Kindheit D. Ines Krüger

Kindheit D - Ines Krüger


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und mei­ne Mut­ti kauf­te mir ein Spring­seil. Und Hel­ga hat­te einen Hula-Hoop-Rei­fen. Wir leb­ten un­ter uns.

      Im Som­mer stell­ten mei­ne El­tern ein klei­nes Plansch­be­cken im Gar­ten auf. Mei­ne Mut­ti war Grund­schul­leh­re­rin für Bio­lo­gie und Re­li­gi­on. Sie ar­bei­te­te zwar nie in die­sem Be­ruf, aber in die­sem Som­mer nahm sie sich viel Zeit und er­klär­te mir die Buch­sta­ben und die Zah­len und wie das al­les zu­sam­men­hing. Denn im Herbst soll­te ich ein­ge­schult wer­den. Der Um­zug nach Ka­rls­ru­he soll­te noch vor Weih­nach­ten sein, des­halb hat­te mei­ne Mut­ti über­legt, mich erst dort in die Schu­le zu schi­cken. Aber mein Va­ter war da­ge­gen. Ich soll­te nicht das gan­ze Schul­jahr ver­lie­ren, und er mein­te, es gin­ge nicht so wei­ter, dass ich im­mer zu Hau­se blieb.

      Dann be­ka­men wir die­sen Dro­h­an­ruf. Es war im Au­gust. Ein Mann hat­te bei mei­ner Mut­ti an­ge­ru­fen und ihr ganz ent­setz­li­che Din­ge am Te­le­fon ge­sagt. Sie wein­te, und wie­der ka­men die Män­ner vom BKA. Dies­mal mach­ten sie ir­gen­d­et­was mit un­se­rem Te­le­fon: Man konn­te dann wis­sen, wer da an­rief. Ich hat­te jetzt noch mehr Angst und lief mei­ner Mut­ter den gan­zen Tag durch das Haus hin­ter­her. Mei­ne Mut­ti war am Te­le­fon da­mit be­droht wor­den, dass man sie er­mor­den wür­de. Hel­ga sag­te, wir hät­ten doch so­wie­so kei­ne Chan­ce: Wir wür­den alle ab­ge­knallt wer­den. Ich klam­mer­te mich an mei­ne Mut­ti, und je­des Mal, wenn sie das Haus ohne mich ver­ließ, fing ich an zu wei­nen.

      Mei­ne Mut­ti hat­te es schon ge­ahnt: Wenn ich in die Schu­le muss­te, könn­te das schwie­rig wer­den. Evi hat­te mir die grü­ne, me­tall­glän­zen­de Schul­tü­te mit mei­nen Lieb­lings­zi­tro­nen­bon­bons ge­füllt, und oben­drauf saß ein klei­ner Ted­dy. Der ers­te Schul­tag hät­te so schön wer­den kön­nen, aber es wur­de ein Alb­traum. In dem Au­gen­blick, als mei­ne Mut­ter das Klas­sen­zim­mer ver­ließ, fing ich an zu heu­len. Die Tür klapp­te zu und ich heul­te los. Mei­ne Mut­ti war weg! Ich muss­te doch auf sie auf­pas­sen, da­mit sie nicht ent­führt wur­de. Ich sprang von mei­nem Platz hoch, riss die Tür auf und rann­te mei­ner Mut­ti laut schrei­end hin­ter­her. Mei­ne Mut­ter blieb ste­hen und blick­te mich ent­setzt an. Ich klam­mer­te mich an ih­ren Arm und wei­ger­te mich, zu­rück in die Klas­se zu ge­hen. Sie über­re­de­te mich, doch we­nigs­tens mei­ne Schul­tü­te und die Ja­cke aus dem Klas­sen­zim­mer zu ho­len. Ich ging nur wi­der­stre­bend mit ihr mit, be­stimmt wa­ren da Ter­ro­ris­ten. Mei­ne Mut­ti ent­schul­dig­te sich bei der Leh­re­rin und fuhr mit mir nach Hau­se. Sie sag­te mir, dass sie sehr ent­täuscht sei. „Jetzt sind wir bla­miert“, er­klär­te sie. „Mor­gen bist du aber brav!“

      Mei­ne Schwes­ter und mei­ne Cou­si­ne konn­ten mein Pech nicht fas­sen: Ich moch­te die Schu­le nicht. Mei­ne Mut­ti war so böse auf mich, dass sie den gan­zen Tag kaum noch mit mir sprach. Ich saß mit mei­ner Pup­pe und mei­nem Meer­schwein As­trid auf der Ter­ras­se und schäm­te mich. Evi kam zu mir und sag­te, dass ich noch klein wäre sei, und mei­ne Mut­ti er­klär­te, dass we­nigs­tens mit Evi al­les in Ord­nung sei.

      Denn mei­ne Cou­si­ne Hel­ga mach­te auch Pro­ble­me. Ein­mal hat­te mei­ne Mut­ti zu ih­rer Klas­sen­leh­re­rin in die Sprech­stun­de ge­musst. Hel­ga hat­te in der Schu­le er­zählt, bei ihr zu Hau­se über­nach­te­ten Jungs im Zim­mer. Sie woll­te bei ih­ren Ban­knach­ba­rin­nen an­ge­ben. An­geb­lich wa­ren die Jun­gen an der Haus­wand hoch­ge­klet­tert, weil sie alle in sie ver­liebt wa­ren. Mei­ne El­tern wa­ren wü­tend. Mit all den Po­li­zis­ten vor der Haus­tür konn­te kein Mensch zu uns ins Zim­mer klet­tern. Die Klas­sen­leh­re­rin hat­te mei­ne Mut­ti dar­auf an­ge­spro­chen. Mein Va­ter ge­ri­et we­gen der Schwin­de­lei mei­ner Cou­si­ne in Rage. Sein gu­ter Ruf als Ter­ro­ris­ten­jä­ger war in Ge­fahr! Er war be­kannt, und sei­ne Töch­ter und sei­ne Nich­te soll­ten sich ge­fäl­ligst be­neh­men. Und nun hat­te ich auch noch in der Schu­le her­um­ge­schri­en.

      Mei­ne Mut­ti brach­te mich am nächs­ten Tag wie­der zur Schu­le, und ich fing wie­der an zu wei­nen. So laut, dass die Leh­re­rin un­mög­lich ih­ren Un­ter­richt hal­ten konn­te. Mei­ne Mut­ter frag­te die Leh­re­rin, ob sie sich hin­ten ins Klas­sen­zim­mer set­zen dür­fe. Das durf­te sie nicht – aber sie konn­te auf dem Gang war­ten.

      Für mei­ne Mut­ti, die Frau des Ter­ro­ris­ten­jä­gers, be­gann mit mei­ner Schul­pflicht ein Alb­traum. Ihre Toch­ter plärr­te den gan­zen Mor­gen in der Schu­le und stör­te da­mit den Un­ter­richt. Die Leh­rer sag­ten, dass sie so et­was noch nie er­lebt hät­ten.

      Ei­nes Mor­gens, als ich wie­der so wein­te, hol­te mich die Klas­sen­leh­re­rin in ein Zim­mer mit ei­nem Schreib­tisch und meh­re­ren Stüh­len. Zwei äl­te­re Frau­en sa­ßen dort und eine jün­ge­re. Sie starr­ten mich an. Ich hat­te noch mehr Angst als sonst. Die äl­tes­te von den drei­en frag­te mich nach mei­nem Na­men und wie alt ich sei. Ich sag­te gar nichts.

      „Du bist Ines und du bist sechs Jah­re alt“, ver­such­te sie es noch ein­mal. „Was hast du denn bloß?“

      Ich wein­te los. „Ich will zu mei­ner Mut­ti. Sie wird sonst ent­führt, und ich sehe sie nie wie­der im Le­ben. Ich muss so­fort nach Hau­se.“

      Die drei Frau­en sa­hen sich ge­gen­sei­tig an. Dann sag­te die jün­ge­re Leh­re­rin mit schnei­den­der Stim­me: „Du bist sechs Jah­re alt und gehst nicht nach Hau­se. Du bist jetzt still! Du musst hier zur Schu­le ge­hen.“

      Ich heul­te noch lau­ter und sah in Rich­tung Tür, als ich einen Knall auf mei­ner rech­ten Wan­ge spür­te. Ich dach­te, mein Kopf wür­de weg­flie­gen, so hef­tig war die Ohr­fei­ge. Ich war still. Die drei Frau­en ver­lie­ßen den Raum. Ich stand auf und lief zur Tür, sie war ab­ge­schlos­sen. Ich brüll­te los, so laut, wie nie­mals zu­vor. Ein paar Au­gen­bli­cke spä­ter ging die Tür wie­der auf.

      Der Di­rek­tor rief mei­ne Mut­ti an. „Ihr Kind ist nicht schul­reif“, er­klär­te er. „Stel­len Sie ihre Toch­ter lie­ber noch ein Jahr zu­rück.“

      Ich durf­te nach Hau­se und muss­te nicht mehr in die Schu­le. Ich konn­te wie­der mit mei­nem Meer­schwein­chen spie­len. Mei­ne Mut­ti brach­te mir am Früh­stücks­tisch das Le­sen mit Hil­fe der Bild-Zei­tung bei. Ich lern­te mit ihr rech­nen, mal­te und spiel­te. Und mein Papa schimpf­te nicht. Er sag­te, dass ich dann eben im Schwa­rz­wald in die ers­te Klas­se käme. Ich er­klär­te, dass ich nie in die Schu­le ge­hen wür­de.

      Mei­ne Mut­ti saß mit mir auf dem Bal­kon, wir spiel­ten mit den Pup­pen, und der Hund war auch da­bei. Sie nahm mich zu ih­rem Heil­prak­ti­ker mit, der über das Vor­ge­fal­le­ne ent­setzt war. „Wie kann man nur ein klei­nes Kind schla­gen!“ Er emp­fahl mei­ner Mut­ter, mich auf eine Wal­dorf­schu­le zu schi­cken und gab ihr Bachblü­ten mit, die eine har­mo­ni­sie­ren­de Wir­kung ha­ben soll­ten.

      Evi und Hel­ga trös­te­ten mich auf ihre Art. Ich sei ein­fach zu blöd, um in die Schu­le zu ge­hen. Le­sen, schrei­ben und rech­nen müss­ten dann eben an­de­re für mich, mein­ten sie grin­send. Ich war ge­knickt: Mei­ne Schwes­ter und mei­ne Cou­si­ne wuss­ten al­les und ich nichts.

      Die Po­li­zis­ten vor un­se­rer Haus­tür hat­ten es eben­falls mit­ge­kriegt: Num­mer fünf blieb zu Hau­se, weil sie in der Schu­le mit ih­rem Ge­brüll den Un­ter­richt lahm­ge­legt hat­te. Sie nick­ten mir zu, wenn ich mit As­trid das Haus ver­ließ: Num­mer fünf spiel­te di­rekt vor der Haus­tür und hat­te ein wei­ßes Ro­set­ten­meer­schwein­chen im Kin­der­pup­pen­wa­gen


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