Adel verpflichtet. Martina Winkelhofer

Adel verpflichtet - Martina Winkelhofer


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Haare aber immer hochstecken. Die Alltagskleidchen der Mädchen wurden meist von geschicktem Kammerpersonal genäht, nur Sonntagskleider und spezielle Kleidungsstücke wurden von Schneiderinnen und Modesalons gefertigt. In der Aristokratie galt sowohl in Bezug auf die Kleidung als auch das Auftreten der Kinder Einfachheit als Tugend; aufgetakelte, affektierte Kinder empfand man als Gräuel.

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      Die Tochter des Grafen Felix Harnoncourt in einem Festkleid, um 1888.

      Ein wichtiges Kriterium in der Erziehung, auch bei Mädchen, war die körperliche Ertüchtigung. Überhaupt sollten Kinder nicht verweichlicht werden, jegliche Mimosenhaftigkeit wurde auch den Mädchen früh ausgetrieben. Dem hohen Stand entsprechend sollten sie lernen, sich nicht gehenzulassen und körperliche Unpässlichkeiten ohne Gejammer zu ertragen, um auch im Hinblick auf ihre späteren Pflichten in der Gesellschaft ein angenehmes Gegenüber zu werden, das sich und seine Affekte in der Hand hat. Das verzärtelte Kind, wie man es in vielen Bürgersfamilien fand, entsprach absolut nicht dem Erziehungsideal der Aristokratie – die eher eine spartanische körperliche Erziehung präferierte.14

      Mädchen wurden dazu angehalten, Tagebuch zu führen. Hiermit bezweckte man weniger, dass sie die schönsten und außergewöhnlichsten Erlebnisse als Erinnerung festhielten, sondern dass sie Selbstzeugnis ablegten. Mädchen sollten ihr Handeln auf seine Motive hin prüfen und sich – darüber schreibend – fragen, ob sie den hohen sittlichen Erwartungen ihrer Eltern auch gewissenhaft entsprochen hatten. Solches In-sich-Gehen, Sich-Prüfen galt als Voraussetzung für tadelloses Verhalten. In jungen Jahren musste man oftmals die Tagebücher der Mutter vorlegen, die so kontrollieren konnte, wie ernsthaft man das eigene Verhalten überdachte.

      Kinder wurden zudem von klein auf zu sozialer Fürsorge angehalten. Dem christlichen Erziehungsideal gemäß, animierte man sie zu karitativem Verhalten, dazu, sich um Schwächere zu kümmern und wohltätig zu sein. Erhielten sie Geldgeschenke von Verwandten, mussten sie den Betrag fein säuberlich in einem Büchlein notieren und einen Teil davon für Almosen verwenden. Die Eltern kontrollierten streng, ob und wie viel ihre Kinder spendeten. Selbst kleine, von den Kindern gesuchte Aufgaben oder Freizeitbeschäftigungen sollten der Wohltätigkeit dienen.

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      Die Kinder der Aristokratie wurden zu körperlicher Betätigung angehalten, das verzärtelte Kind des Bürgertums, das in der Literatur häufig zu finden ist, entsprach nicht dem Ideal des Adels, 1908.

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      Ein Mädchen der Aristokratie: Thérése Colloredo, 1881.

      Prinz Gottfried Hohenlohe-Schillingsfürst durfte zum Beispiel als kleiner Bub eigene Hühner in seinem kleinen Privatgärtchen, am Rand des Parks des Wiener Augartenpalais, in dem seine Eltern residierten, halten. Die Hühner waren sein größtes Hobby und eine willkommene Abwechslung zu den vielen Lernstunden. Über die Anzahl der Eier, die seine Hennen legten, und deren Verbleib führte der kleine Prinz genauestens Buch: Ein Drittel der wöchentlich erwirtschafteten Eier musste er in der Küche abgeben, ein weiteres Drittel gab er den Armen der Umgebung, und nur das letzte Drittel durfte er selbst verkaufen und den Verkaufserlös in Naschwerk oder Abziehbildchen investieren. Ein lustiger Nebeneffekt dieses Eierhandels zeigt zugleich, wie ernst Eltern die Almosenpflicht ihrer Kinder nahmen: Prinz Gottfrieds Vater, Erster Obersthofmeister am Hofe Kaiser Franz Josephs, fand unter seiner wöchentlichen Korrespondenz nicht nur die Berichte seiner Hofchargen sowie österreichischer Botschafter im Ausland, sondern auch die kleinen Briefchen seines Sohnes mit der Aufstellung der aktuellen Eierproduktion samt sorgsam vorgerechneter Abzüge für die Armen. Der viel beschäftigte Obersthofmeister ließ es sich nicht nehmen, die Briefchen stets genau zu kontrollieren und vergaß auch nie, seinen kleinen Sohn für die ordentliche Abrechung und ehrliche Aufteilung zu loben.15

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      Zwei kleine Prinzessinnen Kinsky beim Herumtollen, 1906.

      Süßigkeiten bekamen die Kinder der Aristokratie auschließlich an hohen Festtagen – nicht etwa aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil man sie nicht verwöhnen wollte. Alljährlicher Höhepunkt war Weihnachten mit dem Christbaum. Dieser war über und über mit Naschwerk geschmückt und wurde völlig zur Plünderung durch die Kinder freigegeben. Prinz Konrad Hohenlohe, der älteste Sohn der reichen Prinzessin Sayn-Wittgenstein und des kaiserlichen Obersthofmeisters, schrieb jede Weihnachten mit Ausrufungszeichen in sein Tagebüchlein, dass der Baum mit allerhand Süßem geschmückt sei und die Kinder, ohne zu fragen, für ein paar Tage zugreifen durften – ein Höhepunkt auch im Jahr des kleinen, reichen Prinzen.16

      Eine Pause vom strengen Leben brachten die Sommeraufenthalte in den Stammschlössern. Diese wurden von den Kindern das ganze Jahr über herbeigesehnt. Hier gestand man ihnen eine Freiheit zu, die es in der Stadt nicht gab. Sie durften, bis auf wenige Lernstunden, den ganzen Tag im Freien herumtoben, Obstbäume plündern, Fische fangen – vor allem aber mit den Kindern der Bediensteten und der benachbarten Bauern spielen. So strikt der Umgang der Kinder sonst gehandhabt wurde, auf den eigenen Familienschlössern gab es – anders als in der Stadt – für die Kinder keine gesellschaftlichen Schranken. Die Kinderbanden, die in den Sommermonaten den Schlosspark und die Umgebung unsicher machten, bestanden aus den Kindern der Herrschaften, der Bediensteten und der ansässigen Bauern. Trotz aller sozialen Unterschiede ergaben sich aus diesen Kinderfreundschaften oftmals Freundschaften für das ganze Leben.

      Bei aller Strenge erkannte und berücksichtigte man doch die Bedürfnisse der Kinder. Gerade während der warmen Monate auf dem Land achtete man darauf, dass sie genug Bewegung hatten. Sie durften herumtollen, auf Bäume klettern, fischen, schwimmen, Ponyreiten und stundenlang spielen. Interessanterweise machte man hier zwischen Mädchen und Buben keinen Unterschied, sie durften herumtollen und Kind sein – in der Stadt dagegen wurden Geschwister schon bei ihren Freizeitbeschäftigungen nach Geschlechtern getrennt.

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      Eine luxuriöse Kindheit: ein Minikutsche für die Kleinsten, um 1870.

      Kamen die Mädchen in die Pubertät, wurden so genannte »Adoleszentenbälle«, auch »Tanzerl«17 genannt, arrangiert – die Fortsetzung der Kinderbälle. Nun wurden die Backfische professionell im Tanz unterwiesen, meist von den Hofballettmeistern der Oper. Die Tanzstunden für die Mädchen fanden nun nicht mehr im engsten familiären Umfeld statt, sondern gemeinsam mit jungen Männern der weiteren Bekanntschaften. Die Mädchen konnten hier erstmals junge Männer außerhalb des familiären Umfelds kennenlernen, oder zumindest traf man einander erstmals nicht unmittelbar unter den Augen der Mütter und Gouvernanten.

      Nach Abschluss der Tanzstunden veranstalteten jene Familien, die über ein Palais mit eigenem Ballsaal (oder zumindest großem Salon) verfügten, Adoleszentenbälle für die Jugend. Zu diesem Anlass gab es meist ein großes Buffet und Limonade. Anders als bei den Kinderbällen sorgte nun kein einzelner Klavierspieler mehr für die musikalische Begleitung, sondern ein kleines, mehrköpfiges Orchester spielte auf. Die Mädchen erhielten ihre ersten Ballkleider, freilich viel bescheidener als jene der Erwachsenen, und die Burschen erschienen im so genannten »Eaton suit«, einer Art Smoking-Festgewand der englischen Schule, und Glacéhandschuhen.18 Bei den Adoleszentenbällen wurde, als Höhepunkt des Abends, wie bei den Bällen der Erwachsenen, der Kotillon getanzt. Hierbei überreichten traditionellerweise die Burschen Blumen an die Mädchen, welche sich ihrerseits mit Ansteckmascherln in ihren Wappenfarben revanchierten.

      Die prächtigsten Tanzerln veranstaltete um die Jahrhundertwende Erzherzog Friedrich, der reichste Habsburger, in seinem Wiener Palais Albertina. Bei acht heranwachsenden Töchtern fanden die beliebten Jugendbälle über Jahre hindurch statt. Jeder fieberte einer Einladung entgegen, denn beim Erzherzog gab es sogar ein »sitzendes Diner« (etwas, das sonst nur den Erwachsenen vorbehalten


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