Auf keinen Fall wir. Iris W. Maron

Auf keinen Fall wir - Iris W. Maron


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überlege ich, mich, nachdem ich alles verstaut habe, einfach aufs Sofa zu werfen und den Rest des Abends nichts zu tun. Doch letztlich überwiegt das Gefühl, dass ich nach dem Tag in der Uni dringend Bewegung brauche. Also ziehe ich meine Sportklamotten an und gehe joggen.

      Kapitel 3

      Ich unterrichte gerne. Böse Zungen behaupten, das liegt daran, dass ich mich gerne reden höre. Vermutlich ist das nicht so falsch. Jedenfalls bin ich guter Laune, als ich die Tür zum Seminarraum öffne, um die erste Einheit meiner Lehrveranstaltung abzuhalten. Ich trete schwungvoll ein – und mein Blick fällt auf ein bekanntes Gesicht. Mitten in der Bewegung erstarre ich.

      Fuck, fuck, fuck!

      Dort drüben an der Fensterseite der u-förmig aufgestellten Tische sitzt Sven.

      Scheiße, das kann doch nicht wahr sein! Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in einer anderen Stadt einen Kerl abschleppe und der dann ausgerechnet hier Archäologie studiert und auch noch in meiner Lehrveranstaltung sitzt? Da muss doch ein Lottogewinn wahrscheinlicher sein. Und dann auch noch ausgerechnet Sven, den ich erst letztes Wochenende hatte... Ich hätte ihn fragen sollen, was er macht, dann wäre das hier nicht passiert.

      Memo an mich selbst: In Zukunft etwas mehr Interesse an meinen Sexpartnern heucheln.

      Ein Teil von mir würde am liebsten umdrehen und verschwinden. Das geht natürlich nicht. Also straffe ich die Schultern und betrete den Seminarraum. Sven unterhält sich unterdessen mit seiner Sitznachbarin und hat mich noch nicht bemerkt.

      Am Pult angekommen, sortiere ich zunächst meine Notizen, dann rücke ich meine Brille zurecht und wende mich den Studierenden zu.

      »Hallo«, grüße ich freundlich. Fassade ist alles. »Mein Name ist David Baumgarten.« Und ich bin ihr Pilot auf diesem Flug.

      Sven wendet sich von seiner Sitznachbarin ab und sieht zu mir. Erst mustert er mich abwesend, doch dann erkenne ich genau den Moment, in dem es bei ihm klick macht. Seine Augen weiten sich ungläubig. Er schluckt und sieht weg. Wird er sogar rot? Wäre kein Wunder.

      »In dieser Übung beschäftigen wir uns mit nicht-invasiven Methoden der Archäologie«, fahre ich fort. »Ich werde Ihnen unterschiedliche Ansätze vorstellen, mit denen man heute Blicke in die Erde wirft, ohne diese aufzugraben. Das sind natürlich Ansätze, die eng mit der neuesten Computertechnologie verbunden sind. Die Methoden, um die es in dieser Lehrveranstaltung geht, sind also digital und virtuell. So können etwa mit einem 3-D-Laserscanner archäologische Strukturen erkannt, dokumentiert und in einem Modell sichtbar gemacht werden – ohne dass man durch Grabung diese Strukturen zerstört. Das geht im kleinen Maßstab, wenn man eine konkrete Grabungsstelle vermisst, aber auch im ganz großen Stil. Das wäre dann ein Fall für das Airborne Laser Scanning, eine Methode, die ursprünglich aus der Fernerkundung stammt. Hier vermisst, wie der Name schon sagt, ein an einem Flugzeug befestigter Laserscanner ganze Landschaftszüge und liefert detaillierte Daten über deren Beschaffenheit, die weitreichende Rückschlüsse über die Geschichte dieser Landschaft ermöglichen.«

      Wie immer rede ich frei, ich habe nur ein paar Notizen gemacht, auf die ich ab und zu einen Blick werfe. Im ersten Moment hat meine Stimme vielleicht kurz gewackelt, doch je länger ich spreche, desto souveräner werde ich. Svens Anwesenheit blende ich aus, so gut es geht. Es lässt sich ohnehin nichts daran ändern.

      »Andere Methoden, mit denen wir uns beschäftigen werden, sind die der Luftbildarchäologie, die etwa mittels Drohnen aus großer Höhe Fotos von Landschaften macht und diese dann deutet. Sie müssen wissen, dass man etwa anhand des Pflanzenwachstums Schlussfolgerungen über den entsprechenden Untergrund anstellen kann – und der ist oft menschengemacht. Wenn irgendwo unter der Erde archäologische Strukturen liegen, hat das unweigerlich Konsequenzen für den Pflanzenwuchs darüber. Wir hinterlassen Spuren – und manchmal muss man eine veränderte Perspektive einnehmen, um diese sehen zu können.«

      Damit habe ich sie. Wie gesagt, ich rede gerne. Das Gefühl, wenn man es schafft, die Aufmerksamkeit aller im Raum Versammelten auf sich zu konzentrieren und sie in den Bann zu ziehen, ist einfach großartig. Ich war schon immer eine Rampensau. Daran ändert auch Svens Anwesenheit nichts. Im Gegenteil, vielleicht ist die sogar ein zusätzlicher Kick.

      Weiter im Text.

      »Außerdem werden wir uns mit den Methoden der geophysikalischen Prospektion beschäftigen, etwa mit dem Bodenradar. Der große Vorteil dieser Methoden ist, ich habe es schon gesagt, dass man die archäologischen Strukturen, die man so findet, nicht zerstört. Und wenn man Grabungen unternimmt, kann man das wesentlich gezielter machen – weil man schon weiß, wo man suchen muss.«

      Ich mache eine Kunstpause und mustere die Studierenden. Sie wirken alle interessiert – nur Sven sieht, wenig verwunderlich, etwas irritiert aus. Seine Stirn ist gerunzelt. Unweigerlich muss ich ein kleines bisschen grinsen.

      Ich sehe heute ganz anders aus als in dem Club in Köln. Natürlich sitzt meine Frisur auch heute perfekt, aber ich frisiere meine Haare anders, wenn ich an der Uni bin, als wenn ich mich auf die Pirsch mache. Außerdem trage ich meine Brille und ein gut geschnittenes Sakko über dem Shirt. Keines von diesen karierten Dingern mit Lederflicken an den Ellbogen natürlich, obwohl das dem Klischee des Dozenten mehr entsprechen würde.

      Als Nächstes gehe ich die Anwesenheitsliste durch. Sven verhält sich unauffällig, als ich ihn aufrufe – er heißt Koch mit Nachnamen. Wie alle anderen auch zeigt er kurz auf und sagt dann mit fester Stimme: »Hier.«

      Anschließend erläutere ich das genaue Programm und verteile die Referatsthemen. Wieder lässt Sven sich nichts anmerken, als er mir, wie alle anderen auch, noch einmal seinen Namen nennt, als ich ihn für sein Referat eintrage. Gut.

      »Für heute war es das auch schon«, sage ich, mache aber sofort eine zur Ruhe gemahnende Geste, als diese Worte zum allgemeinen fluchtartigen Aufbruch zu führen drohen. »Bevor Sie gehen: Ich empfehle Ihnen dringend die Teilnahme an der Lehrexkursion am letzten Juni-Wochenende, die ich gemeinsam mit Doris Nehonsky organisiere. Wir fahren zur Ausgrabungsstätte einer neolithischen Pfahlbausiedlung am Bodensee. Dort werden wir uns mit der Pfahlbaukultur und deren archäologischer Erschließung beschäftigen. Vor allem aber werden wir Drohnen fliegen lassen und Laserscanner aufstellen und die Landschaft so nach weiteren archäologischen Strukturen absuchen. Die so gesammelten Daten werden wir dann an der Uni auswerten. Anmeldefrist ist der 30. April.«

      Noch einmal werfe ich einen aufmerksamen Blick in die Runde, ehe ich den Studierenden ein Lächeln schenke und sie mit einem »Aber jetzt!« entlasse.

      Sven ist einer der Ersten, die verschwinden. Als ich den Seminarraum endlich verlasse – wie immer haben mich ein paar Studierende aufgehalten, die zu dämlich oder zu feige sind, ihre Fragen während der Lehrveranstaltung zu stellen, wenn ich sie dazu auffordere –, ist von ihm weit und breit nichts mehr zu sehen.

      Den Rest des Tages meistere ich wie auf Autopilot – haha, guter Witz. Ich schiebe die Gedanken an Sven beiseite und erledige, was zu erledigen ist. Besonders konzentriert bin ich dabei nicht, aber das ist für die Abrechnung von Reisekosten und ähnlich aufregende Dinge zum Glück auch nicht nötig. Am Abend muss ich dann einfach joggen gehen. Raus. Mir Luft machen. In meinem Kopf herrscht ziemliches Chaos. Kaum bin ich daheim angekommen, ziehe ich mir meine Sportsachen an, setze die Kontaktlinsen ein und laufe los. Obwohl es nieselt.

      Ich wähle die Strecke am Fluss entlang. Es dauert nicht lange und meine Gedanken wandern zurück zur Arbeit. Den Unterricht habe ich zwar souverän hinter mich gebracht – der Routine sei Dank –, dennoch bin ich mir noch nicht ganz im Klaren darüber, was es bedeutet, dass Sven in meiner Lehrveranstaltung sitzt. Und welche Konsequenzen das hat.

      Scheiße, das klingt doch echt wie der Anfang eines miesen Films: Dozent vögelt einen Kerl, der sich als sein Student entpuppt. Beim Genre bin ich mir nur noch nicht ganz sicher. Ein Horrorfilm könnte so beginnen. Sven als irrer Axtmörder, der mich durch die Stadt verfolgt. Groteske Kulisse für so etwas, dazu ist die Stadt viel zu bezaubernd.

      Unweigerlich muss ich grinsen bei dem Gedanken, dass Sven mir hier mit einer Axt hinterherjagt.


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