Geschichte Österreichs. Walter Pohl L.
des Geschlechts an der oberen Adria ab –, waren an sich schon das mächtigste Geschlecht an Inn und Eisack. Im mittleren Inntal verfügten sie seit dem 11. Jahrhundert über ausgedehnten Besitz. Dazu kam die Belehnung mit den Grafschaftsrechten des Hochstifts Brixen in diesem Raum. Die Andechser geboten über ein bedeutendes eigenes ministerialisches Gefolge (Rottenburger, Freundsberger), und es kennzeichnet die herausgehobene Position dieser Dynastenfamilie von europäischem Zuschnitt, dass sie als einziges Adelsgeschlecht im Tiroler Raum zu Ausgang des 12. Jahrhunderts einen städtischen Zentralort, nämlich Innsbruck, aufbauen konnten.
Auch die Bischöfe von Trient büßten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts immer mehr von ihren weltlichen Herrschaftsrechten ein. Der gräfliche Adel baute seine Positionen zu Lasten der Kirche systematisch aus. Zwei Geschlechter standen dort in Konkurrenz. Einen deutlichen Vorsprung hatten zunächst die Grafen von Eppan. In deren Windschatten und möglicherweise von den Bischöfen von Trient als Gegengewicht gegen die Eppaner gefördert, stiegen die seit ca. 1140 als solche bezeugten Grafen von Tirol auf. Über die Herkunft dieser Familie geben die Quellen keine verlässlichen Informationen, jüngste bauarchäologische Untersuchungen an der namengebenden Burg Tirol bei Meran scheinen auf eine Errichtung der Anlage noch im späten 11. Jahrhundert hinzudeuten. Vom Hochstift Trient hatten die Grafen von Tirol die Grafschaft Vinschgau inne, und nach der Mitte des 12. Jahrhunderts erlangten sie auch die Vogtei über das Hochstift.
Im Verdrängungswettbewerb der großen Dynasten blieb Graf Albert III. von Tirol (reg. ca. 1200–1253) am Schluss Sieger. Weil der Andechser Markgraf Heinrich von Istrien wegen angeblicher Mittäterschaft an der Ermordung König Philipps 1209 der Reichsacht verfiel und deshalb alle seine Lehen einbüßte, konnte der Tiroler Graf in die Brixner Positionen der Andechser, die Hochstiftvogtei und die Grafschaftsrechte im Inn- und Eisacktal, einrücken. Die neu erlangte Machtstellung verteidigte Albert III. auch, als die Andechser in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts vom Kaiser rehabilitiert wurden. Es kam zu einem durch Konnubium besiegelten Ausgleich zwischen den beiden konkurrierenden Geschlechtern. Der Andechser Herzog Otto (II.) von Meranien heiratete eine der beiden Töchter des söhnelosen Tirolers. Dynastischer Zufall tat ein Übriges. Der Schwiegervater Graf Albert beerbte 1248 den Schwiegersohn Otto, mit dem das Haus der Andechser erlosch. Bei seinem Tod 1253 hinterließ Graf Albert III. ein buntes Konglomerat von Grafschafts-, Vogtei- und Herrschaftsrechten – gewiss noch kein geschlossener Herrschaftsraum, zu sehr waren die Herrschaftsrechte des Tiroler Grafen mit den geistlichen Herrschaftsträgern Brixen und Trient verzahnt.
Aus dieser Gemengelage von weltlichen und geistlichen Herrschaftsträgern innerhalb einer Generation ein einheitliches Land geformt zu haben, ist das Verdienst von Alberts III. Enkel Meinhard II. von Görz. Der mit der Witwe des Stauferkönigs Konrad IV. verheiratete Görzer profilierte sich rasch als die führende Persönlichkeit unter den Erben Graf Alberts III. von Tirol. Miterben aus dem Grafengeschlecht der Hirschberger konnte er Zug um Zug verdrängen bzw. auskaufen. Mit dem eigenen jüngeren Bruder Albert einigte er sich 1271 auf eine Herrschaftsteilung. Als Grenze zwischen der Meinhard vorbehaltenen, hier erstmals so benannten Grafschaft und Herrschaft Tirol und der Albert zugesprochenen Grafschaft Görz wurde die Mühlbacher Klause am westlichen Eingang des Pustertales festgelegt.
Der Aufstieg Meinhards zum Tiroler Landesfürsten führte über die Bischöfe von Brixen und Trient. Sie zu entmachten galt dem Grafen von Anfang an als wichtigstes Ziel. Dabei war Meinhard in der Wahl seiner Mittel nicht eben zimperlich. Die gewaltsame Entfremdung von bischöflichen Burgen und Ministerialen stand auf der Tagesordnung, und der Graf, der große Teile seines Lebens im Kirchenbann zubrachte, scheute auch vor schweren Konflikten mit dem Papsttum nicht zurück. Beim Tode Meinhards im Jahre 1295 war alles zugunsten des Landesfürstentums entschieden, und zwar endgültig und unumkehrbar. Die Hochstifte Brixen und Trient wurden in das entstehende Land Tirol integriert, ohne in diesem allerdings gänzlich aufzugehen.
Zu einem guten Teil gründeten die Erfolge von Meinhards Tiroler Landesfürstentum auf einem soliden Finanzwesen und einer modernen Verwaltung. In beidem empfing der Graf wertvolle Anregungen aus dem Süden. Die vorteilhafte finanzielle Lage Meinhards verdankte sich einerseits der Saline Hall und andererseits den Einnahmen aus den Zöllen, die der stetig ansteigende Handelsverkehr zwischen Deutschland und Italien an den Zollstätten des Landes abwarf. Italiener waren dem Tiroler Landesfürsten wertvolle Helfer in Geldsachen. Aus dem Süden kamen die ersten Münzmeister, die für die Prägung der sogenannten Adlergroschen verantwortlich zeichneten. Meinhard ließ in Meran Mehrfachpfennigmünzen prägen, die dank ihres hohen Feingehalts weithin geschätzt wurden. Sein eigenes Geld veranlagte der Graf u. a. bei dem Florentiner Bankhaus Frescobaldi. Der fortschrittliche Grundzug von Meinhards Herrschaft äußert sich namentlich in der fürstlichen Verwaltung, die zu den modernsten ihrer Zeit zählte. Fast alle Verwaltungsabläufe fanden einen schriftlichen Niederschlag und ließen neue Formen des Schriftgutes entstehen. Erwähnt seien nur die berühmten Tiroler Raitbücher, landesfürstliche Rechnungsbücher, die seit 1288 in einer geschlossenen Reihe erhalten sind. Zur Wahrnehmung des Rechts überzog Meinhard sein gesamtes Herrschaftsgebiet mit einem Netz von regionalen Einheiten, den Gerichten, die gleichzeitig als Verwaltungssprengel genutzt wurden. Neue Wege beschritt der Tiroler Landesfürst auch beim Verwaltungspersonal, wo vielfach an die Stelle adeliger Lehensleute absetzbare Amtsträger traten.
Die alte Zugehörigkeit des Tiroler Raums zu Bayern verblasste in diesen Jahrzehnten der Regierung Meinhards zusehends. Versuche der Wittelsbacher Herzöge, die endgültige Ablösung Tirols von Bayern zu verhindern, konnte Graf Meinhard mit Hilfe König Rudolfs I. parieren. 1282 bezeugte der Bischof von Chur vor dem Reichshofgericht, dass der im Gebirge (intra montana) ansässige Graf von Tirol niemals zum Herzogtum Bayern oder Schwaben gehört habe. Wenn überhaupt, so bestünden Abhängigkeiten nach Italien. Die Grafen von Tirol besäßen ihre Grafschaft Vinschgau als Lehen des Hochstifts Trient, das bekanntlich zu Italien gehöre. Bald nach diesem sogenannten »Churer Weistum« werden die ersten Spuren eines Tiroler Landrechts fassbar. Als dessen »Erfinder« galt späteren Generationen Meinhard II. Und auch die Frage des Landesnamens klärte sich in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts. Tirol nannte man nun üblicherweise das neu entstandene Land, wenngleich noch im 14. Jahrhundert ab und an alle Bestandteile des Landes (Grafschaft Tirol, Land an der Etsch und im Inntal und im Gebirge) einzeln aufgezählt wurden. Von den alten Grafen von Tirol leitete sich im übrigen nicht nur der Landesname ab, auch das Wappentier, der Adler, rührte von dort her.
Salzburg
Eine ganz ähnliche Entwicklung wie Tirol hätte auch Salzburg nehmen können. Aus den schweren Verwerfungen des Investiturstreits ging zunächst ein machtvoll auftretendes Salzburger Erzstift hervor, das Konrad I. (reg. 1106–1147) zur Speerspitze der kirchlichen Reformbewegung im Südosten des Reiches machte. Der Erzbischof war aber nicht nur ein kirchlicher Erneuerer, er stellte auch die weltliche Herrschaft der Salzburger Metropoliten auf eine feste Grundlage, ließ Burgen wie die Hohensalzburg, Hohenwerfen oder Friesach (Kärnten) errichten. Doch dann folgten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts neuerlich Auseinandersetzungen zwischen Imperium und Sacerdotium mit verheerenden Auswirkungen auf das Erzstift, dessen Oberhirten unerschütterlich die päpstliche Sache verteidigten. Kaiser Friedrich I. nahm den Erzbischöfen zeitweilig ihre weltliche Herrschaft und machte sich die erzbischöflichen Ministerialen gefügig. Dass die Erzbischöfe letztlich dennoch die Herren im Gebiet des heutigen Landes Salzburg blieben und nicht wie in Tirol die Macht an adelige Vögte verloren, ist dem fast ein halbes Jahrhundert das Erzstift mit fester Hand regierenden Erzbischof Eberhard II. (reg. 1200–1246) zuzuschreiben. Dieser gab die traditionell päpstliche Politik seiner Amtsvorgänger zugunsten einer bedingungslosen Gefolgschaft gegenüber dem staufischen Kaiser Friedrich II. auf. Er konnte Grafschaftsrechte im Pinzgau, Pongau und Lungau erwerben. Wichtiger noch für die Geschichte Salzburgs war die Ausschaltung der Hochstiftsvögte. Als 1218 die Grafen von Peilstein ausstarben, zog Erzbischof Eberhard II. die Hochstiftsvogtei ein, um sie nie wieder auszugeben. So waren um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Weichen für die Zukunft Salzburgs als eines geistlichen Territoriums gestellt.
Land ob der Enns (Oberösterreich)
Das Gebiet zwischen Hausruck und Enns gehörte bis in die zweite Hälfte