Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch
aus besseren Tagen in ihrer Nähe zu wissen.
So tauchten sie also auf und ermahnten den Erschrockenen, sein Handeln noch einmal zu überdenken. Sie boten ihm an, wenn er sich ein anderes Versteck suchen würde, möglichst weit entfernt von ihrem See, so würden sie das Geheimnis, wenn er es ihnen kundtun wolle, falls nötig über Jahrhunderte bewahren und es erst preisgeben, wenn sie glaubten, dass es auch in seinem Sinne wäre.
Er stimmte ihrem Vorschlag zu und nahm den Dolch wieder an sich. Trotz seiner Verletzung, die er im Kampf mit den Drachenschergen erlitten hatte, schaffte er es bis Astivo. Eine Stadt, die von ihrer Nähe zum Sommersitz des Königs lebte. Hier waren die Familien der Hofangestellten zu Hause. Was wohl auch der Grund war, warum die Drachen dort wüteten und dabei Hunderte Menschen töteten. Als der Knappe den Ort erreichte, waren die Straßen bereits mit Leichen übersät. Die meisten der Häuser standen in Flammen und bis auf einige Hausschweine, Hühner und Ziegen, die aufgeschreckt in den toten Gassen umherirrten, war niemand zu sehen.
Er ging in eines der nicht ganz zerstörten Gebäude. Es war das massiv errichtete Bruchsteinhaus des Hofbaumeisters, das an der Lavaseite durch einen kleinen Turm mit Zinndach auffiel. Auch dieser Mann hatte mitsamt seiner Familie dem Tod nicht entrinnen können. Verstreut lagen sie in dem lang gezogenen Raum, teils im Kampf gefallen, teils feige von hinten abgeschlachtet. Der Knappe ging zum offenen Kamin und suchte in der von schwarzem Ruß bedeckten Rückwand nach einem losen Stein. Es war seinerzeit nicht ungewöhnlich, dass gut verdienende Leute ihr Erspartes hinter solch einem losen Stein, der normalerweise vom Tag und Nacht brennenden Feuer verdeckt wurde, versteckten. Und auch hier, in diesem Haus, war es nicht anders. Der Knappe zog den Stein nach vorn heraus und legte den Dolch in den dahinter befindlichen Hohlraum.
Mit letzten Kräften erreichte er abermals den See der hohen Elfen der Tiefe. Er hatte das restliche Blut des Königs vom Dolch an seinem Ärmel abgewischt, um sicherzugehen, dass sie erneut auftauchten. Als die rote Kruste sich mit dem Wasser vermischte und ein kleiner, runder Teppich die Wasseroberfläche zierte, erschienen sie umgehend. Er berichtete ihnen von dem Versteck und beschwor sie, noch während sie wieder im moosgrünen Wasser verschwanden, sich an ihr Versprechen zu halten.
Wie es dem Knappen weiter erging, entzog sich der Kenntnis der Elfen. Aber wenn seine Verletzungen ihm nicht den Tod gebracht hatten, dann sicher der Wundbrand und das Fieber. In jedem Fall musste er noch so lange gelebt haben, dass er die Möglichkeit nutzte, irgendjemandem vom Bund mit den Elfen zu berichten. Denn seit jeher hielt sich das Gerücht, dass die Elfen um das Versteck des Dolches wüssten.
Und sie, das war ihnen wichtig zu erwähnen, hätten nie darüber mit jemandem geredet. Nicht einmal untereinander. Und das, obwohl nicht wenige in den letzten 200 Jahren an ihren See herangetreten waren, um sich Gehör zu erbitten. Aber keinem von ihnen war es gelungen, sie heraufzubeschwören. Denn niemand hatte das Wissen, das Akinna besaß und das sie richtig eingesetzt hatte. Keiner von ihnen wusste, dass nur ein magisches weibliches Geschöpf, das akkurat das Auftauchritual der Elfen imitierte, die Fähigkeit besaß, die Wesen wirksam herbeizurufen.
Als sie ihre Erklärung abgeschlossen hatten, baten sie Akinna und Dantra, wenn sie den Dolch fänden und an sich nähmen, sie dieses wissen zu lassen. Ohne Umschweife ließen sie sich jedoch deutlich anmerken, dass die beiden nicht mit dem Dolch zu ihnen zurückkehren müssten. Vielmehr reiche es, wenn jemand anderes am See erschiene und die Nachricht überbrächte. Zu diesem Zweck gaben die Elfen den beiden einen runden, unscheinbaren Stein mit auf den Weg. Der Bote müsste diesen nur zurück in den See werfen, was weitere Worte überflüssig machte.
Danach verabschiedeten sie sich höflich und wünschten ihnen alles Einhornglück Umbrarus’, bevor sie sich mit einer Miene der inneren Zufriedenheit zurückzogen.
„Nicht gut.“ Dantra hatte, von Akinna unbemerkt, seine Karte aus der Innentasche gefischt und war nun mit dem Blick darauf stehen geblieben.
„Was ist?“, fragte sie ihn.
„Die Elfen redeten von einem Ort namens Astivo, oder?“
„Das ist richtig“, bestätigte Akinna.
„Als sie davon berichteten, dass dort die Drachen und ihre Gefolgsleute vielen Menschen den Tod brächten, habe ich mir nichts dabei gedacht. Jetzt gerade, als ich es mir nochmals durch den Kopf gehen ließ, beschlich mich eine Befürchtung, die meine Karte bestätigt hat.“
„Ich weiß immer noch nicht, wovon du redest.“ Akinna sah ihn auf dieselbe Art und Weise an, wie es normalerweise nur umgekehrt der Fall war. Nach Antworten suchend.
„Na, Leid und Tod im großen Maße ziehen unweigerlich den schwarzen Baumwald nach sich“, erklärte er seine Bedenken. „Sieh hier“, er hielt ihr die Karte hin, „dort steht: Ruinenstadt Astivo. Und fast der gesamte Ort ist von einem schwarzen Fleck bedeckt.“
Missmutig starrte Akinna auf den Punkt der Karte, auf den Dantra zeigte. „Verdammt.“ Ihre Miene verfinsterte sich. „Und ich dachte, das Schwierigste hätten wir hinter uns.“
„Schwer?“ Dantra sah sie skeptisch an. „Wenn das, was nach so langer Zeit noch von dem ehemaligen Haus des Hofbaumeisters übrig ist, im Dunkel des schwarzen Baumwaldes liegt, wird es nicht nur schwer, sondern unmöglich sein, den Dolch des Vertrauens zu ergattern.“
„Ach was.“ Akinna ließ eine Handbewegung folgen, als wollte sie seine Bedenken damit zerstreuen. „Sicherlich wird es eine etwas knifflige Aufgabe, aber unmöglich? Du hast die Elfen gehört. In den letzten 200 Jahren haben etliche Leute versucht, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Niemandem ist es gelungen. Uns aber schon. Also, wieso sollte es uns dann nicht auch gelingen, den Dolch im schwarzen Baumwald zu finden und ihn herauszuholen?“
Dantra dachte nach. Er durfte jetzt auf keinen Fall überreagieren, denn das würde bei Akinna nur den Verdacht erwecken, als wären seine Befürchtungen falsche Panikmache. „Nun, ich weiß ja nicht, wie es einem Elben dort drin ergehen würde, aber ein Mensch, und das weiß ich leider aus eigener Erfahrung, kann dort drin nichts weiter finden als einen qualvollen Tod.“
„Mag sein“, entgegnete ihm Akinna, „aber ein Elb kann nur von einem anderen Elben oder einer von Elbenhand gefertigten Waffe getötet werden. Und ich denke, dass dieses unumstößliche Gesetz auch im schwarzen Baumwald Geltung findet.“
„Dazu musst du wissen, die körperlichen Verletzungen waren nur ein Teil meines Todeskampfes. Der andere fand in mir drin statt. Es schien, als würde alles Gute sich in Schlechtes wandeln. Als würde der schwarze Schleier, der diesen Wald umhüllt, von allem Besitz ergreifen, was in einem selbst drin ist. Die Gedanken, das Herz, die Seele. Was bringt dir also deine elbische Unverwundbarkeit, wenn du von innen heraus stirbst?“
Akinnas Miene verfinsterte sich. Hatte ihr Begleiter etwa recht mit dem, was er sagte? Eines war sicher, er besaß in dieser Sache mehr Erfahrung als sie. Wahrscheinlich sogar mehr Erfahrung als sonst irgendein Mensch. Und das bekräftigte seine Bedenken.
„Vielleicht hast du recht“, gestand sie ihm schließlich zu. „Aber vielleicht haben wir auch Glück und das Haus liegt außerhalb des Waldes. Wir sollten uns morgen erst einmal einen Überblick verschaffen, bevor wir uns den Kopf über mögliche Gefahren zerbrechen, denen wir dann doch nicht ausgesetzt sind.“
Sie setzten ihren Marsch, tief grübelnd über das, was sie am nächsten Tag wohl erwarten würde, fort.
Kurz bevor sie den hohlen Baum erreicht hatten, löste bei Dantra ein neuer, ganz anderer Gedanke den alten ab. „Hast du mit Nomos eigentlich über Inius geredet?“
Akinna blieb stehen, ließ ihren Kopf hängen und ein resignierendes Seufzen hören. „Das ist heute nicht mein Tag“, bedauerte sie sich selbst.
„Ich wusste gar nicht, dass es so was auch bei Elben gibt“, erwiderte Dantra mehr amüsiert als verwundert. Ein erneuter mitleiderregender Seufzer ließ Dantras gute Laune sofort zur angebrachten Ernsthaftigkeit übergehen. „Warum?“, fragte er vorsichtig.
Sie sah zu ihm auf und sagte mit matter Stimme: „Ich habe