Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Diesig - Torsten W. Burisch


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nicht aus dem Baum kommen müssen“, versuchte Dantra, sie zu überzeugen. „Er hätte auch in seinem Versteck warten können, bis sie uns oder wir sie umgebracht hätten. Wie es auch immer ausgegangen wäre, weder sie noch wir wären hiergeblieben. Er hätte sich also nur ruhig verhalten müssen und wäre ohne Risiko aus dieser bedrohlichen Lage herausgekommen.“

      Für einen Moment sagte niemand etwas. Doch Dantra meinte, erkennen zu können, dass Akinna kaum merklich, aber dennoch etwas Spannung vom Bogen nahm.

      „Woher wusstest du, dass es noch einen weiteren Zerrock gab, der uns beobachtete?“, fragte sie Inius streng.

      „Das ist ein Suchtrupp. Er besteht immer aus vier Mann. Einem Anführer, zwei Suchern und einem Beobachter. Letzterer ist nur dafür zuständig, Bericht zu erstatten, wenn etwas schiefgegangen ist. Er befindet sich nicht nur während eines Hinterhalts in sicherer Entfernung, sondern stets, solange die Mission dauert. Aber mir war klar, um hier etwas von den Geschehnissen sehen zu können, musste er nahe genug herankommen, sodass du ihn hören kannst, wenn er sich auch nur einen Hauch bewegt.“

      „Wieso haben sie dich nicht in dem Baum gefunden?“, fuhr sie mit ihrem Verhör fort.

      „Ich habe sie kommen gehört und bin in den gleichen Ast gekrochen, in dem ich mich schon versteckt hatte, als ihr gestern kamt.“

      „Und sie haben dich nicht gefunden? Sie haben nicht in den Ästen nachgesehen?“

      „Nun, das hätten sie sicher noch. Aber ihr habt sie mit eurem Erscheinen abgelenkt.“

      Akinnas Blick verriet ihre Gedanken. Sie schätzte den Wahrheitsgehalt seiner Worte ab. Doch sichtliche Zufriedenheit folgte nicht. „Wie haben sie dieses Versteck überhaupt finden können?“

      „Die Frage ist nicht, wie sie es finden konnten, sondern warum sie so lange gebraucht haben, bis sie hier waren.“ Ein Hauch Stolz auf die Fähigkeiten seiner Zunft gesellte sich zu seiner nach einem Ausweg suchenden Miene. „Es gibt Karten, auf denen Verstecke wie dieses verzeichnet sind. Nur weil in ihnen keine Fledermäuse leben, heißt es nicht, dass diese sie nicht schon längst ausgespäht und als möglichen Unterschlupf für Gesuchte dem nächsten Orator gemeldet haben.“

      „Du meinst, Zerrocktrupps wie dieser durchsuchen sämtliche Verstecke in der Gegend?“ Dantras geschockte Stimme verdeutlichte seine Sorge.

      „Ich denke schon“, antwortete Inius ihm.

      „Dann müssen wir hier weg“, drängte Dantra Akinna. „Und zwar so schnell wie möglich.“

      Diese jedoch ließ sich in Bezug auf ihr Misstrauen gegenüber Inius nicht beirren. „Noch eine letzte Frage, bevor ich mich entscheide, was mit dir geschieht“, sagte sie mit einem solch drohenden Unterton, dass den beiden anderen klar war, was sie bisher gehört hatte, konnte sie noch nicht überzeugen, Inius am Leben zu lassen. „Wie konntest du dich von den Fesseln befreien?“

      Inius sah von ihr zu Dantra, der ihn nicht weniger fragend ansah, und wieder zurück. Es schien, als hätte Akinna die einzige Frage gestellt, die er nicht beantworten konnte. Sie spannte ihren Bogen bereits wieder voll durch, als er sich mit Bedacht umdrehte und seine Hände so auf dem Rücken übereinanderlegte, wie Akinna es von ihm am Morgen verlangt hatte, um ihn zu fesseln. Kaum sichtbar rieb er die eine Hand an der anderen. Danach drehte er sich wieder um und hielt Akinna seinen rechten Arm hin. An seinem Zeigefinger trug er einen wuchtig wirkenden Ring. Das Emblem der Zerrocks war darauf abgebildet, ein in einer Rüstung steckender Mann, der Feuer spie. Unter dem Wappen lugte eine kleine, sichelförmige Klinge hervor.

      „Du weißt schon eine Menge über uns Zerrocks“, sagte er lobend zu Akinna, „aber doch bei Weitem nicht alles. Wenn du mich am Leben lässt, könnte ich dir sicher noch das eine oder andere Nützliche verraten.“ Erwartungsvoll sah er sie an. Doch sie zögerte weiterhin.

      „Was willst du denn noch hören, um dich endlich milde stimmen zu lassen?“, fuhr Dantra sie scharf an.

      Zu seiner Verwunderung drehte sie ihren Kopf zu ihm und sah ihm in die Augen, allerdings ohne etwas zu sagen. Dabei drehte sich ihr Oberkörper so weit mit, dass sie nun knapp an Inius vorbeizielte. Mit einem schnellen Schritt hätte er sie vielleicht entwaffnen können, aber er tat es nicht.

      „Vertrauen muss man sich verdienen“, sagte Akinna schließlich. „Worte gehen einem leicht über die Lippen. Ob sie nun der Wahrheit entsprechen oder nicht. Taten hingegen verraten einem mehr über geplante Absichten. Wenn er“, mit einer kurzen Kopfbewegung deutete sie auf Inius, ohne ihn anzusehen, „uns schaden wollte, hätte er diese gerade gebotene Chance, mich zu überwältigen, nicht verstreichen lassen. Vor allem, weil er nicht wissen konnte, dass dies eine Prüfung war. Es hätte genauso gut sein können, dass ich dir nur mein Bedauern darüber ausdrücken wollte, dass ich ihn töten müsse. Dennoch tat er es nicht.“ Mit dem letzten Satz schaute Akinna Inius wieder bohrend an, verharrte kurz und senkte dann den Pfeil. „Das bedeutet aber nicht, dass ich dir ab jetzt vorbehaltlos vertraue, verstanden?“

      Inius nickte. „Verstanden.“

      Dantra atmete erleichtert auf. „Und jetzt?“, fragte er in die Runde. „Wer weiß, ob nicht schon der nächste Trupp hierher unterwegs ist.“

      „Das denke ich nicht“, entgegnete ihm Inius. „Aber wir sollten zusehen, dass wir die Leichen verschwinden lassen.“

      „Warum? Das kostet nur Zeit und die haben wir nicht. Wir müssen zusehen, dass wir weiterkommen.“ Akinnas Einwand klang mehr nach einem Befehl und weniger nach einem Argument für eine Diskussion.

      „Jeder Suchtrupp bekommt ein bestimmtes Gebiet zum Kontrollieren zugeteilt. Daher wird hier so schnell kein zweiter Trupp auftauchen“, erklärte Inius Dantra und wandte sich dann Akinnas Einwand zu. „Jedoch gibt es einen Drachen, der aus extremer Höhe bestimmte Menschen, ob tot oder verletzt, finden kann. Dieser überfliegt regelmäßig das gesamte Suchgebiet. Wenn wir die Leichen also verschwinden lassen, haben wir gute Chancen, nochmals hier übernachten zu können. Außer natürlich du kennst ein Versteck, das man in kürzester Zeit erreichen kann, denn es dauert nicht mehr lang und die Dämmerung bricht herein.“

      „Aber gerade die knappe Zeit lässt es nicht zu, dass wir vier Gräber ausheben“, entgegnete ihm Akinna vorwurfsvoll.

      „Ich weiß, dass das knapp wird, aber ich denke, eine andere Möglichkeit, als es zu versuchen, bleibt uns nicht.“

      „Ich habe vielleicht eine Idee“, warf Dantra nachdenklich ein. Akinna und Inius sahen ihn überrascht an, was ihn ein wenig ärgerte, denn sie verliehen ihm so das Gefühl, als wäre er ein kleines Kind, das sie unter keinen Umständen aus dieser prekären Lage zu befreien vermochte. „Wir könnten sie dort hineinwerfen“, sagte Dantra schließlich und deutete auf die schwarze Waldwand. „Ich bin mir zwar nicht sicher, aber ich denke, die Kreaturen, die dort drin leben, nehmen sich unseres Problems an.“

      „Woher weißt du, was für Kreaturen in dem schwarzen Baumwald leben?“, fragte Inius skeptisch.

      „Ich war schon einmal darin und habe schmerzliche Erfahrungen mit ihnen gemacht.“

      „Du warst da drin und bist wieder herausgekommen?“ Der Ton, in dem Inius die Frage stellte, erinnerte Dantra stark Akinna, wenn sie ihm wieder einmal nicht glaubte.

      Diese jedoch schlug nun, zu seiner Verwunderung, einen ganz anderen an. „Willst du ihm unterstellen, dass er lügt?“, fauchte sie Inius an.

      „Nein, natürlich nicht“, versuchte er, sie zu beruhigen. „Ich habe nur noch nie davon gehört, dass jemand dort reinging und heil wieder herauskam. Aber dennoch steht es mir natürlich nicht zu, an seinem Wort zu zweifeln.“ Und an Dantra gewandt sagte er: „Entschuldige, bitte.“

      „Schon gut“, meinte Dantra und winkte beschwichtigend ab. „Es ist ja auch schwer zu glauben und ohne fremde Hilfe wäre ich sicher ebenfalls gestorben. Aber was meint ihr zu meinem Vorschlag? Sollen wir es versuchen?“

      „Wenn


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