Geschichte Österreichs. Walter Pohl L.
Jahrhundert häufig den Interessenschwerpunkt der Kärntner Herzöge bildete. Aber auch die Mark an der mittleren Mur dürfte ungeachtet der zeitweiligen Benennung als Karantanische Mark wohl nicht zum Herzogtum Kärnten gehört haben, sondern mit Bayern verbunden geblieben sein. Als folgenschwer für die hochmittelalterliche Entwicklung sollte es sich erweisen, dass die Kärntner Herzöge in raschem Tempo wechselten – bei zwölfmaligem Wechsel zehn verschiedene Herzöge innerhalb von einem Jahrhundert – und sich keine dynastische Kontinuität einstellte. Zwar entstammten die Herzöge den ersten Familien des Reichs wie der Salier Otto von Worms (reg. 978–985 und 995–1004), der Großvater Kaiser Konrads II., Welf III. (reg. 1047–1055) oder Berthold von Zähringen (reg. 1061–1077), doch deren eigentliche Interessen lagen fernab von Kärnten, und auch über Besitz in »ihrem« Herzogtum verfügten sie nur sehr begrenzt oder gar nicht. Weit davon entfernt, die Position der Kärntner Herzöge stärken zu wollen, legten die römisch-deutschen Könige und Kaiser die für den Weg nach Italien geopolitisch wichtigen Plätze im karantanischen Zentralraum seit dem Ende des 10. Jahrhunderts in die Hände der hohen Geistlichkeit. So gelangte das an einer Schüsselstelle des Nord-Süd-Verkehrs gelegene Villach durch Kaiser Heinrich II. an die von diesem gestiftete Bamberger Kirche. Auch das Erzstift Salzburg wurde reich bedacht.
Mehr noch als in Kärnten prägte die ottonisch-salische Reichskirchenpolitik die Geschicke der Landschaften an Inn, Etsch und Eisack. Die hervorragende geopolitische Lage rückte das Passland Tirol in den Mittelpunkt der Interessen der römisch-deutschen Könige, die vermehrt Brenner und Reschen für ihren Weg aus dem Norden nach Italien wählten. Um diesen strategisch so wichtigen Verkehrsweg in sicheren Händen zu wissen, betrauten die römisch-deutschen Herrscher seit Heinrich II. die Bischöfe von Brixen und Trient mit der Ausübung weltlicher Hoheitsrechte im Tiroler Raum. Ganze Grafschaften gelangten an die Bischöfe, so bereits 1004 die Grafschaft Trient an den dortigen Oberhirten. Seinen Höhepunkt erreichte das sogenannte ottonisch-salische Reichskirchensystem unter Kaiser Konrad II., der dem Trienter Bischof 1027 die Schenkung von 1004 bestätigte und die Grafschaften Vinschgau und Bozen hinzufügte. Gleichzeitig bedachte der Salierkaiser den Brixner Bischof Hartwig mit den Grafschaften im Inn- und Eisacktal. Dem Reichsoberhaupt treu ergebene Gefolgsleute geistlichen Standes, die ihr Bischofsamt zudem in den meisten Fällen der Gunst des Kaisers verdankten, verwalteten nun die Grafenrechte nahezu im gesamten Bereich der Tallandschaften des späteren Landes Tirol. Wie nahe diese geistlichen Herrschaftsträger dem Kaiser waren, macht die Karriere des Brixner Bischofs Poppo (reg. 1039–1048) deutlich. Häufig in der Umgebung Kaiser Heinrichs III. anzutreffen, begleitete er diesen 1046 nach Rom, wirkte an einschneidenden kirchenpolitischen Maßnahmen (Synode von Sutri) mit und bestieg schließlich als Damasus II. den Papststuhl. Gleich seinem Vorgänger Clemens II. / Suidger von Bamberg behielt er auch als Papst sein Bistum. Nach einem kurzen Pontifikat ist er 1048 gestorben.
Investiturstreit und Kirchenreform
Von den Auswirkungen des sogenannten Investiturstreits, des großen Kampfes zwischen Imperium und Sacerdotium, wurden die südöstlichen Landschaften des Reiches voll erfasst. Es begann eine Phase jahrzehntelanger innerer Auseinandersetzungen und tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen. Das Schlagwort von der libertas ecclesiae drang überall hin, und schon bald spitzten sich die Gegensätze zwischen überzeugten Anhängern der neuen Anschauungen, den »Guten« (Stefan Weinfurter ), und ihren immer unversöhnlicher auftretenden Gegnern gefährlich zu. Tiefe Risse taten sich innerhalb des Episkopats auf, aber auch mitten durch die weltlichen Führungsschichten gingen die Parteiungen. Die Reformkräfte hatten im Ostalpenraum mächtige Stützen unter den weltlichen Großen, so den Kärntner Herzog Berthold aus dem zähringischen Haus. Nicht zufällig legte Papst Gregor VII. in einem Brief an diesen und Herzog Rudolf von Schwaben zu Jahresanfang 1075 programmatisch dar, dass Widerspruch gegen ihn, den Papst, wie die Sünde des Irrglaubens sei. Und der Kärntner Herzog befand sich denn auch an vorderster Front unter den Gegnern König Heinrichs IV., die im März 1077 in Forchheim zur Wahl eines neuen römisch-deutschen Königs schritten. Der Salier reagierte unverzüglich mit der Verurteilung Bertholds als Hochverräter und der Aberkennung des Kärntner Herzogtums, das er dem treuen Gefolgsmann Liutold aus dem Geschlecht der Eppensteiner übertrug. Zur gregorianischen Partei zählten die im bayerischen Osten besitzmächtigen Grafen von Formbach. Graf Ekbert von Formbach musste deshalb 1078 vor dem König zu den Ungarn fliehen. Und auch der Traungauer Graf Otakar II. neigte der päpstlichen Seite zu, was ihn in scharfen Gegensatz zu seinem kaiserlich gesinnten Bruder Adalbero, Markgrafen der Karantanischen Mark, brachte.
Ganz sicher konnte sich König Heinrich IV. dagegen des Brixner Bischofs Altwin (reg. 1049–1097) sein, so sehr, dass er die Stadt Brixen im Sommer 1080 als Schauplatz für eine großen Kirchenversammlung wählte, auf der Papst Gregor VII. abgesetzt und Erzbischof Wibert von Ravenna als Clemens III. zum neuen Pontifex erhoben wurde. Zum Dank für seine Zuverlässigkeit konnte Altwin 1091 aus der Hand des Kaisers noch die Grafschaft Pustertal in Empfang nehmen. Der Brixner Oberhirte stand mit seiner Haltung im bayerischen Episkopat indes ziemlich isoliert da. Hier gab das gregorianische Dreigestirn Erzbischof Gebhard von Salzburg (reg. 1060–1088), Bischof Altmann von Passau (reg. 1065–1091, gest. in Zeiselmauer) und Bischof Adalbero von Würzburg (reg. 1045–1090, gest. im Kloster Lambach) den Ton an. Gebhard und Altmann hatten ihre Karriere beide in der königlichen Hofkapelle begonnen und verdankten der Kaiserinwitwe Agnes ihre Bischofsämter. Beim Ausbruch des Investiturstreits wählten sie dessen ungeachtet ohne zu zögern die päpstliche Seite, stellten sich in den Dienst der Sache Papst Gregors VII.; Altmann tat dies sogar in der Funktion eines päpstlichen Legaten. Ihre Papsttreue bezahlten sie alle mit dem Verlust ihrer Bischofssitze, aus denen sie weichen mussten, Gebhard nach Sachsen, Altmann schließlich in den Osten seiner Diözese in die Mark der Babenberger. Gregorianisch heißt bei diesen Bischöfen noch nicht notwendig auch reformfreundlich. Gebhard, beileibe kein Kirchenreformer, aber ein Realpolitiker (Stefan Weinfurter), hielt bei seinen geistlichen Gründungen, dem Bistum Gurk (1072), dem Benediktinerstift Admont (1074) und dem Säkularkanonikerstift Reichersberg (1087), an einer strikt eigenkirchlichen Praxis fest. Der Kirchenreform stärker verbunden war der Passauer Oberhirte Altmann, der eine umfassende Reorganisation des kirchlichen Lebens in seiner Diözese versuchte. Er baute dabei ganz auf die neue, vom Reformpapsttum propagierte Regularkanonikerbewegung, die, Mönchtum und Weltpriestertum vorteilhaft vereinend, zu einer Speerspitze der Kirchenreform wurde. Die alten Stifte St. Florian und St. Pölten wurden im Geiste der neuen Bewegung reformiert, St. Nikola in Passau (1067) und Göttweig (1083) neu begründet. Als Vorbild diente das oberbayrische Reformstift Rottenbuch, an dessen Gründung durch Herzog Welf IV. von Bayern 1073 Bischof Altmann entscheidend mitgewirkt hatte.
Dem Drängen Bischof Altmanns von Passau ist wahrscheinlich der Wechsel des Babenberger Markgrafen Leopold II. in das Lager der Gregorianer zuzuschreiben. Der Babenberger schwor in Tulln gemeinsam mit dem anwesenden Adel der Mark im Frühsommer 1081 König Heinrich IV. feierlich ab. Dies hatte unmittelbar zur Folge, dass Herzog Vratislav von Böhmen, den der König mit der Babenberger Mark belehnt haben dürfte, mit Heeresmacht in der Mark einfiel und das Aufgebot des Babenbergers bei Mailberg (12. Mai 1082) vernichtend schlug. Die in der Erinnerung der Markbewohner noch lange präsente Katastrophe rührte freilich nicht an der Herrschaft Leopolds II. Diese war offenkundig so gefestigt, dass sie auch eine derart schwere Erschütterung weitgehend unbeschadet überstehen konnte.
Trotz der äußeren Erfolge der kaiserlichen Partei begannen sich die Ideen und Überzeugungen der kirchlichen Reform zu Ausgang des 11. Jahrhunderts im Ostalpenraum auszubreiten. Auch im hohen Adel fasste der Reformgedanke Fuß. Adel und kirchliche Reformbewegung gingen eine enge Verbindung ein, so dass man mit Recht von einem »Reformadel« sprechen kann, der sich als Schützer der neuen monastischen Strömungen begriff. Streng cluniazensisches Denken, vermittelt vor allem durch die schwäbischen Klöster Hirsau und St. Blasien, griff allenthalben Platz. Man strebte Freiheit von jeder Laienherrschaft an, stellte sich unter den päpstlichen Schutz. St. Paul im Lavanttal, eine Gründung (1091) der gregorianisch gesinnten Grafen von Spanheim, wurde von Hirsauer Benediktinern besiedelt und alsbald dem Papst unterstellt. Eine nicht ganz so »klassische« Reformgründung war die Aribonenstiftung Millstatt. Aber auch in diesem Kärntner Benediktinerkloster waltete der Hirsauer Reformgeist. Zum Modellkloster entwickelte sich Göttweig, wo wenige Jahre nach Altmanns Tod 1094 Benediktiner