Adel verpflichtet. Martina Winkelhofer

Adel verpflichtet - Martina Winkelhofer


Скачать книгу
solche Heirat für die jungen Frauen selbst überhaupt vorstellbar war – sie hatten schließlich niemals die Möglichkeit, Männer kennenzulernen, die nicht aus ihren Kreisen kamen.

      Ganz anders verhielt es sich bei den Männern. Diese hatten nicht nur die Gelegenheit, Frauen außerhalb ihres Standes kennen zu lernen, sondern auch wesentlich mehr Chancen, eine unstandesgemäße Liebesheirat durchzusetzen. Heirateten sie allerdings schon außerhalb ihres Standes, so entschieden sich die Männer oft nicht für Bürgers- oder Industriellentöchter, sondern gleich für Künstlerinnen. Die Zahl derer, die sich über alle Konventionen hinwegsetzten und Schauspielerinnen oder Sängerinnen heirateten, war gar nicht so gering. So heiratete die Burgschauspielerin Buska den Grafen Josef Török, die Schauspielerin Janisch den Diplomaten Graf Ludwig Arco33, die Starschauspielerin Charlotte Wolter den Grafen O’Sullivan de Grasse und die berühmte Sängerin Marie Taglioni einen Grafen Windisch-Graetz.34 Als die Gesellschaft wieder einmal von unfürstlichen Heiratsplänen überrascht wurde, ätzte Graf Eugen Czernin: »Drei Prinzen Thurn u. Taxis heiraten Theaterdamen, wie jetzt Mode unter den Fürsten!«35 Keine drei Monate später aber findet sich bei Czernin eine Tagebucheintragung, die andeutet, wie aristokratische Familien solche Heiratspläne zu beenden wussten. Czernin schreibt, dass es nun doch keine Heiraten gäbe, »aber hohe Zahlungen an die Bräute!«36 Für die ungewöhnlichste Verbindung sorgte aber definitiv Graf Vaclav Kaunitz, der in zweiter Ehe mit einer Köchin verheiratet war. Schon die erste Ehe des Grafen Kaunitz mit der bürgerlichen Josefina Cermakova war äußerst ungewöhnlich. Erwähnenswert ist, dass Graf Kaunitz einen später berühmt gewordenen Konkurrenten um die Hand der hübschen Josefina gebeten hatte. Nämlich den Komponisten Antonín Dvořák, der sich, nachdem ihm der Graf seine Angebetete ausgespannt hatte mit deren jüngerer Schwester vermählte.

image

      Ein frisch getrautes ungarisches aristokratisches Ehepaar beim Verlassen der Kirche, um 1910.

      Anlässlich des Todes von Graf Kaunitz vermerkte der Schwager von Thronfolger Franz Ferdinand in seinem Tagebuch: »Damit stirbt dann dieses nicht so illustre Geschlecht sehr un-illuster!«37

      Der einwandfreie Stammbaum eines Mannes war für die Wahl einer Komtess also die Pflicht. Die Kür war die Stellung des Mannes innerhalb seiner Familie. Denn nur die Erstgeborenen, die so genannten »Majoratsherren« (die Erben der »Majorate«, wie das gebundene Vermögen des Adels hieß, vergleichbar heutigen Stiftungen) ließen die Herzen der Mütter höher schlagen. Beim Adel galt ausschließlich das Erstgeburtsrecht. Der älteste Sohn erhielt den Titel, die Schlösser und Palais sowie das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen. Die jüngeren Brüder des Erben erhielten außer dem Glanz eines alten Namens wenig – eine Apanage und das Absteigerecht im Familienschloss, bestenfalls eine fixe Wohnung in einem der Schlösser. Auch mussten sie im Gegensatz zum Erben eine Betätigung finden, wofür in der Regel nur der Militärdienst und der Hofdienst infrage kamen – beides mäßig bezahlt, aber zumindest ehrenvoll.

      Die künftige Frau eines Majoratsherrn oder Majoratserben war nicht nur finanziell glänzend abgesichert. Als Ehefrau des Familienchefs hatte sie auch die erste Stellung innerhalb ihrer neuen Familie. Natürlich versuchten sämtliche Mütter, ihre Töchter mit Majoratsherren zu verheiraten – die naturgemäß Mangelware waren. Aus den Erinnerungen einer Aristokratin an ihre Komtessenzeit: »Erschien ein solcher durch das Erstgeburtsrecht begünstigter Sprosse eines hochadeligen Geschlechts, ein »épouseur«, in der Welt, reckten alle Mütter die Hälse und eiferten ihre Töchter zu freundlichem Entgegenkommen an. Manche Mütter hatten eigene Notizbücher, in denen Namen und Einkünfte solcher »épouseurs« verzeichnet waren.«38 Von einer besonders engagierten Mutter wurde berichtet, dass sie zu Festivitäten in ihrem Palais ausschließlich künftige Majoratsherren einlud, um die Chancen ihrer Tochter zu erhöhen.39 Ließ eine Komtess einen künftigen Majoratsherren abblitzen, war ihre Familie entsetzt und die Gesellschaft sehr verwundert: »Der Gardist Thurn scheint ein Körbchen von der hübschen Tochter von Geza Andrassy bekommen zu haben, obwohl der ein wirklicher Epouseur ist!«40

      Doch selbst, wenn die Komtessen den Erwartungen ihrer Familien nachkamen und Ausschau hielten nach einem standesgemäßen Partner, der im besten Fall auch noch Erbe war, war noch nicht gesagt, dass es nun einfach werden würde. Denn der Heiratsmarkt war stets eng, deshalb mussten die Komtessen auch einiges an Kapital einsetzen. Neben einem eigenen tadellosen Stammbaum (der eigentlich schon vorausgesetzt wurde) bestimmten Vermögen und Schönheit den Wert der Heiratskandidatin. Auf das Vermögen achteten vor allem die Familien der potentiellen Brautwerber, und diese konnten unbarmherzig sein, wenn man nur eine bescheidene Mitgift zu bieten hatte. Bevorzugt wurden naturgemäß kapitalkräftige Komtessen, die zum Vermögen der Familie des Bräutigams einen bedeutenden Beitrag beisteuern konnten; und das konnten nun nicht gar so viele. Die Töchter von nachgeborenen Söhnen etwa hatten oft nicht das gleiche Heiratskapital wie die Töchter von Majoratserben. So mancher junge Erbe wurde beim Flirten von seinen Eltern energisch zurückgehalten, wenn die Angebetete keine Aussicht auf ein bedeutendes Vermögen hatte. Auch alte, hoch angesehene Familien taten sich mitunter schwer, den finanziellen Erwartungen der Familien der Heiratskandidaten standzuhalten. So manche Mutter fürchtete um die Zukunft ihrer Tochter, wenn die Familie wenig Vermögen besaß. Valerie Windisch-Graetz: »Es ist ja leider bei Töchtern eine glückliche Zukunft so viel leichter greifbar wenn sie Vermögen haben … ein Mädchen, … wenn es nicht reich ist, braucht eine Extra-Chance, damit es gelingt sie gut zu verheiraten.«41

      Das zweite, äußerst wichtige Kapital, das eine Heiratskandidatin mitbringen musste, war das Aussehen. Und hier war der Heiratsmarkt wirklich grausam. Wer nicht mithalten konnte, hatte es sehr schwer – oder blieb übrig. Es war enorm wichtig, dass ein Mädchen »en beauté« war, um einen Heiratkandidaten zu bekommen. Erwartet wurde, dass eine Komtess mittelgroß war, eher noch zu klein als zu groß. Sie sollte gerade gewachsen sein, eine äußerst schmale Taille, jedoch auch weibliche Rundungen haben, ohne übergewichtig zu sein – mager durfte sie gerade noch sein, aber nur, wenn sie dafür sehr hübsch war.42 Ein Mädchen sollte schneeweiße Haut, einen ebenmäßigen Teint, hübsche Gesichtszüge und zarte Hände haben. Wenn möglich, sollte ihr Haar dunkel sein, denn dunkles Haar war im 19. Jahrhundert, was heute blondes ist: bei Frauen und Männern am begehrtesten.

image

      Mädchenfreundschaften hielten oft ein ganzes Leben lang, der gemeinsame soziale Hintergrund und die gleiche Lebensweise verbanden, um 1910.

      Die Mütter achteten darauf, dass ihre Töchter von klein auf alles taten, um ihre Schönheit zu behalten (oder sie durch Achtsamkeit und Pflege zu erwerben): Mädchen sollten stets Sonnenschirm und Handschuhe tragen, um den weißen Teint zu schützen – Bräune oder abgeriebene Hände schreckten Verehrer ab. Selbst beim Schlafen mussten manche Mädchen Mieder tragen, um die Taille schlank zu halten. Auf die Finger kamen enge Fingerhüte, damit die Fingerspitzen verschmälert wurden.43 »Il faut souffrir pour etre belle«: Für die Schönheit muss man leiden, galt als Durchhalteparole. Denn die Schönheit eines Mädchens war Vorraussetzung für eine blendende Partie. Schönheitsmittel und Tricks gab es viele – ob sie wirkungsvoll waren, ist fraglich. Die erhaltenen Überlieferungen zeigen aber, dass der Schönheit eine enorme Bedeutung beigemessen wurde.44

image

      Komtess Clotylda Mensdorff, die dem klassischen Schönheitsideal entsprach: schlanke Taille, dunkles Haar, feine Gesichtszüge, um 1885.

      Für junge Männer zählte die Schönheit einer Frau mehr als Reichtum und Stellung. (Bei deren Eltern war es freilich umgekehrt, diese legten auf eine reiche Heirat mehr Wert.) Ludwig Windisch-Graetz lehnte etwa die (von seiner Mutter gewünschte) Ehe-Anbahnung mit einer Erzherzogin glatt ab: Er fand sie nicht reizend genug. Selbst jungen Frauen aus feinsten Familien, die auch noch über ein großes Vermögen verfügten, konnte ein Mangel an Schönheit zum Hemmschuh werden. Graf Eugen Czernin vertraut etwa seinem Tagebuch an, wie sehr er die beiden Töchter


Скачать книгу