Adel verpflichtet. Martina Winkelhofer

Adel verpflichtet - Martina Winkelhofer


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Zeitspanne, die für das weitere Leben einer jungen Aristokratin am wichtigsten war, begann mit dem Abschluss ihrer Erziehung und endete mit ihrer Heirat. Sie war äußerst kurz – in der Regel niemals mehr als zwei Jahre, oftmals sogar nur ein Jahr. Während dieser Zeitspanne durften sich die jungen Frauen den gesellschaftlichen Vergnügungen hingeben, freilich, mit dem wichtigen Ziel vor Augen, einen geeigneten Heiratskandidaten zu finden.

      Die »Komtessen«, so die Bezeichnung dieser jungen, unverheirateten Aristokratinnen, durften nun die kurze Zeit ihrer unverheirateten Jugend ausgiebig genießen und am gesellschaftlichen Leben der Erwachsenen teilnehmen, sie durften nun »in die Welt gehen«, wie man sagte. Diese Welt war freilich sehr klein. Sie umfasste die gesellschaftlichen Veranstaltungen und Bälle während der Faschingszeit, den Besuch einiger Soireen in der Fastenzeit und endete traditionell mit der Derbywoche Anfang Mai in Wien.

      Für den Eintritt in die Gesellschaft gab es einen strikten »Rite de Passage«: Die Komtessen besuchten zuerst einen oder zwei große Privatbälle der Aristokratie, dann die beiden Hofbälle, einige Konzerte und die großen Wohltätigkeitsveranstaltungen und Soireen in den Wiener Palais. Sie gewöhnten sich nun langsam an ihre neue Situation. Sie lernten damit umzugehen, dass sie hinsichtlich ihres Auftretens genau beobachtet und taxiert wurden, und sie lernten, sich in Gesellschaft ungezwungen und natürlich zu geben. Feierlichkeiten an öffentlichen Orten waren für Komtessen tabu, gerade die Oper durften sie gemeinsam mit den Eltern besuchen, ebenso das Burgtheater – freilich nur, wenn Stücke gegeben wurden, die als passend für Unverheiratete empfunden wurden.

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      Komtess Clotylda Mensdorff mit einer Freundin, um 1885.

      Die jungen Frauen wurden von ihren Müttern perfekt auf ihr Erscheinen in der Gesellschaft vorbereitet. Sie hatten gelernt, anregend zu »parlieren«, sie wurden nach der neuesten Mode ausgestattet, kurz, es wurde alles getan, um die Vorzüge der Töchter herauszustreichen. Nun durften sie für kurze Zeit ungezwungen genießen, was die aristokratische Gesellschaft zu bieten hatte: prachtvolle Feste, glänzende Bälle und das Bewusstsein, zur Crème de la Crème der Monarchie zu gehören. All das Engagement und die Erlaubnis, sich zu amüsieren, hatte nur den einen Grund: mit Ende der Saison eine möglichst glänzende Verlobung zu erreichen.

      Der jährliche Eintritt der neuesten Gruppe »frischer« Komtessen in die Gesellschaft wurde stets genau beobachtet und kommentiert.22 Denn mit dem jährlichen Schwall an heiratsfähigen, jungen Damen von Stand wurden auch die – spärlichen – Karten in Sachen aristokratischer Heiratspolitik neu gemischt. Und die Gesellschaft, vor allem die Mütter, beobachtete genau, welche Familien jetzt gute Partien zu bieten hatten beziehungsweise welche und wie viel Konkurrenz nun den eigenen Töchtern drohte. Für die jungen Frauen brachte der Eintritt in die gesellschaftliche Welt eine kurze Zeit der Freiheit und der reinen Lebensfreude. Sie durften feiern, einen Ball nach dem anderen besuchen, sich bewundern lassen. Die meisten genossen diese Zeit in vollen Zügen.

      Der erste Ball, der besucht werden durfte, symbolisierte zugleich den feierlichen Eintritt in die Gesellschaft. Die Aufregung vorher war natürlich riesengroß. Welches Kleid sollte man tragen, wie sich präsentieren? Welche Herren würden sich um einen Tanz anstellen? Früher, als die Komtessen noch Mädchen waren, hatte niemand auf kostbare Kleidung und exquisite Ausstattung Wert gelegt; was sie trugen, musste praktisch, einfach und alltagstauglich sein. Nun aber, mit Beginn ihres Eintritts in die Gesellschaft, wurden sie mit kostbaren Ballkleidern, Abendkleidern und eleganter Tagesgarderobe ausgestattet. Als oberste Prämisse galt wieder: möglichst dezente Eleganz. Die Kleider, Maßanfertigungen der bekannten Wiener Salons, waren zwar enorm teuer, durften aber auf gar keinen Fall protzig oder auffällig wirken. Sie sollten zudem Mädchenhaftigkeit und Unschuld der Komtessen betonen. Die Kleidung durfte somit die körperlichen Vorzüge weder zu deutlich akzentuieren, noch durfte sie grell und auffallend sein – was schnell als ordinär galt. Auch den oft prächtigen Familienschmuck durften die Komtessen noch nicht tragen: Diamanten galten für Unverheiratete als unschicklich. Einziges Zugeständnis in Sachen Schmuck waren zarte Goldkettchen.

      Nunmehr schön ausgestattet, begleitete die junge Frau ihre Familie zum ersten Mal auf einen Ball. Im Schlepptau der stolzen Mutter wurde sie zuerst den anwesenden verheirateten Damen vorgestellt, vor denen artig geknickst werden musste. Dann kam der Vortänzer – ein Aristokrat, der ein guter Tänzer sein musste. Er leitete für diesen Abend das Tanzzeremoniell und stellte der neuen Komtess einige der jungen Herren vor; hier wurde die junge Frau nun zum ersten Mal nach ihrem Aussehen taxiert. Gefiel es, hatte sie sogleich Bewerber für die nächsten Tänze. Freilich gab es bei den Komtessen auch immer die Angst, keinen Tänzer zu finden, und diese Angst war in manchen Fällen gar nicht unbegründet.23

      Für unattraktive Mädchen konnten schon die ersten Bälle mitunter bitter sein. Denn wenn ein Mädchen kaum zum Tanz aufgefordert wurde, konnte jeder sehen, dass ihre Chancen, einen ernsthaften Bewerber für ihre Hand zu finden, auf wackligen Beinen standen. Auch für Mütter war es oft schmerzhaft zu beobachten, wie ihre Töchter links liegengelassen wurden. Eine rührende Geschichte erzählte in diesem Zusammenhang Fürstin Fugger: Bei den Bällen in ihrer Jugend ergossen sich während des Kotillons, dem Höhepunkt des Balls, über die begehrtesten Komtessen wahre Blumenregen seitens der jungen Herren. Anschließend wurden die reichen Blumengaben in Körben aus dem Saal getragen. Am Ende des Balles gab man die Blumen ihren rechtmäßigen Besitzerinnen wieder, die die Körbe stolz mit nach Hause nahmen – denn volle Körbe signalisierten der Umgebung, dass man sehr begehrt war. Eines Tages aber häuften sich die Beschwerden, dass die Körbe mit weniger Inhalt hereingebracht wurden. Einige Ballbesucher hatten das Aufsichtspersonal in Verdacht, Blumen zu entwenden, und beschlossen der Sache nachzugehen. Man versteckte sich hinter den Vorhängen der Garderobe, um zu beobachten, wer denn stets Blumen stahl. Die Überraschung war ebenso groß wie berührend: Es war kein Diener, der die Blumen entwendete, sondern die Mutter einer wenig begehrten Komtess, die die leeren Körbe ihrer Tochter mit Blumen aus übervollen Körben etwas ausfüllte.24

      Für die Komtessen war es von großer Bedeutung, sich einen Tänzer für den Kotillon zu sichern. Nichts war peinlicher für ein junges Mädchen, als wenn sie keinen Tanzpartner für den wichtigsten Tanz des ganzen Balls hatte. Dementsprechend mussten sich die Mütter bemühen, rechtzeitig mit ihren Töchtern beim Ball zu erscheinen – denn die Tanzpaare waren gleich zu Beginn des Abends ausgemacht. Wer zu spät kam, fand keinen Tänzer. Denn auch die jungen Herren wollten sich schnell die hübschesten Tänzerinnen sichern, und nicht mit einem Mauerblümchen fürliebnehmen. Einer Mutter, die mit ihrer heiratsfähigen Tochter zu spät zu einem Ball in der französischen Botschaft erschien, schleuderte ein besorgter Bekannter entgegen: »Wieder so spät! Ja wollen Sie denn, dass sie mit dem Nuntius den Kotillon tanzt? Alle Herren sind ja schon engagiert!«25

      Hochoffiziell wurde der Eintritt in die Welt der Erwachsenen aber erst mit dem ersten Hofball, den die Komtessen besuchten. Denn die blutjungen Komtessen wurden auf diesem Ball der Kaiserin vorgestellt – jetzt erst galten sie auch offiziell, und von Seiten des Hofes, als erwachsen. Die Obersthofmeisterin übernahm es, der Monarchin, die jungen und meist äußerst aufgeregten Frauen mit deren vollem Namen vorzustellen. Die Kaiserin sprach einige wenige Worte mit den neuen Komtessen und nach einem kurzen Kopfnicken waren sie entlassen.

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      Komtess »Maitz« Kinsky, eine der berühmt hübschen Kinsky-Komtessen. Die Frauen der Familie Kinsky galten als die hübschesten des Adels, um 1888.

      Hatten sie die ersten Bälle sowie den ersten Hofball gut absolviert, tauten die jungen Frauen in der Regel auf und stürzten sich ins Vergnügen. Endlich durften sie an den gesellschaftlichen Vergnügungen teilhaben. Die strenge und oft karge Kinderstube lag hinter ihnen. Eine große Freiheit vor ihnen. Nicht wenige dachten, dass bald nach der Komtessenzeit und der ersehnten Verlobung ein neues, unabhängiges und weniger striktes Leben als Ehefrau begann – womit sich freilich die meisten täuschen sollten. Doch einstweilen bestand ihr Leben aus Tanz, Vergnügen und wildem Flirten. Die jungen Frauen mussten sich in dem Taumel aus Tanzwut, Lebenslust und notwendiger Sicherung


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