Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Diesig - Torsten W. Burisch


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auf dem trockenen Gras der flach abfallenden Böschung. Er sah an den unwahrscheinlich kolossal wirkenden Wassersäulen empor. Obwohl er den Anblick faszinierend fand, ließ er sich von ihm keineswegs einschüchtern. Da die drei Elfen nun schweigend ‒ teils erzürnt, teils verwundert ‒ auf ihn herabsahen, führte er seinen Tadel ob ihres unangebrachten Verhaltens fort.

      „Ihr könntet uns wenigstens so viel Respekt erweisen, dass ihr uns mitteilt, ob ihr überhaupt etwas wisst. Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, dass ihr überhaupt keine Ahnung habt, wovon Akinna da spricht. Und um eure Nutzlosigkeit zu überspielen, faselt ihr dieses unsinnige Zeug!“

      Alle drei Elfen rauschten blitzschnell zu ihm hinab, allerdings ohne dabei etwas von ihrer bedrohlichen Größe einzubüßen. Wie Schlangen beugten sie sich zu ihm und ihre enormen Gesichter waren nun nicht mehr weiter von seinem entfernt als die Distanz zwischen ihm und der nun unruhig wogenden Ufergrenze.

      „Sagtest du gerade nutzlos?“ Nun sprach nur noch die mittlere der drei Elfen, wobei ihre Augen gefährlich durch den unaufhörlichen Wasserschwall, der sie umgab, flimmerten.

      „Wie würdest du es denn nennen, wenn wir, um dem Bösen die Stirn zu bieten, den Dolch des Vertrauens brauchen, ihr uns bei dessen Auffindung aber nicht helfen könnt?“ Dantras energisch fuchtelnde Arme landeten bei der nachfolgenden Frage schließlich provozierend verschränkt vor seiner Brust. „Oder seid ihr so ignorant, dass ihr die Dringlichkeit des Ganzen nicht erkennen könnt?“

      „Ignorant?“ Zu Dantras Verwunderung hielt sich die Empörung der Elfe über seine Unverschämtheit in Grenzen. „Ignorant?“, wiederholte sie nochmals ruhig, als wollte sie sichergehen, sich nicht verhört zu haben. Schweigend schaute sie erst ihre Begleiterin zur Linken an, die bestätigend nickte, danach die zu ihrer Rechten, die ebenfalls ihren wuchtigen Kopf zustimmend bewegte. „Nun“, wandte sie sich wieder Dantra zu, „dann sag mir, wenn du so schlau bist, wie kann man es verhindern zu ertrinken, wenn man sich bereits auf dem rettenden Ufer befindet, aber immer noch nach Luft ringt?“

      Dantra sah sie irritiert an, musste aber ziemlich rasch feststellen, was sie meinte. Schnell wie eine Ratte auf der Flucht zog sich ein kleines Rinnsal vom See die Böschung hinauf bis zu seinen Füßen, teilte sich dort, um anschließend an seinen beiden Beinen hinaufzusteigen. Ehe er sich versah, war er in eine Wasserhülle getaucht, wie sie auch die Elfen umgab. Für einen kurzen Moment hielt das leicht moderig riechende Nass inne, so als wollten die Elfen Dantra die Gelegenheit geben, ein letztes Mal Luft zu holen. Geistesgegenwärtig hielt er sich die Nase zu, was ihm aber nur eine kurze Bedenkzeit verschaffte. Gerade so lang, wie sein Luftvorrat ausreichte, und der war eher von magerer Statur. Aber es bedurfte keiner großen Situationseinschätzungen. Er tat, was er am besten konnte, und setzte seine magische Kraft ein. Dabei lenkte er sie nicht nur in eine Richtung, sondern ließ sie aus jeder Pore seines Körpers entweichen. Die Wassermassen spritzten umher.

      Nass, als hätte ihn ein Platzregen überrascht, streckte er seine Arme fordernd von sich und rief: „Vielen Dank! Ich hatte ein Bad dringend nötig. Aber um mich umzubringen, müsst ihr euch schon etwas mehr einfallen lassen.“

      Die überraschten Mienen der Elfen veränderten sich jedoch schnell. Sie erhoben sich erneut zu drei aufrecht stehenden Wassersäulen und wechselten nochmals einige stumme Blicke. Kurz darauf schrumpften sie langsam auf menschliche Größe, in der sie schon mit Akinna geredet hatten.

      „Hast du Nomos wegen Tami gefragt?“ Sie waren gerade erst wieder zu ihrer Unterkunft der letzten Nacht aufgebrochen, als Dantra die in ihm brennende Frage stellte.

      „Hab ich“, antwortete ihm Akinna. „Er hat vielleicht eine Spur von ihr entdeckt, meint aber, es wäre noch zu früh, um mehr darüber zu sagen.“

      „Wie, zu früh?“ Dantra war stehen geblieben. „Wenn er etwas weiß, soll er es mir sagen“, schimpfte er los.

      „Beruhige dich. Ich habe dir gesagt, dass ich ihn noch mal darauf hinweisen wollte, wie wichtig dir diese Angelegenheit ist und ...“

      „Du wolltest? Warum hast du es dann nicht getan?“, fiel er ihr ins Wort.

      „Ich sagte, du sollst dich beruhigen“, forderte sie ihn erneut auf, nun ebenfalls etwas ungehalten. Sie sah ihn einen Moment lang nur an, um ihm die Gelegenheit zu geben, seine Ungeduld in den Griff zu bekommen, damit er sie nicht gleich wieder unterbrach. Dann fuhr sie mit ruhiger Stimme fort. „Ich sagte, ich wollte ihn darauf hinweisen, weil er mich schon im Ansatz, genauso wie du gerade, unterbrochen hat. Und ich gebe zu bedenken, dass er mich noch nie unterbrochen hat. Ich hielt es ja eigentlich sowieso für überflüssig, ihn daran zu erinnern, für dich wollte ich es aber dennoch tun. Er sagte nur, das Ziel der Mission stehe nicht über dem Auffinden Tamis. Nicht nur, dass ihm selbst daran gelegen ist, deine Schwester aus den Fängen skrupelloser Sklavenhändler zu befreien, er weiß auch, dass du deine Mission niemals erfüllen kannst, wenn deine Gedanken ‒ verständlicherweise ‒ nicht im vollen Umfang bei den an dich gestellten Aufgaben sind.“

      Dantra sah sie fragend an. „Und warum erzählt er dir dann nichts Konkretes von seiner Spur?“

      „Weil er dir keine falschen Hoffnungen machen will. Vielleicht ist sie auch eine Nacht ohne Morgen. Eine Spur, die kein Licht ins Ungewisse bringt. Gib ihm etwas Zeit. Ich versichere dir, er tut, was er kann.“

      Dantra sah betreten zu Boden. Akinna rechnete schon mit einer weiteren Frage, als er aufschaute und sagte: „Vielen Dank, dass du dich bei ihm für mich starkgemacht hast. Und vielen Dank“, er musste schlucken, „dass du mir hilfst, sie zu finden.“

      Akinna, eine Halbelbin, die jeder Gefahr kühn ins Auge sah, war von so viel ungewohnter Dankbarkeit leicht überfordert. Verlegen schüttelte sie deshalb den Kopf. „Ach was, ist doch wohl selbstverständlich. Komm, lass uns weitergehen.“

      Schweigend, in Gedanken vertieft und nur begleitet vom Rascheln des hohen Grases, das sie mit jedem Schritt, den sie taten, durchpflügten, setzten sie ihren Weg fort. Dantra hing noch immer an Akinnas Worten. An ihrer unbeirrbaren Zuversicht. Es war das erste Mal, dass er, seitdem er erfahren hatte, dass Tami mit hoher Wahrscheinlichkeit noch lebte, sich nicht hilflos, nicht allein, nicht verloren fühlte. Es schien, als hätte er in Akinna und Nomos zwei Verbündete gefunden, denen, obwohl sie Tami gar nicht kannten, ebenfalls am Wohlergehen seiner Schwester gelegen war. Aber was für ihn noch viel wichtiger war, sie standen ihm nicht nur mit aufmunternden Worten zur Seite, sondern besaßen die Möglichkeit, ihm mit Taten zu helfen. Das große schwarze Loch in seinem Herzen, das sich dort nach dem Drachenangriff auf der Lichtung schmerzlich eingebrannt hatte, schien zu schrumpfen. Auch wenn es eigentlich noch viel zu früh war, so schaffte es die Hoffnung, die ewig eiternde Wunde etwas heilen zu lassen.

      Akinna hingegen ließ sich noch einmal die Worte der hohen Elfen aus der Tiefe über den Dolch des Vertrauens durch den Kopf gehen. Als diese erkannt hatten, dass Dantra über magische Kräfte verfügte und Akinna etwas war, das es eigentlich gar nicht gab, nämlich eine Halbelbin, waren sie bereit und sogar erleichtert, ihr Geheimnis endlich preisgeben zu können. Der Argwohn, der sie bis dahin davon abgehalten hatte, ihr Wissen irgendjemandem anzuvertrauen, gründete sich nicht auf der Befürchtung, der Dolch würde den Drachen in die Hände fallen, sondern vielmehr auf den Bedenken, die Drachen würden von ihrem Geheimnis erfahren und sie dafür bestrafen. Nun aber, da sie ihrer Deutung nach die richtigen Auserwählten vor sich hatten, erkannten sie die Gelegenheit, sich ihrer Bürde zu entledigen. Denn in dem Moment, in dem Akinna und Dantra den Dolch an sich nähmen, hätte ihr geheimes Wissen keinen Wert mehr.

      So trugen sie also all ihre Erkenntnisse über den Dolch vor, wobei sie damit begannen, die Gerüchte, wie sie zu den Geheimnisträgerinnen wurden, zu korrigieren. Der Knappe, der seinerzeit um ihr Gehör gebeten haben sollte, hatte in Wirklichkeit keine Ahnung von ihrer Existenz. Vielmehr hatte er versucht, den Dolch im Wasser unter der Last eines schweren Ufersteins zu verstecken, um ihn einige Tage, Monate oder gar Jahre in Sicherheit zu wissen, bis die Lage sich wieder beruhigt hatte. Sie, die Elfen, wussten natürlich sofort, als der Dolch die Wasseroberfläche durchbrach, um welch gefährliche Waffe es sich handelte. Und als das Blut des Königs, welches immer noch an


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