Kindheit D. Ines Krüger

Kindheit D - Ines Krüger


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mich mei­ne Mut­ter in mein Zim­mer zu­rück, bis sie die Ge­duld ver­lor. Vor Mit­ter­nacht war bei uns sel­ten Ruhe, und mein Va­ter sag­te es frei her­aus: „Ines, du bist ein ganz un­ar­ti­ges Mäd­chen.“

      Mei­ne El­tern ver­such­ten al­les Mög­li­che, von Stra­fen über Be­loh­nun­gen, aber ich war nicht zu be­ru­hi­gen. Bis mei­ne Schwes­ter die ret­ten­de Idee hat­te. Evi hat­te noch einen Leucht­glo­bus, den sie nicht mehr brauch­te. Sie über­reich­te ihn mir fei­er­lich mit den Wor­ten: „Hier, Mau­si, da­mit kannst du nachts die Län­der an­schau­en.“

      Am An­fang war ich miss­trau­isch. Der Glo­bus strahl­te blau­es Licht aus, von den Welt­mee­ren. Ich dreh­te ihn so lan­ge zu mir hin, bis es mög­lichst hell war. Von nun an schlief ich je­den Abend in Aus­tra­li­en ein. Ich hat­te mei­nen Glo­bus und lern­te die Welt ken­nen. Es gab wohl kein Mäd­chen weit und breit, das sich so gut in Aus­tra­li­en aus­kann­te wie ich. Da wohn­ten be­stimmt alle am Strand, dach­te ich mir. Dort woll­te ich hin, ir­gend­wann. Aus­wan­dern dort­hin, wo es kei­ne Ter­ro­ris­ten gab! Ich dreh­te den Glo­bus, bis ich ir­gend­wann ein­sch­lief.

      Das klapp­te aber nicht jede Nacht. Ei­nes Abends hat­te Mut­ti ge­nug von mir. Sie knall­te mir ein paar auf die Wan­ge. „Du bist nicht al­lein auf der Welt. Wir wol­len schla­fen. Denkst du auch mal dar­an?“

      Es knall­te noch mal, und ich brüll­te los.

      Mei­ne Mut­ti schüt­tel­te mich ener­gisch, bis ich still war. Dann sag­te sie lei­se zi­schend zu mir: „Du kannst was er­le­ben, wenn du jetzt nicht still bist. Wenn du hier so laut her­um­schreist, ru­fen die Nach­barn das Ju­gend­amt an. Dann ho­len sie dich ab ins Heim, we­gen Schrei­e­rei.“

      Ich wein­te lei­se vor mich hin. Ich war mir si­cher: Hin­ter dem Vor­hang in mei­nem Zim­mer ver­steck­ten sich Ter­ro­ris­ten, und wahr­schein­lich auch noch un­ter mei­nem Bett. Ich brüll­te wie­der los. Mein Va­ter kam ins Zim­mer. „Wenn die Per­so­nen­schüt­zer da drau­ßen hö­ren, wie du dich be­nimmst, ist das ganz schlecht. Du bist jetzt mal hübsch lei­se! Du bist die Toch­ter von ei­nem Bun­des­an­walt, und da be­nimmt man sich!“

      Ich war ver­zwei­felt. Mei­ne El­tern wa­ren so böse zu mir, und ins Kin­der­heim woll­te ich auch nicht. Ich stieg in mein klei­nes Bett und dreh­te am Glo­bus. Aus­tra­li­en! Ich konn­te es ge­nau ent­zif­fern. Queens­land, da woll­te ich hin. Am liebs­ten gleich mor­gen.

      Wir zo­gen mit Hund, Meer­schwein­chen und al­lem, was wir hat­ten, in die Ge­gend von Ka­rls­ru­he in ein klei­nes Schwa­rz­wald­dorf. An­geb­lich war das neue Haus ganz si­cher. Vier be­waff­ne­te Po­li­zis­ten mit Funk­ge­rä­ten stan­den rund um die Uhr vor un­se­rer Haus­tür, für ihre Ru­he­pau­se hat­ten sie einen klei­nen Wohn­wa­gen. Alle Schei­ben im Haus wa­ren aus Pan­zer­glas. Die Mo­lo­tow­cock­tail-si­che­re Mar­ki­se war rot, man konn­te sie so weit her­un­ter­fah­ren, dass der Bal­kon als si­cher galt. Sta­chel­draht hat­ten wir auch be­kom­men, und kein ein­zi­ger Baum stand im Gar­ten, da­für schenk­te mir mei­ne Mut­ti ein Schau­kel­ge­rüst.

      Trotz­dem hat­te ich Angst, und mei­ne El­tern hat­ten auch Angst. Des­halb wa­ren bei uns alle Tü­ren ab­ge­schlos­sen, und in der Schub­la­de im Flur lag die Pis­to­le.

      Sonst än­der­te sich nicht viel: Mein Papa war wei­ter­hin fast nie zu Hau­se. Wenn er vom Büro kam, wur­de er von ei­nem Per­so­nen­schüt­zer mit MP bis vor die Haus­tür ge­bracht. Dann hat­te er Hun­ger und nur sehr sel­ten Zeit, sich mit mir zu un­ter­hal­ten. Er frag­te mei­ne Mut­ti über mei­nen Kopf hin­weg, ob sei­ne „puel­la“ auch brav ge­we­sen sei. Das war La­tein und hieß Mäd­chen. Er ver­si­cher­te mei­ner Mut­ter, wie schön sie sei, und igno­rier­te mich. Wenn ich ihn an­sprach, hör­te er nie wirk­lich zu. Er hat­te oft Kopf­schmer­zen.

      Bei mei­ner Mut­ter er­kun­dig­te er sich je­den Tag, ob et­was Be­son­de­res pas­siert sei. Es gab im­mer wie­der Nach­barn, die ver­däch­ti­ge Per­so­nen in un­se­rer Stra­ße wahr­ge­nom­men hat­ten und die­se In­for­ma­ti­o­nen an die Po­li­zis­ten vor un­se­rer Haus­tür wei­ter­ga­ben: Etwa ein ein­zel­ner Mann mit ei­ner gro­ßen Plas­tik­tü­te in der Hand oder ein Auto, das be­son­ders lang­sam an un­se­rem Haus vor­bei­ge­fah­ren war. Mein Va­ter gab die Per­so­nen­be­schrei­bun­gen, die die Nach­barn ihm ge­ge­ben hat­ten, an die Be­hör­den wei­ter.

      Ein paar Wo­chen nach un­se­rem Ein­zug war un­ser Haus ein­deu­tig von zwei ver­däch­ti­gen Män­nern be­ob­ach­tet wor­den, die ziem­lich un­vor­sich­tig wa­ren. Nach­barn ent­deck­ten sie und konn­ten sie ziem­lich ge­nau be­schrei­ben. Die Er­mitt­ler ver­mu­te­ten, dass es zwei Ter­ro­ris­ten vom Fahn­dungs­pla­kat wa­ren.

      We­nig spä­ter be­ka­men wir einen Rie­sen­schreck: Ein klei­nes Flug­zeug war auf­fäl­lig lan­ge über un­se­rem Häu­ser­block hin und her ge­flo­gen. Das BKA wur­de ein­ge­schal­tet. Tat­säch­lich hat­te je­mand in dem Flie­ger Luft­auf­nah­men an­ge­fer­tigt. Mein Va­ter war ent­setzt. Wir hat­ten nicht dar­an ge­dacht, dass auch aus der Luft her­aus ein At­ten­tat auf uns ver­übt wer­den kön­ne. Auf so et­was wa­ren die Si­cher­heits­maß­nah­men nicht aus­ge­legt.

      Gleich über die Stra­ße gab es einen klei­nen Spiel­platz. An­fangs durf­te ich dort spie­len, aber nach der Ge­schich­te mit dem Flug­zeug war es da­mit vor­bei. Ich durf­te drau­ßen nur noch di­rekt vor den Po­li­zis­ten oder im Gar­ten spie­len. Sonst wur­de mei­ne Mut­ter hys­te­risch. Ein­mal war ich mit den Roll­schu­hen ein­fach weg­ge­fah­ren, denn bei uns in der Nähe gab es eine tol­le Ab­fahrt. So­fort gab es Alarm: Num­mer fünf war weg! Es dau­er­te nicht lan­ge und ich wur­de ge­or­tet und wie­der ein­ge­fan­gen. Mei­ne Mut­ti heul­te, und ich be­kam ent­setz­li­chen Är­ger: Sie hat­te mich doch so lieb und woll­te nicht, dass mir et­was zu­stieß – dass die bö­sen Män­ner kom­men und mich in ein Auto zer­ren und ent­füh­ren. Ich wein­te vor Schreck. Ich hat­te doch nur mit den Roll­schu­hen fah­ren wol­len.

      Mei­ne Mut­ter be­ru­hig­te sich nur lang­sam. Sie frag­te eine Nach­ba­rin, ob ich viel­leicht bei ihr zu Hau­se manch­mal mit ih­ren Kin­dern spie­len dür­fe. Die Nach­ba­rin stimm­te zu – wenn ich mich nur von ih­rem Baby fern­hiel­te: „Hän­de weg vom Baby!“, schärf­te sie mir ein. „Den Kin­der­wa­gen fasst du nicht an!“ Das Baby in­ter­es­sier­te mich über­haupt nicht. Man sah so­wie­so nichts von der Klei­nen im Kin­der­wa­gen au­ßer ei­ner rosa Müt­ze und ei­ner Strick­de­cke.

      Ich war oft bei den Nach­barn. Die Schwa­rz­wäl­de­rin back­te Dampf­nu­deln, ich spiel­te mit den Kin­dern, und in kur­z­er Zeit lern­te ich den ba­di­schen Di­a­lekt.

      Mei­ne Mut­ter konn­te den Di­a­lekt nicht ausste­hen. Wenn ich zu Hau­se Ba­disch sprach, be­kam sie so­fort schlech­te Lau­ne. „Das heißt nicht: ‚Du hasch’, son­dern ‚Du hast’! Ge­wöhn dir das bloß nicht an!“ Sie ließ mich die Sät­ze auf Hoch­deutsch wie­der­ho­len und schimpf­te mit mir ohne Ende. „Wenn du spä­ter nicht mehr im Schwa­rz­wald wohnst, den­ken die Leu­te, du bist un­ge­bil­det“, sag­te sie und kniff mich wü­tend in den Arm. „Ge­bil­de­te Men­schen spre­chen kei­nen Di­a­lekt.“

      Ich war den Trä­nen nahe. Es war wohl bes­ser, Hoch­deutsch zu spre­chen, sonst hat­te mich die Mut­ti nicht mehr lieb.

      Die Stra­ße, in der wir wohn­ten, hieß bei al­len im Dorf bald nur noch „Der Rich­ter­berg“. Mei­ne Mut­ter


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