Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch

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als man als gewöhnlicher Zerrock wissen sollte. Du aber“, seine Stimme wurde nun bedrohlicher, herrischer, „verfügst ebenfalls über eine Menge Kenntnisse, die man als Schutzverweigerer“, er sprach das letzte Wort bewusst langsam und betont aus, „gar nicht haben sollte.“

      Dantra war fast gewillt, die Flucht zu ergreifen. Inius’ Art, zu reden und sie beide anzusehen, erweckte in ihm das Gefühl der Unterwürfigkeit. Als wäre er ein Hund, dem Prügel drohten. Unsicher sah er zu Akinna. Sie war ruhig. Sehr ruhig. Gefährlich ruhig.

      Was Dantra erst nur als Zucken wahrnahm, war in Wirklichkeit ein Hochschnellen, Vorpreschen und Kampfbereitmachen. „Wenn du noch einmal versuchst, deine hinterhältigen Verhörmethoden bei mir anzuwenden, noch einmal in solch einem herablassenden Ton mit mir sprichst oder auch nur diesen arroganten Blick aufsetzt, bist du ebenso Geschichte, wie es deine Vorfahren für dich sind!“

      Dantra wusste nun, was Comal vor einigen Tagen in der Höhle oben im Eggegebirge gesehen hatte. Eine magische elbische Geschwindigkeit auf der einen Seite und die pure Panik vor dem, was gerade geschah, auf der anderen. Denn Akinna war vorgeprescht, hatte ihren Bogen erneut gespannt und dabei die Pfeilspitze so dicht an das rechte Auge des Mannes herangeführt, dass er sie beim Zwinkern berührt hätte. Jedoch ließ der Schock nicht einmal das zu. Er hatte vielleicht schon mal von der elbischen Schnelligkeit gehört, aber hatte er es auch geglaubt? Und er konnte nicht ahnen, dass der Mensch vor ihm zur Hälfte eines dieser magischen Geschöpfe war, da Akinna sich bewusst, noch bevor sie ihn aufforderte, aus dem Ast zu kommen, die Kapuze wieder übergestreift und so ihre Elbenohren unsichtbar gemacht hatte.

      Nach einer kurzen Stille, die Akinna in ihrer todbringenden Position verharrte, setzte sie sich wieder. „Du bist nicht nur ein Pes-Zerrock einer Civitas-Einheit, nein, du gehörst zu den Niederträchtigsten der Drachenzunft. Du bist ein Infans Raptor.“

      Der noch immer panische Blick von Inius senkte sich gen Boden. „Ich wusste nicht, dass das, was ich tue, als so abartig angesehen wird.“ Seine Stimme wurde nun wieder dünner und brüchiger. „Erst heute ist mir bewusst geworden, welche Abscheulichkeiten ich nun schon mein ganzes Leben tue.“

      „Hä?“ Dantra hatte das Gefühl, den Anschluss verloren zu haben. „Was macht denn ein Infans Raptor?“

      „Erklär du es ihm“, forderte Akinna Inius auf. „Aber halt dich an die Wahrheit.“

      Inius überlegte kurz. Er schien den richtigen Anfang zu suchen. „Nun gut“, begann er schließlich, „du weißt ja sicher um die Plichten und Rechte derer, die unter dem Schutz der Drachen leben.“

      „Unter dem Schutz der Drachen, pah, dass ich nicht lache“, spottete Akinna.

      Ein kurzes Zucken in Inius’ Gesicht hätte man als Missbilligung von Akinnas Bemerkung deuten können. Er ließ sich aber nichts weiter anmerken und fuhr mit seiner Erklärung fort. „Eine der größten Pflichten, die zugleich auch eine der größten Ehrungen ist, bezieht sich darauf, sein Neugeborenes in die Dienste der Drachen zu stellen und es zu einem Zerrock ausbilden zu lassen. Wir, das heißt, meine Einheit und ich, sind dafür zuständig, wenn ein Liberi-Epulo eine Woche vor der Geburt die Hand auf den Mutterleib gelegt hat und das Ungeborene als geeignet für diesen ehrenvollen Dienst befunden hat, es eine Woche nach der Geburt zu holen.“

      „Du meinst“, hinterfragte Dantra nachdenklich, „deine Einheit ist dafür zuständig, dass den Menschen ihre Kinder weggenommen werden?“

      „Wir nehmen sie ihnen nicht weg“, versuchte Inius sich zu rechtfertigen. „Für die meisten Menschen ist es eine große Ehre, wenn ihr Kind für tauglich befunden wird, als Zerrock zu dienen. Wir haben schon Kinder geholt, da wurden wir empfangen wie Könige. Es wurden Feste für die Eltern und für das Kind gefeiert, weil sie das große Glück hatten, auserwählt worden zu sein. Viele von ihnen haben das rote Kreuz, womit der Liberi-Epulo eine Woche vor der Geburt die Tür markiert, damit jeder weiß, dass hier ein zukünftiger Drachendiener auf die Welt kommt, noch lange Zeit dort gelassen, weil sie stolz auf diese Ehre waren.“

      „Man kann alles irgendwie schönreden“, kommentierte Akinna das bisher Gehörte bissig. „Nun erzähle ihm endlich von der Kehrseite der Medaille. Denn die ist es, auf die es ankommt. Die paar Verwirrten, die glauben, sie würden etwas Großes tun, wenn sie ihre Neugeborenen in eure von Blut beschmutzten Hände legen, gibt es natürlich auch, aber das sind wohl die wenigsten.“

      „Du hast recht“, pflichtete Inius ihr bei. „Es gibt sicherlich auch einige, die ihr Kind nicht hergeben wollen. Obwohl es ihre Pflicht ist, da sie jahrelang unter dem Schutz der Drachen gelebt haben, können sie in dem Moment, in dem sie ihr Neugeborenes in den Armen halten, es nicht mehr hergeben. Doch eine Wahl hat man nicht. Es gibt keine Möglichkeit, diese Pflicht in eine andere umzuwandeln. Auch ist es nicht möglich, sie mit Geld einzulösen. Wenn der Liberi-Epulo die Beurteilung mit dem roten Kreuz abschließt, ist das Schicksal des Kindes besiegelt.“

      Akinna ergriff wieder das Wort und in diesem waren Abneigung und Hass deutlich zu vernehmen. „Während eure Pferde vor ihren Türen ihren stinkenden Kot fallen ließen, seid ihr hineingegangen und habt ihnen ihre Kinder geraubt. Sie ihnen entrissen und sie mit Schlägen und Tritten bestraft, selbst wenn sie sich nur mit Worten gewehrt haben. Und nicht selten habt ihr sie sogar getötet. Den Vater, die Mutter, vielleicht auch beide. Getötet und liegen gelassen wie verendetes Vieh am Wegesrand. Nur um euren dämonischen Drachen hörig zu dienen.“

      Stille. Dantra konnte nichts sagen. Er wusste natürlich um die beschriebene Pflicht, doch da in einem Kloster keine Kinder geboren und nur solche geraubt wurden, deren Fähigkeit, als Zerrock zu dienen, schon im Mutterleib erkannt wurde, blieb dieser traurige Aspekt der Drachenherrschaft immer draußen vor den Toren des Eberbachklosters.

      Akinna schwieg, um sich zu beherrschen. Um den Mann nicht doch noch bei dem Gedanken, was er mit seinen mörderischen Händen in seinem Leben schon alles angerichtet hatte, zu töten.

      Und Inius? Vermutlich schwieg er nicht nur aus Scham, sondern auch, um nicht das Falsche zu sagen. Um Akinna nicht doch noch einen Grund zu geben, ihren Pfeil in seinem Auge zu versenken.

      Als Dantra seine Gedanken wieder auf das vorher Gehörte lenkte, fragte er: „Und was hast du nun getan, dass die Zerrocks deinen Tod wollen?“

      Inius schaute auf. Schaute ihm direkt in die Augen und sagte mit fester Stimme: „Ich bin gelaufen. Ich bin einfach nur gelaufen. Ich bin geflohen vor mir selbst.“

      ***

      Ich fühle mich erschöpft. Erschöpft und vollkommen kraftlos.

      Ich brauche Essen. Mehr Essen. Viel Essen.

      Sie reichen nicht. Nicht mehr. Zu wenig dran.

      Groß und mit viel Fleisch. Das brauche ich. Das will ich.

      *

      Kapitel 2

       „Wenn du glaubst, dass du uns verwirren kannst, nur weil du in Rätseln sprichst, dann täuschst du dich aber gewaltig“, fauchte Akinna ihn an.

      „Also, bei mir funktioniert es“, stellte Dantra nüchtern fest. „Wie meinst du das, du bist vor dir selbst weggelaufen?“

      „Es ist nicht meine Absicht, euch zu verwirren“, ging Inius zuerst auf Akinnas Behauptung ein. „Aber was gestern geschah, lässt mich nur schwer einen klaren Gedanken fassen.“ Wieder verstrich eine geistesabwesende Pause, bevor er Dantras Frage beantwortete. „Ich habe dir ja gerade erklärt, aus welchen Bestandteilen sich mein Name zusammensetzt. Ich denke, dass das Wissen darum nicht völlig verschwinden soll, dient dem Zweck, dass ein Zerrock nicht zufällig auf sein Elternhaus stößt. Das bedeutet, man wird dort eingesetzt, wo aufgrund der hohen Entfernung das Risiko verschwindend gering ist, beabsichtigt oder unbeabsichtigt irgendeinen Hinweis auf seine Herkunft zu erlangen. Jedoch befürchte ich, dass dieses ansonsten tadellos funktionierende System bei mir gestern vollkommen versagt hat.“

      Sein fester Blick, seine aufrechte Körperhaltung,


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