckt. Meine Mutti wusste ganz genau, dass ich unbedingt so einen Ring wollte. Wir hielten vor dem Automaten, warfen Geld ein und ich drehte. Ich war so glücklich, als ich meinen Prinzessinnenring in der Hand hielt, und steckte ihn mir gleich an den Finger. Ich wollte ihn gar nicht mehr abziehen, nicht mal nachts. Auch Evi kannte meine Vorliebe für die Kaugummikugeln. Immer wenn ich mal hinfiel oder irgendetwas passierte, ging sie zum Kaugummiautomaten und zog mir eine Kugel.
Es war immer alles so schön und friedlich damals. Meine Mutti hatte mit uns Trickfilme im Kino angeschaut. Im Sommer fuhren meine Eltern sonntags mit uns an die Mosel, damit wir baden konnten. Und im Winter zog meine Mutti mich mit dem kleinen roten Schlitten die verschneite Straße hinab, und ich jauchzte vor Vergnügen.
Das war jetzt alles vorbei. Wir blieben jetzt fast immer zu Hause, und wenn wir unterwegs waren, hatten wir Angst. Auf der Terrasse durfte ich spielen und in unserem kleinen Garten auch, aber das machte nicht so viel Spaß wie früher.
Wenn Kinder aus der Nachbarschaft, die mit mir spielen wollten, an der Tür klingelten, sagte meine Mutti „nein”. Bald klingelte kaum noch jemand bei uns an der Tür. Die Kontrolle durch die Polizisten schreckte die Nachbarskinder ab. Sie nannten mich „Terroristenkind“. Und die Eltern dachten, ihre Kinder würden entführt, wenn sie zu uns nach Hause kämen. Pech gehabt!
Es gab einmal einen Spielfreund, der um einiges älter war als ich, aber der durfte dann auch nicht mehr kommen. Er war meiner Mutti zu wild. Er hatte von ihr die rote Karte bekommen, nachdem ich beim Spielen mit ihm so schlimm verletzt wurde, dass ich ins Kinderkrankenhaus gefahren werden musste. Es hatte alles ganz harmlos angefangen. Mein Spielfreund und ich spielten Karneval, ich war das Tanzmariechen. Er nahm mich an den Händen und schwenkte mich durch die Luft. Ich weiß auch nicht, warum ich seine Hände losließ. Ich schlug direkt mit dem Kopf auf den Boden, musste kotzen und hatte eine Riesenbeule am Kopf.
Der Arzt sagte meiner Mutter im Kinderkrankenhaus: „Die Kleine hat eine Gehirnerschütterung. Die Beule kühlen und drei Tage Bettruhe.“
Meine Mutti war entsetzt, und mein Vater schimpfte, dass ich schlechten Umgang hätte. Ich war doch noch so klein, und man durfte doch seine Tochter nicht einfach so durch die Luft werfen. Meine Mutter sprach mit der Mutti des Jungen, und er entschuldigte sich. Danach durfte er kaum noch zu uns, höchstens mal, um mit mir mit Wasserfarben zu malen. Alles andere konnte er vergessen. Auf den Spielplatz durfte ich sowieso nicht mehr.
Mir war langweilig. Zu Hause war nicht viel los. Meine Schwester Evi, die sehr gut in der Schule war, lernte fast immer nur. Sie war dreizehn Jahre älter als ich. Und auch meine Cousine Helga war alles andere als glücklich darüber, ihre Zeit mit mir zu verbringen. Sie hatte keine Lust auf ihre kleine Cousine. Einmal hatte ich ihr aus Versehen irgendetwas im Zimmer kaputtgemacht. Sie hatte einen kleinen Plattenspieler, auf dem sie die Beatles hörte, und es war mir strengstens verboten, irgendetwas in ihrer Musikecke anzufassen. Manchmal knallte sie mir die Zimmertür einfach vor der Nase zu, dann spielte ich mit unserem Hund auf dem Flur mit den kleinen Blechautos.
Und meine Mutti war sehr oft krank, sie litt an Allergien und fühlte sich nicht gut. Oft lag sie den ganzen Tag auf dem Sofa. Ein Heilpraktiker aus der Nachbarschaft verordnete ihr kleine weiße Kugeln als Medizin.
Die Polizei vor unserer Tür hatte uns alles verdorben. Ab dem Tag, an dem wir Personenschutz bekamen, änderte sich alles für uns. Der grüne Polizeibus vor unserer Haustür zog viele neugierige Nachbarn an. Sie glotzten auf die Polizisten mit den Funkgeräten in der Hand und den umgehängten Waffen.
Das seien Maschinenpistolen, meinte Evi. „Das ist wie im Krieg, Ines“, sagte sie. Damit kann man Menschen totschießen.“
Ich sagte lieber gar nichts, denn ich hatte Angst, dass jetzt hier Krieg war. Plötzlich waren diese vier Polizisten in der grünen Uniform da, und es war Krieg vor unserer Haustür.
Meine Mutti sagte: „Wenn wir erst in Karlsruhe sind, haben wir sichere Panzerscheiben und eine Alarmanlage. Dann wird alles wieder gut, Ines.“
Mein Vater bekam einen Job in Karlsruhe, und der Umzug war ein ständiges Streitthema zwischen meinen Eltern. Meine Mutti hatte nicht nur versucht zu verhindern, dass mein Vater Terroristen jagte, sie wollte auch nicht weg von Bonn. Hier hatte sie ihre beste Freundin und ihren Heilpraktiker, der ihr so gut mit ihren schlimmen Allergien half. Immer wieder hatte meine Mutti mit Scheidung gedroht, aber an meinem Papa prallte so etwas ab. Er freute sich schon so auf die Kollegen in Karlsruhe, denn er wollte Terroristen ins Gefängnis bringen. Er nannte das „Dienst am Vaterland“. Ich fragte meine Mutti, ob mein Meerschwein auch mit uns umzog. „Natürlich“, sagte sie, und ich war erleichtert.
Seit wir Personenschutz hatten, war ich die „Nummer fünf“. Unsere Familie war von den Personenschützern durchnummeriert worden. Papa war Nummer eins, Mutti Nummer zwei und wir Kinder der Rest. Ich, als Kleinste, war Nummer fünf. Wenn meine Mama morgens mit mir aus dem Haus ging, stand direkt vor der Haustür ein Polizist, der es mit dem Funkgerät an die anderen Polizisten weitergab: „Nummer zwei und Nummer fünf verlassen das Haus.“
Wenn uns jemand besuchen wollte, musste er erst einmal die Polizeikontrolle passieren. Meine Mutti hatte mir strikt verboten, an die Tür zu gehen,