Geschichte Österreichs. Walter Pohl L.
waren etwa die an der oberen Mur begüterten Liechtenstein, die Familie des berühmten Minnesängers Ulrich von Liechtenstein. Und sehr oft, auch im Falle der Liechtenstein, datiert der Übertritt in die Ministerialität in die Zeit Markgraf Otakars III.
Einen wichtigen Baustein für die Landesherrschaft bildeten auch die Klostervogteien. Bis auf eine (Admont) besaß Otakar III. zuletzt die Vogteien über alle Klöster seines Herrschaftsgebietes, Klöster, die die Otakare teils selbst gegründet oder deren Vogteien früher die hochadeligen Gründerfamilien besessen hatten. Am Höhepunkt seiner Macht ist Otakar III. dann auch selbst als Klostergründer in Erscheinung getreten. Die drei Gründungen wurden geschickt über das weite Herrschaftsgebiet des Markgrafen verteilt, das Hospital am Semmering (1160) als Signal zur Förderung des Verkehrsweges nach Norden, das Chorherrenstift Vorau (1163) mitten ins oststeirische Neusiedelland und die Kartause Seitz/Žiče (1164) im heutigen Slowenien weit im Süden der vom Grafen Bernhard von Spanheim ererbten Besitzungen.
Als Otakar III. 1164 starb, hatte sein Herrschaftsbereich alle Merkmale eines Landes. Von der terra nostra, von »unserem Land«, sprach der Markgraf selbst, oder er umschrieb seine steirische Mark mit den Worten marchia mee ditionis, »Mark meiner Herrschaft«. Kaiser Friedrich I. betitelte seinen markgräflichen Schwager als Fürsten. Sogenannte »Landtaidinge«, Versammlungen von Freien und Dienstmannen, bei welchen unter Vorsitz des Landesfürsten Recht gesprochen wurde, lassen sich im Herrschaftsgebiet der Otakare seit den sechziger Jahren des 12. Jahrhunderts nachweisen. Und das an der Gründungsurkunde des Hospitals am Semmering 1160 hängende Siegel Otakars III. zeigt erstmals das Pantherwappen des Fürsten, das zum identitätsstiftenden Landeswappen der Steiermark werden sollte. Schon wenige Jahrzehnte nach dem ersten Auftreten des Wappens im landesfürstlichen Reitersiegel führen steirische Ministerialen den Panther, und auch in städtischen Wappen des 13. Jahrhunderts steht die heraldische Figur sowohl für die Dynastie als auch für das Land.
Wie Otakars III. selbständiger Regierung eine lange Vormundschaft vorausgegangen war, so folgte dieser eine ebensolche. Beim Tod des Vaters 1164 war der Sohn Otakar IV. vermutlich gerade ein Jahr alt. Gefahr bestand für die Herrschaft dennoch zu keiner Zeit. Die Vormundschaft führte Markgräfinwitwe Kunigunde, eine Schwägerin des Kaisers Friedrich I. Der Stauferkaiser hatte den Aufstieg des steirischen Landesfürstentums von Beginn an gefördert, hatte Otakar III. wahrscheinlich als erstem Fürsten des Reichs überhaupt das Bergregal verliehen, was angesichts der reichen Salz- und Erzvorkommen der Steiermark besonders bedeutsam war. Und als Friedrich I. 1180 nach dem Sturz Heinrichs des Löwen an die Neuordnung der Verhältnisse im Herzogtum Bayern ging, bedachte er auch den eben erst mündig gewordenen Markgrafen Otakar IV. Die zeitgenössische Historiographie berichtet, ohne die Hintergründe zu beleuchten, Markgraf Otakar von Steyr habe »den Namen eines Herzogs erlangt«. Eine formelle Erhebung der Steiermark zum Herzogtum durch Diplom und Siegel fand offenkundig nicht statt. Zum Unterschied von den Babenbergern 1156 erhielt Otakar IV. 1180 keine neuen Rechte. Die Rangerhöhung bedeutete aber, dass der neue Herzog von allen noch bestehenden lehensrechtlichen Bindungen an Bayern gelöst war. Bayerische Herzöge würden zukünftig nicht mehr, wie dies noch 1176 Heinrich der Löwe als Herzog von Bayern demonstrativ getan hatte, im otakarischen Enns (heute Oberösterreich) einen Gerichtstag abhalten können.
Die politische Sprache zeigt hinsichtlich des neuen Herzogtums noch längere Zeit Unsicherheit. Vom »Land des steirischen Herzogs« ist in einem kaiserlichen Diplom Friedrichs I. für das Kloster Admont im Jahre 1184 die Rede. Erst allmählich, gefördert durch die analoge Bildung ducatus Austrie (Herzogtum Österreich), dringt die Bezeichnung ducatus Stirie (Herzogtum Steier) durch.
Kärnten
Das Herzogtum Kärnten erhielt 1077 mit den Eppensteinern erstmals in seiner Geschichte ein länger regierendes Herzogsgeschlecht. Dynastische Kontinuität bedeuteten die etwas mehr als vier Jahrzehnte eppensteinischer Herrschaft indes wohl noch nicht. Eine solche erreichten erst die Spanheimer, die ohne Unterbrechung von 1122 bis 1269 die Kärntner Herzöge stellten. War damit durch diese Familie eine wichtige Voraussetzung für die Ausbildung eines Landesfürstentums gegeben, so fehlten fast alle anderen, weshalb der Prozess der Landwerdung Kärntens vergleichsweise spät einsetzte und sich überaus schwierig gestaltete. Das Fürstentum der Kärntner Herzöge des 12. Jahrhunderts war noch ein altes, das von der im Hochmittelalter rasch voranschreitenden Territorialisierung kaum profitieren konnte. Als Geschlecht mit weitgespannten Interessen und Beziehungen suchten die Spanheimer ihre Heiratspartner im gesamten europäischen Hochadel. Mathilde, eine Tochter Herzog Engelberts (II.), heiratete den Grafen Thibaut (IV.) von der Champagne. Der französische König Philipp II. August war ihr Enkel. Diese französischen Verbindungen brachten Kärnten 1142 das erste Zisterzienserkloster in Viktring (bei Klagenfurt), dessen Mönche aus dem lothringischen Weiler-Bettnach/Villers kamen, wo ein Bruder Mathildes, Heinrich, nachmals Bischof von Troyes, Abt war. Engelbert III., ein weiterer Bruder Mathildes, versuchte sich einige Jahre ziemlich glücklos als Markgraf in der Toskana. Im Herzogtum Kärnten selbst waren den Spanheimern enge Grenzen gesetzt. Es fehlte der Dynastie an Eigenbesitz. Den geistlichen Konkurrenten waren die Herzöge hoffnungslos unterlegen. Vor allem die großen Besitzungen der Erzbischöfe von Salzburg – Zentrum war Friesach, die älteste städtische Siedlung in Kärnten – schnürten den Handlungsspielraum der Spanheimer ein. Noch der letzte Eppensteiner Herzog Heinrich III. hatte sich 1121 auf ein Kräftemessen mit dem Salzburger Erzbischof Konrad I. eingelassen und dies mit einem Canossagang gebüßt. Ähnlich erging es dem Spanheimer Herzog Bernhard (reg. 1202–1256) ein Jahrhundert später bei dem Versuch, die Machtposition der Bamberger Bischöfe in Kärnten um Villach zu brechen. Das Unternehmen scheiterte politisch und militärisch kläglich. Dennoch ist es Herzog Bernhard, der vielleicht am ehesten den Namen »Gründer des Kärntner Landesfürstentums« verdient. Ohne Zweifel war er die bedeutendste Persönlichkeit aus dem Geschlecht der Spanheimer. Bernhard arbeitete zielstrebig am Ausbau der Landesherrschaft, gründete Städte, scharte eine Ministerialität um sich, kam mit seinen Anstrengungen aber dennoch nicht über ein kleinräumiges Unterkärntner Gebiet, das mit dem Städtedreieck St. Veit – Völkermarkt – Klagenfurt umschrieben ist, hinaus. Den Anspruch auf ein größeres Herzogtum Kärnten gaben die Spanheimer indessen niemals auf. Sicherlich ist es kein Zufall, dass der zu 1239 überlieferte früheste Beleg für Herzog Bernhard als Landesfürst (princeps terre) eine Sache außerhalb des engeren Unterkärntner Herrschaftsbereichs der Spanheimer betrifft. Der Kärntner Herzog vermittelte damals wegen mehrerer Güter im heute Salzburger Lungau, und Streitparteien waren zwei gräfliche Geschlechter, Ortenburger und Heunburger, beide mit schwacher Anbindung an das Kärntner Herzogtum.
Tirol
Als »Schöpfer« des Landes Tirol gilt bis heute mit Recht Meinhard II. aus dem Geschlecht der Grafen von Görz (reg. 1258–1295). Fast ein Jahrhundert später als bei den Marken der Babenberger und Otakare setzten an Inn und Etsch Entwicklungen ein, die geeignet waren, ein Land entstehen zu lassen. Die bestimmenden Kräfte in diesem Raum stellten im 12. Jahrhundert noch die beiden Kirchenfürsten von Brixen und Trient dar. Nach dem Wormser Konkordat (1122) hatte unter dem Einfluss des mächtigen Salzburger Metropoliten Konrad I. auch in der bisherigen »kaiserlichen Hochburg« Brixen eine reformfreundliche Richtung Einzug gehalten. Dieser neuen Strömung verdankten die Klöster St. Georgenberg bei Schwaz und Wilten bei Innsbruck, die beide auf älteren am Ort bestehenden Klerikergemeinschaften gründeten, ihre reformkirchliche Ausrichtung. In der Person des aus der Gegend von Passau stammenden Hartmann (reg. 1140–1164), der sich schon als Dekan des Salzburger Domstifts und als Propst des Chorherrenstifts Klosterneuburg einen Namen unter den Kirchenreformern gemacht hatte, erhielt Brixen dann bald einen überaus energischen und organisationsbegabten Oberhirten. Dieser berief 1142 nach Neustift unweit von Brixen Regularkanoniker, die aus der früheren Wirkungsstätte Hartmanns, Klosterneuburg, kamen. Auch den weltlichen Herrschaftsaufgaben zeigte sich der Reformbischof hervorragend gewachsen. Wichtigste Stütze waren ihm bei der Güterverwaltung die Brixner Ministerialen. Weniger glücklich agierten Hartmanns Nachfolger, denen die umfangreichen weltlichen Herrschaftsrechte ihrer Kirche zu entgleiten begannen. Als folgenschwerste Handlung entpuppte sich die durch Bischof Otto von Brixen vor 1170 vorgenommene Übertragung der Hochstiftsvogtei an seinen Bruder Graf Berthold von Andechs.