Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
Locken wie Uwe? Hat er so lustige braune Augen wie das Kind? Vielleicht auch so niedliche Grübchen?«
»Es ist nicht wahr«, wehrte sich die junge Frau und versuchte, sich dem brutalen Griff zu entwinden.
Doch Norbert war bedeutend stärker als sie. »Ich bin mit dir in dieses Ferienparadies gezogen, damit du vergessen sollst. Damit wir einander hier wieder näherkommen. Doch du hast dich nur noch weiter von mir entfernt. Du wirst immer stiller, machst eine richtige Leidensmiene. Glaubst du, dass das richtig ist? Ich lese dir jeden Wunsch von den Augen ab, verwöhne dich wie eine Prinzessin, aber nichts macht dir Spaß. Weder Blumen, noch Schmuck, noch schöne Kleider.«
Inge biss sich auf die Lippen. Sie wusste, die Vorwürfe ihres Mannes waren berechtigt. Sie konnte sich tatsächlich über die oft sehr kostbaren Geschenke nicht freuen. Sie hatte nur einen einzigen Wunsch, ihr Kind wieder in die Arme nehmen zu dürfen.
»Was verlangst du eigentlich von mir? Was kann ich noch tun?« Norbert griff sich an den Kopf. »Wie kann ich dir beweisen, dass ich dich liebe?«
»Vielleicht könnten wir doch noch einmal versuchen, Uwe zu uns zu nehmen. Nur für ein paar Tage.« Inge hob flehend die Hände.
»Uwe und immer nur Uwe!« Norbert biss die Zähne zusammen. »Gibt es denn für dich nichts anderes mehr? Mein Gott, war ich ein Idiot, als ich dich dazu überredete, das Kind eines anderen zur Welt zu bringen. Wenn ich das alles nur ungeschehen machen könnte! Wenn ich nur niemals diese unselige Idee gehabt hätte! Ich habe dir doch gesagt, dass ich den Anblick des Kindes nicht ertragen kann. Er macht mich wahnsinnig, ständig vor Augen geführt zu bekommen, dass ich ein jämmerlicher Krüppel bin. Verstehst du das denn nicht?« Er brüllte jetzt unbeherrscht. »Jeden anderen Wunsch erfülle ich dir, nur diesen nicht! Ich kann es nicht, weil ich daran zugrunde gehen würde. Kannst du das nicht begreifen? Kannst du nicht mir zuliebe auf das Kind verzichten?«
»Ich versuche es ja«, murmelte Inge, grenzenlos enttäuscht. »Aber es ist so entsetzlich schwer. Warum musst du immer daran denken, dass ein anderer Uwes Vater ist? Wir könnten es doch einfach vergessen. Das Kind ist unschuldig. Es kann doch wirklich nichts dafür, dass es zur Welt gekommen ist und nun herumgestoßen wird.«
»Hast du nicht selbst gesagt, dass es sich bei dem Kinderheim Sophienlust um eine ganz hervorragende Einrichtung handelt? Um eine echte Heimat für elternlose Kinder?«
»Aber Uwe ist kein Waisenkind. Ich würde ihn so gern wieder bei mir haben und ihn selbst erziehen.« Inges Stimme klang sehnsüchtig. Tränen liefen über ihre schmal gewordenen Wangen. Sie merkte es nicht einmal.
»Du spielst mir ein mieses Theater vor. Was du wirklich willst, habe ich längst erkannt. Du sehnst dich nicht nach dem Kind, sondern nach dem Vater. Glaubst du, ich habe nicht bemerkt, dass du dich seit Uwes Geburt verändert hast? Du bist noch hübscher geworden, noch bezaubernder.«
»Aber doch nur, weil ich so glücklich war«, stöhnte Inge gequält.
»Du erwartest doch nicht, dass ich das glaube? Du hast damit gerechnet, dass du ihn, den Vater deines Jungen, kennenlernen würdest. Deshalb hast du dich schön gemacht. Inzwischen sind mehr als zwei Jahre vergangen. Es ist verständlich, dass du nervös wirst.«
»Mir liegt nichts an diesem Mann, den ich überhaupt nicht kenne«, schrie Inge, außer sich vor Erregung.
»Und weshalb bist du dann so scharf auf sein Kind?«
»Weil Uwe auch mein Junge ist! Ich habe ihn zur Welt gebracht, habe die erste Zeit mit ihm erlebt. Das allein genügt doch, um ein Kind lieb zu gewinnen.«
Norbert schüttelte heftig den Kopf. »Das stimmt nicht. Du hoffst, über Uwe den Mann kennenzulernen. Das ist alles. Du willst auf das Kind nicht verzichten, weil es das Bindeglied zwischen euch ist.«
»Das ist doch Unsinn. Dieser Mann hat doch überhaupt keine Ahnung davon, dass er einen Sohn hat.«
»Noch nicht«, antwortete Norbert zynisch. »Aber das kann sich ändern. Man braucht ihn nur ausfindig machen und ihn über die Tatsachen unterrichten. Das ist es doch, woran du ständig denkst.«
»Nein«, schluchzte die junge Frau. »Es ist einfach nicht wahr. Ich liebe dich und sonst niemanden. Bitte, Norbert, glaube mir.« Inge wollte sich aus dem Sessel erheben, doch ihre Beine waren so kraftlos und zittrig, dass sie sofort wieder zurücksank.
»Und warum kannst du mit mir nicht glücklich sein? Warum kannst du dich über alles, was ich dir biete, nicht freuen? Ich habe mich lange von dir täuschen lassen. Aber jetzt ist’s genug. Ich weiß jetzt, dass ich dir nichts bedeute. Es ist auch klar, weshalb.« Norbert ging mit schweren Schritten zu der Hausbar und griff blindlings nach einer Flasche. Wie ein Verdurstender setzte er sie hastig an die Lippen.
Es war ein starker englischer Whisky, der ihm gleich darauf durch die Kehle floss. Er brannte höllisch, doch Norbert empfand es als angenehm. Der Alkohol würde ihn die Enttäuschung vergessen lassen, würde seine Qualen lindern.
Inge wankte zu ihm. Die Einrichtung des großen Raumes verschwamm vor ihrem Blick. Trotzdem erreichte sie die Bar. Sie klammerte sich an der Messingstange, die ringsum die Bar lief, fest und sagte mühsam: »Ich habe nie einem anderen gehört, und das soll auch so bleiben. Ich liebe nur dich, möchte nur an deiner Seite leben. Nicht deshalb, weil du berühmt und erfolgreich bist, sondern deshalb, weil ich dich gernhabe, wirklich gern.«
Norbert Hellbach spürte bereits die Wirkung des Alkohols. Er lachte laut und polternd. »Ich habe dir zuliebe darauf verzichtet, an die Mailänder Scala zu gehen. Ich werde auch noch weitere Opfer bringen. Du wirst es erleben!« Erneut setzte er die Flasche an die Lippen. Er schluckte und schluckte. Bald umnebelte der Alkohol seinen Verstand, machte es ihm schwer, klar zu denken, doch den Schmerz in seinem Herzen konnte er nicht betäuben.
*
»Das, was uns Magda kürzlich erzählt hat, steht heute in der Zeitung.« Nick schob Pünktchen heimlich das Blatt zu.
»Findest du es nicht merkwürdig, dass man erst jetzt darüber schreibt?« Pünktchen schüttelte das lange blonde Haar zurück.
»Vielleicht wollte man die polizeilichen Untersuchungen nicht gefährden.«
»Hier steht, dass man das kleine Mädchen noch immer nicht gefunden hat«, Pünktchen wies auf den Zeitungsbericht.
»Vielleicht sollten wir uns in der Umgebung von Bachenau einmal umsehen.«
Pünktchen machte ein erschrockenes Gesicht. »Aber Magda hat uns doch gebeten, nichts zu unternehmen. Und Frau Rennert wäre es auch nicht recht, das weiß ich.«
»Wir brauchen es ja nicht unbedingt zu sagen«, meinte Nick, den wieder einmal das Jagdfieber gepackt hatte. »Wir gehen einfach Blumen pflücken. Das fällt keinem auf.«
»Nur wir beide?«, flüsterte Pünktchen und sah sich ängstlich um.
»Nein. Es können alle mitkommen. Je mehr, desto besser.«
»Was flüstert ihr denn?«, erkundigte sich Fabian, ein blasser, schmaler Junge, der seine Eltern durch ein Zugunglück verloren hatte und seitdem in Sophienlust lebte.
»Wir haben gerade überlegt, wo die schönsten Vergissmeinnicht blühen.«
»Glaube ich nicht.« Fabian schüttelte den Kopf.
»Na gut. Dann lies das mal. Wir wollen uns in der Umgebung von Bachenau ein bisschen umsehen. Machst du mit?«
»Was denkt ihr denn!« Fabian strahlte.
»Ich weiß nicht, ob das alles noch Sinn hat nach so langer Zeit.« Pünktchen schüttelte den Kopf.
»Was ist schon eine Woche? Jedenfalls kann man es versuchen.«
Im großen Aufenthaltsraum von Sophienlust steckten jetzt immer mehr Kinder die Köpfe zusammen und tuschelten. Natürlich waren sie von Nicks Idee alle hellauf begeistert.
»Wir nehmen Barri mit«, schlug Angelika vor.
»Und ich sage