Recht für Pflegeberufe. Theo Kienzle
Dieser Tatbestand stellt die unterlassene Hilfe bei Notfällen unter Strafe. Die Vorschrift selbst nennt Rechtfertigungsgründe, wie eigene Gefahr oder Verletzung anderer wichtiger Pflichten.
Die letzte Strafvorschrift, die im Pflegebereich wichtig ist, ist die
Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe […] bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) […]
Tathandlung ist die rechtswidrige Durchsetzung einer Handlung, Duldung oder einer Unterlassung. Dabei muss entweder Gewalt angewendet oder mit einem Übel gedroht werden. Dieser Tatbestand ist beispielsweise dann erfüllt, wenn ein Patient widerrechtlich zur Einnahme eines Medikamentes veranlasst wird. Eine Nötigung kann gleichfalls vorliegen, wenn ein Mensch mit Behinderung zum Essen oder zu einem Spaziergang gezwungen wird. Eine Nötigung liegt allerdings nicht vor, sofern Gehhilfen entfernt werden, um den Patienten im Rahmen der Therapie zum selbstständigen Laufen anzuhalten. Insoweit liegt auch keine Freiheitsberaubung vor, wenn er dazu in der Lage ist, die selbstständige Fortbewegung lediglich am fehlenden Willen scheitert.
Die zweite Form des subjektiven Tatbestandes ist die Fahrlässigkeit. Bei der Fahrlässigkeit wird der Tatbestand ungewollt durch die pflichtwidrige Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verwirklicht.
Die Elemente der Fahrlässigkeit sind:
• Pflichtwidrigkeit,
• Vorhersehbarkeit und
• Vermeidbarkeit.
Die Pflichtwidrigkeit liegt bei einem Verstoß gegen bestimmte Verhaltensregeln und Sorgfaltspflichten vor. Die Vorhersehbarkeit bedeutet die Erkennbarkeit des drohenden Schadens, d. h. der Schädigung des Bewohners oder Patienten. Außerdem muss der Eintritt des Schadens bei ordnungsgemäßem Verhalten des Täters vermeidbar gewesen sein.
Die wichtigsten Fahrlässigkeitstatbestände im Bereich der Pflege sind:
Fahrlässige Körperverletzung
Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Der einzige Unterschied zur vorher genannten Körperverletzung nach § 223 StGB ist bei dieser Vorschrift, dass die Verletzung oder Gesundheitsschädigung nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig erfolgt.
Fahrlässige Tötung
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe […] oder mit Geldstrafe bestraft.
Diese Norm findet dort Anwendung, wo durch die Verletzung von Sorgfaltspflichten der Tod eines Menschen verursacht wird.
Rechtswidrigkeit
Eine Handlung ist nur dann eine Straftat, wenn zusätzlich zur Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit vorliegt. Im Normalfall ist eine Tat, die einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, auch rechtswidrig. Dies gilt aber nicht in denjenigen Fällen, in denen ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Derartige Rechtfertigungsgründe sind:
• Notwehr21, Nothilfe (§ 32 StGB),
• Notstand22 (§ 34 StGB) und
• Einwilligung23.
Als wichtigster Rechtfertigungsgrund in der Pflege ist die Einwilligung zu nennen. Diese Einwilligung muss grundsätzlich vom Betroffenen, d. h. vom Bewohner oder Patienten, selbst erklärt werden. Dritte Personen wie Angehörige, können keine wirksame Einwilligung erteilen. Angehörige sind nur dann zur Einwilligung berechtigt, wenn sie gleichzeitig gesetzliche Vertreter, wie Betreuer, Eltern oder Vormund sind, und der Betroffene nicht einwilligungsfähig ist. Die Einwilligungsfähigkeit kann jedoch nicht mit der Geschäftsfähigkeit gleichgesetzt werden. Trotz fehlender oder eingeschränkter Geschäftsfähigkeit ist ein Patient oder Bewohner einsichtsfähig und damit einwilligungsfähig, wenn er in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen.24
Selbst bei ständig einwilligungsunfähigen, volljährigen Personen sind die Angehörigen nicht zur Zustimmung berechtigt. Es müssen immer der Betreuer oder bei Minderjährigen die Eltern oder der Vormund entscheiden. Lediglich bei dringenden Maßnahmen, beispielsweise bei Lebensgefahr, muss nach dem mutmaßlichen Willen gehandelt werden, sofern der Betroffene nicht selbst einwilligen kann und auch kein Betreuer vorhanden oder erreichbar ist. Bei dem mutmaßlichen Willen muss ermittelt werden, welche Maßnahmen im Interesse des Patienten oder Bewohners liegen. Hier können, um den mutmaßlichen Willen zu ermitteln, auch die Angehörigen befragt werden. Im Zweifel ist dahingehend zu entscheiden, dass es im Interesse des Patienten oder Bewohners liegt, die Schmerzen zu lindern und seine Gesundheit wiederherzustellen bzw. das Leben zu retten. Es empfiehlt sich, die Gründe für die Entscheidung zu einer medizinischen Behandlung ohne Einwilligung, insbesondere den Grund für die Annahme eines mutmaßlichen Willens und die fehlende Möglichkeit, die Einwilligung einzuholen, schriftlich niederzulegen.
Sobald der Patient oder Bewohner das Bewusstsein verliert, können und müssen alle erforderlichen Maßnahmen zu seiner Lebensrettung unternommen werden. Der mutmaßliche Wille, gerettet zu werden, wird vorausgesetzt.
Es muss beachtet werden, dass ein Patient oder Bewohner, für den eine Betreuung besteht, nicht allein deshalb einwilligungsunfähig ist. Es gelten trotzdem noch die obigen Grundsätze, so dass der natürliche Wille maßgebend ist.
Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Dies ist dann auch unbedingt zu beachten, sofern nicht eine Notsituation vorliegt. Nach dem Widerruf sind freiheitsbeschränkende oder medizinische Maßnahmen rechtswidrig und damit strafbar.
2.5 Schutz der Privatsphäre zu pflegender Menschen
Da Pflegefachkräfte hinsichtlich der zu pflegenden Menschen zahlreiche sehr persönliche Informationen erhalten, kommt – auch wegen des bereits dargestellten Selbstbestimmungsrechts25 – dem Schutz der Privatsphäre besondere Bedeutung zu. Jeder Patient oder Heimbewohner muss darauf vertrauen können, dass persönliche Informationen geschützt sind. Dieser Schutz ist verfassungsrechtlich in Art. 1 GG als Schutz der Menschenwürde und in Art. 2 GG als Persönlichkeitsrecht gewährleistet. Auch weitere Rechtsvorschriften im Strafrecht, Verwaltungsrecht und Sozialrecht sowie im zivilrechtlichen Deliktsrecht, von denen einige nachfolgend und weitere im strafrechtlichen Teil dargestellt