Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch

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      „Und was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Dantra, ohne weiter auf das ungewöhnliche Eingeständnis ihrer menschlichen Seite einzugehen.

      „Ich weiß es nicht“, offenbarte sie ihm und auch sich selbst. „Ich kann erst in zwei Tagen wieder mit Nomos reden. Dann hat er sein neues Versteck erreicht. Er meinte, bis dahin wäre es zu gefährlich, nochmals Kontakt aufzunehmen.“

      „Inius muss also noch zwei Tage in dem Baum gefesselt bleiben?“ Dantra konnte sich kaum vorstellen, wie groß schon jetzt seine Schmerzen sein mussten. Die Fesseln und seine Körperhaltung, in der sie ihn heute früh zurückgelassen hatten, boten ihm kaum Möglichkeiten, sich zu bewegen. Und das sollte er noch zweimal über sich ergehen lassen?

      „Das können wir nicht machen“, stellte er entrüstet fest. „Seine Hand- und Fußgelenke sind sicher schon von dem einen Tag wund gescheuert. Noch zwei weitere kämen einer Folter gleich.“

      „Mag sein“, entgegnete sie ihm nüchtern. Und während sie ihren Weg fortsetzte, fügte sie hinzu: „Entweder das oder ich muss ihn töten.“

      Sie hatten den Baum nun fast erreicht. Dantra hatte unaufhörlich auf sie eingeredet und sie beschworen, eine dritte Möglichkeit zu finden. Sie aber war nicht weniger ratlos als er. Und es ärgerte sie, dass er nicht selbst nach einer Lösung suchte, die sein Gewissen nicht belastete, sondern ununterbrochen von ihr die humanitäre Antwort auf diese Frage erwartete.

      „Hör zu“, schimpfte sie nun ungehalten los, „ich weiß jetzt, dass dir die zwei einzigen Problemlösungen nicht gefallen. Aber dein Genörgel bringt uns nicht einen Flusenläuferschritt weiter. Also schweig endlich und sieh der Tatsache ins Auge.“ Sie wollte sich gerade bücken, um unter dem Dornenbusch zur Öffnung des Baumes zu kriechen, als Dantra ihr den Weg versperrte.

      „Folter und Mord sind nicht die Bedingungen, denen ich zugestimmt habe, als ich sagte, dass ich bei dieser Mission dabei bin“, erläuterte er mit entschlossener Stimme. „Wir werden uns also hinsetzen und über das Problem und eine vernünftige Lösung nachdenken, bevor wir alles Mitleid ausblenden und Inius etwas ...“ Er stockte.

      Akinna, die sich kurz entnervt von ihm weggedreht hatte, schaute ihn nun auf eine Weise an, die seine Befürchtungen ob dessen, was er fühlte und ahnte, bestätigte. Eine kalte, rasiermesserscharfe Klinge wurde ihm von hinten an die Kehle gehalten. Und das Ärmelende der haltenden Hand gehörte ohne Zweifel zu einer Zerrockuniform.

      *

      Kapitel 3

       „Wo ist er?“

      Dantra schauderte. Das Messer an seiner Kehle war Angst einflößend, ja, schon fast Panik heraufbeschwörend. Diese Stimme aber, so bedrängend und unmittelbar, war weitaus schlimmer als die scharfe, todbringende Klinge. So dicht hinter ihm nahm sie ihm jede Hoffnung auf Flucht oder Rettung durch Akinna. Was sollte sie tun? Durch ihn hindurch schießen? Selbst eine Elbin war zu so etwas nicht fähig. Und er selbst? Den Angreifer mit seiner magischen Kraft nach hinten zu schleudern, käme einem Selbstmord gleich. Unweigerlich würde das Messer den angesetzten Schnitt vollziehen. Er konnte vielleicht zeitgleich etwas Kraft auf die Klinge wirken lassen. Aber wie viel?

      „Nun sag schon, Miststück“, fuhr die raue Stimme fort und erst jetzt bemerkte Dantra, dass er diese gar nicht kannte. „Wo ist Inius?“, brüllte sie Akinna an.

      Während seine Gefährtin versuchte, die Situation richtig einzuschätzen, hatte Dantra Schwierigkeiten, das Geschehen in seinem Kopf zu ordnen. Der Mann musste aus dem hohlen Baum gekommen sein. Anders hätte er sich nicht, von Akinna unbemerkt, an ihn heranschleichen können. Aber im Baum selbst lag Inius gefesselt und selbst bei dem dürftigen Licht dort drin gut sichtbar. Also, was sollte das alles hier?

      „Verflucht“, brüllte der Zerrock Dantra ins Ohr, dass es ihn schmerzte. „Rede endlich oder sein Blut wird dich für dein Schweigen strafen. Wo ist der Verräter? Wo ist ...“ Die letzten Worte versanken in einem Röcheln und dem verzweifelten Versuch, die Lunge mit Luft anstatt mit Blut zu füllen.

      Danach ging alles zu schnell für Dantra. Er hörte ein Rascheln aus dem Baum schräg über ihm und erhaschte noch einen kurzen Blick auf einen weiteren Zerrock, ausgerüstet mit Pfeil und Bogen. Auch hinter Akinna raschelte etwas. Zeitgleich löste sich der feste Griff an Dantras Kragen und die Messer haltende Hand fiel schlaff von ihm ab. In diesem Moment wurde er nach vorn gestoßen und fiel unsanft zu Boden. Noch im Fallen hörte er das ihm so unangenehm vertraute Geräusch, wenn Bogensehnen sich entspannten und Pfeilspitzen summend die Luft auf ihrem Weg zu töten teilten.

      Flach auf dem Boden liegend, drehte er sich um. Akinna stand direkt über ihm. Kampfbereit und die Lage beherrschend. Der dumpfe Aufprall keine drei Schritt neben ihm ließ den Bogenschützen, den er kurz zuvor oben im Baum gesehen hatte, wieder auftauchen. Wie eine vom Himmel geschossene Wachtel lag er da. Seltsam gekrümmt, blutend, tot. Fast derselbe Anblick bot sich Dantra, als er an Akinna vorbeischaute. Sie hatte einen weiteren Zerrock, wohl töricht genug, Akinna mit dem Schwert anzugreifen, niedergestreckt, bevor er sie auch nur annähernd hätte attackieren können.

      Dantra sah über seine Füße hinweg zu dem Zerrock, der ihn zuvor mit einem wahrscheinlich bis zur Perfektion gelernten Schnitt entlang der Kehle bedroht hatte. Er stand noch. Seine Uniform war jedoch durchtränkt mit seinem eigenen Blut, das ihm schwallweise aus dem Hals suppte, und ein Pfeil, der den Federn nach aus seinen eigenen Reihen abgeschossen worden war, steckte in seiner Brust. Wie ein bis zur Naht gefüllter Getreidesack fiel er zu Boden, als der Griff, der ihm gerade noch Halt gegeben hatte, sich löste.

      Hinter ihm stand Inius. In seiner rechten Hand hielt er ein blutverschmiertes Messer. Sein Blick haftete auf Akinna. Sie hatte bereits einen neuen Pfeil aufgelegt, gespannt und zielte auf ihn. Ganz langsam legte er den linken Zeigefinger auf den Mund, um ihr zu verdeutlichen, dass sie die aufgekommene Stille wahren möge. Danach zeigte er auf sein Ohr und tat so, als würde er angestrengt lauschen.

      Was für Dantra bloße Stille war und für Inius sicher auch nicht mehr, reichte für Akinna, um ihr Ziel ausfindig zu machen. Sie drehte sich ein Stück Richtung Dron und überließ den Rest der Arbeit ihrem Pfeil. Als dieser in eine kleine Fichtenansammlung, die gute drei Baumlängen von ihnen entfernt stand, eintauchte, vermittelte ein kurzes, leises Stöhnen die Gewissheit, dass gerade ein weiterer Mensch sein Leben ließ. Noch bevor das Knacken und Rascheln des fallenden Körpers verhallt war, traf Inius’ Blick erneut den drohenden Akinnas. Und wieder starrte er auf eine auf ihn gerichtete Pfeilspitze. Er ließ das rot triefende Messer fallen und hielt beide Hände offen vor sich. Nur ein Zucken Akinnas trennte ihn davon, ein weiterer Toter in einer Zerrockuniform zu sein. Diese Gewissheit ließ seiner gespielten Selbstsicherheit keine Chance. Er hatte Angst.

      „Ich habe euch nicht verraten“, erklärte Inius fast flüsternd. „Ich habe euch gerettet.“ Seine gekrümmte, unterwürfige Körperhaltung entspannte sich etwas, als er ihr sein selbstloses Handeln darlegte. Was allerdings nur von kurzer Dauer war, denn Akinnas Antwort barg nicht viel Anerkennung.

      „Wir waren zu keinem Zeitpunkt in Gefahr!“, raunte sie ihm zu. „Erst dein Eingreifen hat dieses Blutbad verursacht.“ Dantra, der sich wieder aufgerappelt hatte, räusperte sich. „Willst du etwas sagen?“, fuhr sie ihn an, ohne dafür den Blick von Inius zu nehmen.

      „Na ja“, begann er seine Darlegung, „ich weiß auch nicht so recht, was ich davon halten soll, dass er sich“, Dantra deutete mit einem Kopfnicken auf den für einen Zerrock ungewohnt hilflos aussehenden Inius, „von seinen Fesseln befreit hat. Aber in zwei Dingen bin ich mir sicher. Mich hat er wirklich gerettet und die Zerrocks hättest du ohnehin nicht leben lassen.“

      „Was diese verfluchten Zerrocks angeht, hast du wohl recht“, pflichtete sie ihm mürrisch bei. „Aber dein Leben hat er nicht gerettet. Ich habe in deinen Augen gesehen, dass du dir schon einen Plan zurechtgelegt hattest, wie du dich mithilfe deiner“, Akinna stockte kurz und ließ beim Beenden des Satzes ganz bewusst das Wort magisch weg, „besonderen Kraft befreien kannst.“

      Das


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