1919 - Das Jahr der Frauen. Unda Hörner

1919 - Das Jahr der Frauen - Unda Hörner


Скачать книгу
Mensch kann sagen, wie sie über Deutschlands Zukunft richten werden. Im November 1918 hatte Kaiser Wilhelm II. abgedankt und war außer Landes gegangen, in die Niederlande, wo er Aufnahme fand. Die Monarchie ist Geschichte und der Weg frei für eine demokratische Staatenordnung. Die Vorstellungen, wie das neue Deutschland aussehen soll, gehen allerdings weit auseinander. Durchaus nicht alle waren zufrieden, als Philipp Scheidemann am frühen Nachmittag des 9. November 1918 vom Balkon des Reichstagsgebäudes die erste deutsche Republik ausrief. Noch am selben Tag stand ein anderer auf dem Balkon des Berliner Stadtschlosses, der linke Sozialdemokrat Karl Liebknecht, und verkündete die Freie Sozialistische Republik Deutschland.

      Ein einig Vaterland sieht anders aus. Kaum ruhen die Waffen, droht ein Bürgerkrieg.

image

      Seit an Seit mit Karl Liebknecht kämpft eine Frau, Rosa Luxemburg. Beide haben zusammen mit anderen Mitstreitern schon 1915, mitten im Krieg, eine ›Gruppe Internationale‹ gegen den Nationalstaatsgedanken gegründet, nun hat man sich mit neuen Zielen in ›Spartakusbund‹ umbenannt. Auf den Trümmern des Kaiserreichs soll ein friedliches Land mit vollkommen neuen Strukturen entstehen. Der neue deutsche Staat soll nach dem Vorbild der jungen revolutionären Sowjetunion eine reine Räterepublik sein, was heißt, dass Fachgremien aus stimmberechtigten Volksvertretern gebildet werden sollen, ausschließlich Leuten, die keine Verbindung zur alten Regierung haben und nicht mit der Bourgeoisie verhandeln. Rosa Luxemburg warnt inständig vor den konservativen Kräften der Reaktion und vertritt fest ihren Standpunkt: »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie auch noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.«

      Rosa Luxemburg weiß, wovon sie spricht. Die Freiheit, die sie meint, ist hart erkämpft. Ihr Vater Eliasz sympathisierte mit der polnischen Nationalbewegung, die für die Wiedererlangung von Polens Eigenstaatlichkeit kämpfte, das unter russischer Herrschaft stand, als Rosa am 5. März 1871 im Städtchen Zamość geboren wurde. Rosa war zwei Jahre alt, als die Familie nach Warschau zog, wo der Vater bessere Bildungschancen für seine fünf Kinder sah. Rosa war das Nesthäkchen, lesen und schreiben hatte sie bereits vor der Schule gelernt. So, als Autodidaktin, machte sie das Beste aus der Bettruhe, die ihr von den Ärzten verordnet worden war, wegen eines Hüftleidens, das irrtümlich für Tuberkulose gehalten wurde. Durch die falsche Behandlung hinkte sie, ein Handicap, das ihr ein Leben lang zu schaffen machte. 1884 kam Rosa aufs Warschauer Frauengymnasium; in jener Zeit fand sie Zugang zu einer verbotenen Gruppe, die sich ›Zweites Proletariat‹ nannte, wie auch zu den Schriften von Karl Marx, die nur konspirativ unterm Ladentisch der Buchhandlungen verkauft wurden. 1888 bestand sie das Abitur als Klassenbeste. Sie sprach nicht nur Polnisch, Russisch und Deutsch, sondern beherrschte Französisch und verstand Englisch und Italienisch. Ein wahres Multitalent, das Lektüre verschlang und obendrein auch gut zeichnen konnte.

      Für Rosa Luxemburg war Bildung nicht Selbstzweck und Privileg einer intellektuellen Klasse, vielmehr Nährboden für politische Arbeit. Wegen ›oppositioneller Haltung gegenüber den Behörden‹ verweigerte die Schulleitung der Hochbegabten eine Goldmedaille, und noch im Dezember 1888 musste sie vor der Zarenpolizei fliehen, die ihre Mitgliedschaft im ›Zweiten Proletariat‹ aufgedeckt hatte. Ihr Weg führte nach Zürich, wo sie auf andere sozialistisch gesinnte Emigranten stieß. Private Nähe fand Luxemburg 1891 beim Kommilitonen Leo Jogiches, eine Liebesbeziehung währte bis ins Jahr 1906, und darüber hinaus blieb eine enge, politisch fundierte Freundschaft. Jogiches unterstützte Rosa Luxemburg finanziell, als sie in Zürich die Universität besuchte, das Studium war nicht gratis. Immerhin, in der Schweiz durften sich Frauen bereits seit 1840 an einer Universität immatrikulieren, was zu diesem Zeitpunkt weder in Luxemburgs Heimat noch in Deutschland möglich war. Im April 1897 schloss Luxemburg das Studium mit einer Promotion in Jura über Die industrielle Entwicklung Polens ab. Nun wollte sie nach Deutschland – dorthin, wo August Bebel und Wilhelm Liebknecht bereits 1869 eine Arbeiterpartei gegründet hatten, die als ›Sozialdemokratische Partei Deutschlands‹ firmierte. Im Schoße dieser SPD ließ sich die politische Arbeit im marxistischen Sinne am besten verwirklichen. Mehr Gerechtigkeit den Proletariern!

      Während des Krieges schieden sich die Geister in der SPD. Karl Liebknecht, Sohn des Parteimitgründers Wilhelm Liebknecht, wurde ins Gefängnis gesteckt, weil er sich gegen Kriegsanleihen aussprach; ein Irrsinn, weiterhin in den erbitterten Kampf der Völker zu investieren, der das Elend der armen Bevölkerung nur verschlimmerte. 1917 trennten sich SPD-Mitglieder aus Protest von der Partei und gründeten die USPD – die ›Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands‹, die links von der Mutterpartei stand. Für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht links genug, sie hatten bereits 1916 den revolutionären Spartakusbund gegründet, dessen Namensgeber der aufständische römische Sklave Spartacus war. Nun, im Januar 1919, gehen sie noch einen Schritt weiter: Sie gründen die ›Kommunistische Partei Deutschlands‹, die KPD.

      Nach Silvester spitzen sich die Unruhen in Berlin zu. Kaum sind die Böller verklungen, hallen Schlachtrufe durch die Straßen, von Revolution ist die Rede, vom Spartakusaufstand. Am 5. Januar ziehen 250.000 Arbeiter durchs Brandenburger Tor zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz, viele von ihnen sind bewaffnet. Die Stadtwerke streiken, es gibt weder Wasser noch Strom. Verlangt wird nicht weniger als der Sturz der Regierung unter dem neuen Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Dessen fürs Militär zuständiger Minister Gustav Noske greift hart durch; der Aufstand findet ein blutiges Ende, rund 150 Demonstranten und 13 Militärs lassen ihr Leben. Im Berliner Vorwärts vom 13. Januar 1919 dichtet Artur Zickler, Redakteur der Zeitung:

      »Viel Hundert Tote in einer Reih’ –

      Proletarier!

      Karl, Rosa, Radek und Kumpanei –

      es ist keiner dabei, es ist keiner dabei!

      Proletarier!«

      Als könnte sie in die nahe Zukunft blicken, schreibt die Genossin Clara Zetkin an jenem 13. Januar 1919 aus Stuttgart an Luxemburg: »Ach Rosa, welche Tage! Vor meinem Geist steht die geschichtliche Größe und Bedeutung Deines Handelns … Meine liebste, meine einzige Rosa, ich weiß, Du wirst stolz und glücklich sterben. Ich weiß, Du hast Dir nie einen besseren Tod gewünscht, als kämpfend für die Revolution zu fallen. Aber wir? Können wir Dich entbehren? Ich kann nicht denken, ich empfinde nur. Ich drücke Dich fest, fest an mein Herz. Immer Deine Clara.«

      Nach dem niedergeschlagenen Aufstand bestimmen Freikorps das Geschehen in der Stadt. Das sind Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, rabiate Kerle, die ein für allemal für Ruhe und Ordnung sorgen wollen und finden, dass sie schon viel zu lange keine Waffe mehr bedient haben und es den Anführern des Aufstands so richtig zeigen wollen. Luxemburg und Liebknecht nehmen die Drohungen nicht auf die leichte Schulter.

      Der 15. Januar 1919, ein Mittwoch. Seit zwei Tagen sind die beiden vorsichtshalber nicht mehr in ihre Wohnungen zurückgekehrt. Das Gerücht geht um, sie hätten sich ins Ausland abgesetzt, doch Liebknecht lässt in der Roten Fahne wissen: »O gemach! Wir sind nicht geflohen, wir sind nicht geschlagen. Und wenn sie uns in Banden werfen, wir sind da, und wir bleiben da!« Sie verstecken sich bei Siegfried Marcusson, einem USPD-Mitglied, in der Mannheimer Straße 43 in Wilmersdorf. Rosa Luxemburg schläft, vollkommen erschöpft, auf einem Sofa, während Liebknecht und Wilhelm Pieck nebenan beraten, was weiter zu tun sei, man braucht falsche Papiere. Am fortgeschrittenen Abend wird hart und fordernd an die Tür geklopft, dahinter laute, polternde Männerstimmen: »Aufmachen, rauskommen!«

      Marcusson öffnet und steht Männern der Bürgerwehr gegenüber, sie stoßen ihn beiseite und bahnen sich den Weg in die Wohnung hinein. Liebknecht versucht, durch den Dienstboteneingang zu verschwinden, doch zu spät. Die Männer haben ihn bereits entdeckt, packen ihn, finden seinen Ausweis. Volltreffer, da steht es schwarz auf weiß: Karl Liebknecht! Die Männer halten das Dokument wie eine Trophäe hoch und zerren ihn dann hinaus.

      »Da ist noch jemand«, ruft einer der Männer triumphierend, »sieh an, eine Frau, wer kann das sein?«

      »Sind Sie das Fräulein Luxemburg?«, fragt einer aus der Truppe.

      »Frau Luxemburg,


Скачать книгу