Kindheit D. Ines Krüger

Kindheit D - Ines Krüger


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Va­ter, der Ter­ro­ris­ten­jä­ger, muss­te um sei­nen Job fürch­ten. Die Ver­fas­sungs­schüt­zer be­dau­er­ten mei­nen Va­ter. Sei­ne Nich­te habe wohl aus­ge­präg­te Tee­n­a­ger­fan­tasi­en, er­klär­ten sie.

      Mein Va­ter be­hielt sei­nen Job, aber er wur­de eine Zeit­lang schief an­ge­se­hen. Als eine Be­för­de­rung an­stand, wur­de er über­g­an­gen. Sei­ne pu­ber­tie­ren­de Nich­te hat­te ihm eine noch glän­zen­de­re Kar­rie­re ver­dor­ben.

      Mein Va­ter ach­te­te jetzt mehr auf mich. Er sag­te mir, dass man im Le­ben nicht lü­gen sol­le. Die Wahr­heit sei viel­leicht manch­mal un­be­quem, aber im­mer bes­ser. Er sag­te, dass ich spä­ter nicht Ju­ris­tin wer­den müs­se. Viel­leicht wol­le ich ja auch Heil­prak­ti­ke­rin wer­den, wie die net­te The­ra­peu­tin, die mei­ne Mut­ter jetzt be­han­del­te. Sie hat­te mir ein paar lee­re Plas­tik­sprit­zen ge­schenkt, und ich piks­te mei­ne Pup­pen da­mit. Mein Papa sag­te, ich sol­le ihm im­mer die Wahr­heit sa­gen. Und dass ich die Ak­ten in sei­nem Ar­beits­zim­mer nicht an­rüh­ren sol­le, das sei sonst Spi­o­na­ge. Ich nick­te. Der Kel­ler war mir oh­ne­hin zu ge­fähr­lich we­gen der Dun­kel­heit und der Hei­zung.

      Papa sah mich ernst und trau­rig an. „Mei­ne lie­be Mol­li“, sag­te er, „wenn mir mal et­was pas­siert, musst du ganz tap­fer sein und zu dei­ner Mut­ter hal­ten. Das ist ganz wich­tig. Merkst du dir das?“

      Ich nick­te wie­der. „Meinst du, dir pas­siert was, Papa?“

      Er zuck­te die Ach­seln. „Du arme klei­ne Mol­li. Da drau­ßen ist es ge­fähr­lich, aber wir ha­ben den Per­so­nen­schutz. Das liegt in Got­tes Hand.“

      „Wir ha­ben Schutz­en­gel”, sag­te ich. „Ich habe sie ge­se­hen.“

      Mein Va­ter nick­te. „Ja, wir ha­ben Schutz­en­gel. So, lie­be Mol­li, jetzt gehst du hoch und füt­terst dein Meer­schwein.“

      Ich mach­te mich so­fort auf den Weg. As­trid be­kam Ra­dies­chen­blät­ter, die la­gen schon in der Kü­che be­reit. Ich stie­fel­te trepp­auf und gab sie dem Schwein­chen. Es mach­te „oink-oink“. As­trid sprach mit mir. Sie aß al­les ganz schnell auf, und ich blieb bei ihr oben und knips­te den Glo­bus an.

      In In den Os­ter­fe­ri­en fuh­ren wir nach Spa­ni­en. Mei­ne El­tern wa­ren schon seit ih­rer Ju­gend­zeit Spa­ni­en­fans, sie hat­ten sich als Stu­den­ten in das Land der Oli­ven­bäu­me ver­liebt. Den letz­ten Ur­laub zu­vor hat­te kei­ner von uns in gu­ter Er­in­ne­rung. Wir wa­ren an der fran­zö­si­schen At­lan­tik­küs­te auf ei­nem Cam­ping­platz. Das Ba­den im wild auf­ge­wühl­ten Meer war ge­fähr­lich. Ich hat­te kaum ins Meer ge­hen kön­nen, weil die Wel­len so hoch wa­ren und ich noch nicht rich­tig schwim­men konn­te. Stän­dig lief un­ser Hund am Strand weg, und wenn wir ihn am Son­nen­schirm fest­mach­ten, riss er al­les um. Als dann noch ein Ge­wit­ter un­ser Zelt un­ter Was­ser setz­te, reis­ten wir ge­nervt ab. Süd­frank­reich auf dem Cam­ping­platz war mit Per­so­nen­schutz un­denk­bar. Also ging es dies­mal nach Spa­ni­en. Mei­ne Mut­ti hat­te ein Fe­ri­en­haus aus­ge­sucht, in dem auch die bei­den Per­so­nen­schüt­zer, die uns be­glei­ten soll­ten, un­ter­ge­bracht wer­den konn­ten.

      Evi und Hel­ga fuh­ren nicht mit. Evi hat­te mit dem Stu­di­um an­ge­fan­gen – nicht Jura, trotz ih­res glän­zen­den Ab­iturs, son­dern Che­mie und Mi­ne­ra­lo­gie. Sie hat­te sich der Par­tei „Die Grü­nen“ an­ge­schlos­sen und en­ga­gier­te sich für Um­welt­schutz und ge­gen Atom­kraft. Sie woll­te die Welt ret­ten und fuhr eine grü­ne Ente, die über und über mit Anti-Atom­kraft-Sti­ckern be­klebt war. Und Hel­ga woll­te nicht mit uns in den Ur­laub fah­ren. Sie durf­te zu Hau­se blei­ben, aber si­cher­heits­hal­ber schloss mein Va­ter sein Ar­beits­zim­mer ab. Da­mit die klei­ne Spio­nin ihm nicht scha­den konn­te, wäh­rend er im Ur­laub war.

      As­trid und un­ser Hund wur­den von Evi ver­sorgt, und mei­ne Mut­ti er­laub­te mir, die Schul­bü­cher zu Hau­se zu las­sen. Ich war glü­ck­lich. Wir be­pack­ten das Auto und fuh­ren los in den Sü­den. Es war ein lan­ger Weg vom Schwa­rz­wald bis Spa­ni­en. Die bei­den Per­so­nen­schüt­zer, die sich frei­wil­lig ge­mel­det hat­ten, uns zu be­glei­ten, folg­ten un­se­rem blau­en BMW mit ih­rem Mer­ce­des, eine klei­ne Ka­ra­wa­ne quer durch Eu­r­o­pa. Wir fuh­ren die gan­ze Nacht durch und Mut­ti strahl­te. Ich saß auf dem Rück­sitz und freu­te mich auf das Meer. Früh­mor­gens sah ich schon Pal­men und Oli­ven­bäu­me und kei­ne Ter­ro­ris­ten weit und breit.

      Die Per­so­nen­schüt­zer wa­ren ge­nau­so müde wie wir, als wir an­ka­men. Mein Va­ter leg­te größ­ten Wert dar­auf, dass ich mit ih­nen höf­lich um­ging: „Ines, die­se Män­ner set­zen ihr Le­ben für uns aufs Spiel. Um mit uns in Ur­laub zu fah­ren, ha­ben sie ihre Frau­en und Kin­der zu Os­tern al­lein ge­las­sen.“

      Ich ver­such­te wirk­lich, freund­lich zu sein. Ich sag­te im­mer „Gu­ten Mor­gen“ und „Darf ich bit­te …“ Ich wuss­te, sonst gab es Är­ger.

      Mei­ne Mut­ti zeig­te mir, wo mein Zim­mer war und wo ich mir Cola aus dem Kühl­schrank neh­men konn­te. Die Ver­mie­te­rin hat­te uns et­was Es­sen hin­ge­stellt, da­mit wir nach der lan­gen An­rei­se et­was hat­ten.

      Mein Va­ter war glü­ck­lich. Er nann­te mei­ne Mut­ti „Schat­zi“. Sie zog ih­ren blau-ge­streif­ten Bi­ki­ni an, und er lob­te sie, wie schön sie aus­sah. Sie sonn­ten sich im Gar­ten. Die Per­so­nen­schüt­zer hat­ten eine ei­ge­ne Ein­lie­ger­woh­nung in dem Fe­ri­en­häus­chen, das sehr ru­hig ge­le­gen war.

      Ich hat­te mei­ne Mal­sa­chen und mei­ne Roll­schu­he da­bei, und mein Va­ter sag­te zu mir: „Hör mal, Mol­li, du kannst ru­hig hier vor dem Haus Roll­schuh fah­ren. Hier pas­siert dir nichts.“

      Ich fuhr die klei­ne Auf­fahrt rauf und run­ter, stun­den­lang, im­mer wie­der aufs Neue. Es war heiß. Ich trank Cola, und mei­ne Mut­ti schlief auf der Lie­ge im Gar­ten.

      Ich sah mir das Ge­län­de rund um das Haus an.

      „Wo willst du denn hin?“, sprach mich ei­ner der Per­so­nen­schüt­zer an. Num­mer fünf war auf Ab­we­gen.

      „Ich woll­te nur mal schau­en, was da ne­be­n­an ist“, ant­wor­te­te ich.

      „Das ist kei­ne gute Idee“, ant­wor­te­te der Mann. „Bleib im­mer schön in Sicht­wei­te. Du bist doch vor­hin Roll­schuh ge­fah­ren. Mach doch das. “

      Sie hat­ten mich be­ob­ach­tet, ohne dass ich es wuss­te. Es war mir pein­lich, mein Kopf wur­de knall­rot. Also zog ich mei­ne Roll­schu­he wie­der an und fuhr her­um. Ich fuhr die gan­ze Zeit her­um, wenn wir nicht am Strand wa­ren.

      Je­den Mor­gen früh­stück­ten wir ge­mein­sam auf der Ter­ras­se. Und wir gin­gen auf den Markt. Dort sa­hen wir einen Mann mit ei­nem Schim­pan­sen auf dem Arm. Ich fass­te den Af­fen an, und er biss mich in die Hand. „Das ha­ben wir lei­der nicht ver­hin­dern kön­nen“, sag­te der Per­so­nen­schüt­zer zu mei­ner Mut­ter. Die Er­wach­se­nen über­leg­ten, ob ich nach dem Af­fen­biss ge­gen Te­ta­nus ge­impft wer­den müs­se. Mei­ne Mut­ti mein­te, dass der Affe doch ziem­lich ge­sund aus­ge­se­hen habe.

      Wir hat­ten im Fe­ri­en­haus kein Fern­se­hen, aber mein Va­ter hör­te je­den Mor­gen im Ra­dio Nach­rich­ten in deut­scher Spra­che, im­mer di­rekt vor dem Früh­stück.


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