Kindheit D. Ines Krüger

Kindheit D - Ines Krüger


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ste­hen, in dem ich ger­ne spiel­te. Aber Hel­ga woll­te nicht mit mir spie­len, sie sah lie­ber fern. Ich hat­te Angst vor dem, was da im Fern­se­hen lief, und ver­steck­te mich im Zelt.

      Hel­ga er­klär­te, ich hät­te ab­ste­hen­de Oh­ren und sähe häss­lich aus. Mei­ne Au­gen hät­ten die Fa­r­be von Fisch­au­gen. Ich wein­te, weil mei­ne Cou­si­ne mich nicht ausste­hen konn­te. Aus Ei­fer­sucht nahm sie mir mei­ne neu­en Bunt­stif­te und mein Knet­gum­mi weg. Sie hör­te nicht auf das, was mei­ne Mut­ti ihr sag­te. Im­mer wie­der er­tapp­ten mei­ne El­tern sie beim Lü­gen. Mein Papa ver­mu­te­te, es kön­ne eine pu­ber­tä­re Trotz­pha­se sein. Sie litt dar­un­ter, dass Evi so gut bei al­len an­kam. Evi hat­te so viel In­tel­li­genz, und ihre Art zu la­chen, steck­te an­de­re Men­schen an. Dazu dann noch die klei­ne Ines, die so ängst­lich war, dass sie im­mer an der Mut­ter hing. Es sei kein Wun­der, dass Hel­ga da­mit nicht zu­recht­kam.

      Evi kam sehr nach mei­nem Va­ter, sie war klein und mol­lig. Und sie hat­te das gro­ße Pech, dass sie an Schup­pen­flech­te er­krankt war. So­gar ihr Ge­sicht war von ei­nem schup­pi­gen Aus­schlag über­säht. Aber sie war tap­fer und lä­chel­te dar­über hin­weg. In fast al­len Fä­chern war sie die Klas­sen­bes­te, ihr stand ein Su­pe­ra­bi­tur be­vor. Man hat­te sie zur Klas­sen­spre­che­rin ge­wählt, sie mal­te be­ste­chend schö­ne Öl­bil­der und war der ehr­lichs­te Mensch, den man sich vor­stel­len konn­te.

      Ne­ben ihr stand Hel­ga we­ni­ger gut da. Sie punk­te­te da­mit, dass sie an­geb­lich schö­ner war. Wenn sie nicht in die Schu­le woll­te, schob sie ir­gend­wel­che ein­ge­bil­de­ten Krank­hei­ten vor. Aber mei­ne El­tern durch­schau­ten sie. Wenn sie wie­der ein­mal ir­gend­wel­che rät­sel­haf­ten Sym­pto­me er­wähn­te, sag­te mei­ne Mut­ti zu ihr: „Dann ge­hen wir jetzt so­fort zum Arzt. Der kann dir gleich mal Blut ab­neh­men.“ Mei­ne Mut­ti wuss­te näm­lich, dass mei­ne Cou­si­ne nicht die ge­rings­te Lust hat­te, sich mit ei­ner Na­del in die Arme ste­chen zu las­sen. Und in­ner­halb von Se­kun­den war sie wie­der ge­heilt.

      Ei­nes Ta­ges er­zähl­te Hel­ga mir nicht ohne Ge­nug­tu­ung, mei­ne El­tern hät­ten sich mich nie ge­wünscht. Ich sei ein Un­fall ge­we­sen. Ei­gent­lich hät­ten mei­ne El­tern mich ab­trei­ben wol­len, man wur­de dann als klei­nes Baby im Mut­ter­bauch tot­ge­macht. Hel­ga hat­te mich dar­über auf­ge­klärt: Wenn die El­tern zu­sam­men im Bett schlie­fen, konn­ten sie aus Ver­se­hen ein Kind wie mich be­kom­men. So et­was war dann sehr är­ger­lich.

      Ich saß auf dem Tep­pich, schau­te mei­ne Cou­si­ne an und hat­te Trä­nen in den Au­gen. „Das stimmt doch nicht. Mei­ne Mut­ti hat mich doch lieb.“

      Hel­ga schüt­tel­te tri­um­phie­rend den Kopf. „Das denkst du. Aber dich woll­te sie gar nicht.“ Dann schärf­te mir mei­ne Cou­si­ne ein, ich dür­fe das al­les auf kei­nen Fall ir­gend­wem er­zäh­len, sonst wür­de sie nie wie­der mit mir spie­len. Und sie wür­de da­für sor­gen, dass mir mein Meer­schwein­chen weg­ge­nom­men wer­de. Ich schluchz­te und nick­te.

      Ein paar Tage spä­ter frag­te ich Evi, wo ei­gent­lich die Ba­bys her­kä­men.

      Sie sah mich strah­lend an. „Die sind aus dem Ver­sand­haus­ka­ta­log. Da be­stellt man die. Die Au­gen­fa­r­be, die Haa­r­fa­r­be … al­les. Und dann wer­den sie im Stram­pe­l­an­zug ge­lie­fert.“

      Ich war völ­lig ver­wirrt. „Dann habt ihr mich aus dem Ka­ta­log be­stellt?“

      Evi nick­te. „Na­tür­lich.“

      Ich war ja so er­leich­tert. Das, was Hel­ga er­zählt hat­te, stimm­te nicht. Ich war aus dem Ka­ta­log ge­lie­fert, im Stramp­ler. Das er­klär­te al­les.

      Wir zähl­ten die Tage bis zum Um­zug nach Ka­rls­ru­he. Un­se­re Fa­mi­lie hat­te ein Haus im Schwa­rz­wald ge­fun­den, und Si­cher­heits­s­pe­zi­a­lis­ten hat­ten uns ver­spro­chen, un­ser neu­es Zu­hau­se ab­zu­si­chern – bes­ser als in dem klei­nen Bon­ner Vier­tel, in dem wir wohn­ten. Mein Papa hat­te es schrift­lich vom Po­li­zei­prä­si­den­ten be­kom­men, und mei­ne Mut­ti hat­te es mir er­klärt:

      „Schat­zi­lein, du brauchst bald gar kei­ne Angst mehr zu ha­ben. Wir be­kom­men in alle Fens­ter Pan­zer­glas, durch das kann man nicht durch­schie­ßen.“

      An alle Fens­ter- und Tür­grif­fe wür­den wir Si­cher­heits­sch­lös­ser be­kom­men und ein Vor­le­ge­schloss an die be­son­ders si­che­re Haus­tür. Die Roll­lä­den wür­den bom­ben­si­cher und feu­er­ab­wei­send sein. Auch die Dach­fens­ter wür­den pan­ze­r­fest sein, und für den Som­mer soll­ten wir eine Mar­ki­se be­kom­men, die so­gar Mo­lo­tow­cock­tails ab­hielt. Ich dach­te, das sei et­was zu trin­ken. „Nein, das sind Mi­ni­bom­ben, Kind“, er­klär­te mir mei­ne Mut­ter.

      So­gar un­se­re Müll­ton­ne wür­de ein­bruchs­si­cher sein, und wir be­kä­men ganz tol­len Sta­chel­draht rund ums Haus. Ich ver­such­te es mir vor­zu­stel­len, es war sehr schwer.

      Mei­ne Mut­ter las mei­ner Schwes­ter aus dem Schrei­ben des Po­li­zei­prä­si­den­ten vor: „... eine schlag­hem­men­de Leuch­te an der Haus­tür und ab­schalt­ba­re Steck­do­sen. Und eine elek­tri­sche Über­fall­mel­de­an­la­ge mit di­rek­tem An­schluss an den Po­lizei­not­ruf.“

      Ich dach­te dar­über nach, ob mei­ne Mut­ti trotz­dem ent­führt wer­den könn­te.

      Wir soll­ten Not­ruf­knöp­fe in al­len Zim­mern be­kom­men, und bis wir um­zo­gen, wür­den noch die Bäu­me im Gar­ten ge­fällt. Die Spe­zi­a­lis­ten woll­ten si­cher­ge­hen, dass es bei uns im Gar­ten kei­ne Ver­steck­mög­lich­keit gab.

      Im Gar­ten soll­ten ganz star­ke Schein­wer­fer in­stal­liert wer­den, die von in­nen an­ge­knipst wer­den konn­ten. Selbst in schwär­zes­ter Nacht wür­de der Gar­ten ohne Bäu­me von grel­lem Licht er­hellt. Der Bal­kon war eine Schwach­stel­le, da soll­te eine schwer zu öff­nen­de Si­cher­heits­tür hin.

      Es gab einen Satz in dem Schrei­ben, der mei­ner Mut­ti Angst mach­te: „Es soll­te in Er­wä­gung ge­zo­gen wer­den, gleich­zei­tig mit der Über­fall­mel­de­an­la­ge einen akus­ti­schen Alarm­ge­ber und die Au­ßen­be­leuch­tung in Tä­tig­keit zu set­zen. Es könn­te eine Si­re­ne, ein Horn oder eine lau­te Glo­cke er­tö­nen. Po­ten­zi­el­le Straf­tä­ter könn­ten mög­li­cher­wei­se da­durch von wei­te­ren Hand­lun­gen ab­ge­schreckt oder in ih­rem Vor­ha­ben ge­stört wer­den.“

      Das klang nicht gut. Wir woll­ten gar kei­ne Straf­tä­ter im Gar­ten, da woll­te ich mein Meer­schwein lau­fen las­sen und Ball spie­len.

      Und es gab noch einen Ge­fah­ren­punkt: un­se­re ge­park­ten Au­tos vor der Haus­tür. Wir soll­ten sie vor je­der Fahrt auf kleins­te Ver­än­de­run­gen prü­fen und ste­hen las­sen, wenn et­was nicht in Ord­nung sei. Auf kei­nen Fall ein­stei­gen und los­fah­ren! Al­les in al­lem wür­den wir best­mög­lich be­schützt wer­den, das war ver­spro­chen. Ich be­griff es lang­sam: Ich hat­te einen Va­ter, der nicht nor­mal ist, und als Fa­mi­lie ist man dann auch nicht nor­mal.

      Bis es so weit war, gin­gen Evi und Hel­ga in Bonn wei­ter zur Schu­le, und ich blieb bei mei­ner Mut­ti und den Po­li­zis­ten. Mein Papa war ganz weg, denn er ar­bei­te­te im Aus­land. Als ich mei­ne Mut­ti frag­te, wo er war, sag­te sie: „Du bist ja im­mer so ängst­lich! Glaub mir, er ist auf ei­ner Dien­st­rei­se.“


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