Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher
Augen. Schlief endlich ein.
Lange lag Emma wach. Horchte auf die Atemzüge der Schlummernden; grübelte über die seltsamen Wege des Lebens.
Ein Matrosenliebchen stieg aus den Gassen Londons empor, damit eine Königin ruhig schlafen konnte ...
Sie erwachte von einem leichten Schmerz, der ihr die Brust durchzuckte. Die Augen öffnend sah sie Maria Carolina, wie sie am Bette stehend sich über die Wunde beugte. Errötend wollte Emma sich bedecken, aber Maria Carolina wehrte es ihr.
„Ich erinnere mich!“ sagte sie langsam, mit starrer Miene. „Du rangest mit mir um das Messer. Da vergoß ich dein Blut. Laß es mich sehen, damit ich daran denke, wenn ich undankbar gegen dich werden will. Könige vergessen schnell. Es ist gut, wenn sie etwas haben, das ihnen das Gedächtnis schärft. Denn ich will vor dir nicht mehr Königin, sondern nur Mensch sein. Beim Haupte der Gemordeten! Wie ich dies Mal an deinem Leibe küsse, so will ich dir dienen, wie und wann du es forderst.“ Sie beugte sich tief, drückte seltsam kalte Lippen auf die Wunde. „Du aber — dieses Blut hat dich zu meinem Soldaten gemacht. Und die Mörder sollen erfahren, daß auch Frauen das Schwert zu führen verstehen, wenn die Könige versagen. Steh auf, Soldat, die Gerechtigkeit wartet!“
Hatte sich ihr Geist unter den Schrecknissen dieser Nacht verwirrt?
Sie stand in der Mitte des Zimmers, die Hand erhebend, wie zu einem feierlichen Schwur. In ihrem bleichen Gesicht flackerten unheimliche Augen; ein schreckliches Lächeln entblößte ihre scharfen, spitzen Zähne ...
***
An demselben Tage ließ sie durch Acton einen besonderen Staatsgerichtshof berufen, dem Fürst Castelcicala, Marchese Vanni, der Prokurator Guidobaldi angehörten. Ein Heer von Spähern, Angebern, Sbirren verfolgte alle, die sich ,Patrioten‘ nannten und in geheimen Gesellschaften zusammenkamen, um die in Paris verkündeten Menschenrechte auch in Neapel einzuführen.
Als Emma zum ersten Male Vannis fanatisches Gesicht sah, überlief sie ein Schauder. Würde das Schwert der Königin in der Hand dieses Mannes ein Schwert der Gerechtigkeit sein?
Zehntes Kapitel
Ende Dezember traf ein Brief Nelsons ein. Sir William ließ ihn sich von Emma vorlesen.
Bei Toulon hatte sich das Kriegsglück gewendet. Entgegen aller Voraussicht hatte Napoléon Buonaparte, ein junger französischer Artillerieoffizier korsischer Herkunft, den stärksten Punkt der Festung, das Fort Lecaire, angegriffen, in kurzer Zeit achttausend Bomben hineingeworfen, die Besatzung zum Abzug gezwungen. Das Fort aber beherrschte den Hafen. Lord Hood hatte eben noch Zeit gehabt, mit der englischen Flotte das Meer zu gewinnen. Glücklicherweise war es ihm jedoch gelungen, vor seiner Abfahrt den größten Teil der gefangenen französischen Kriegsschiffe zu verbrennen.
Sir William lachte.
„Also hat Nelson mit seinem Programm recht behalten. Nehmen und vernichten, gleichviel, ob Freund, ob Feind! Du staunst? Gewiß, auch den Freund! Kann er nicht morgen unser Gegner sein?“
Angewidert sah sie ihn an.
„Und das Recht? Die Gerechtigkeit?“
Er heuchelte Erstaunen.
„Recht? Gerechtigkeit? Ach, du meinst mein Programm! Das Programm des diplomatischen Vorwandes gegenüber der öffentlichen Meinung! Glaubst du, der läßt sich hier nicht finden? Hood hatte die Schiffe für die zukünftige Majestät Ludwigs XVII. beschlagnahmt. Damals hatte er kein Recht, sie zu verbrennen. Nun aber kommt dieser Buonaparte. Er zwingt Hood, Hals über Kopf davonzugehen. Darf Hood Ludwigs Schiffe dem Jakobiner, dem Feinde des Königtums in die Hände fallen lassen? Nein, in Ludwigs eigenstem Interesse muß er sie verbrennen! Ein hübsches Paradoxon, was? Ich gebe deiner Sentimentalität zu, daß dieser Brand ein wenig nach Teufelei riecht. Aber so ist das Leben. Auch englische Politik läßt sich nicht immer englisch1 machen!“ Sein Wortspiel belächelnd rieb er sich die Hände, nickte Emma zu. „Fahre fort, kleine Unschuld! Was schreibt Freund Nelson von Hoods Plänen?“
Emma las weiter.
Unzufrieden mit der Pariser Schreckensherrschaft hatte ein großer Teil Korsikas sich unter Pasquale Paolis Führung erhoben und machte von den Bergen aus den französischen Besatzungen von Bastia, San Fiorenzo, Calvi den Krieg. Lord Hood hatte Sir Gilbert Elliot als Unterhändler zu Paoli geschickt und ihm seine Hilfe angeboten. Die Insel sollte von Frankreich losgerissen werden, eine Verfassung erhalten, mit Paoli als Vizekönig unter Englands Protektorat treten.
Seitdem kreuzte Nelson mit dem ,Agamemnon‘ an der Küste, schnitt die Zufuhr aus Frankreich ab, machte Angriffe auf die Außenwerke von San Fiorenzo, um den Fall der Festung vorzubereiten, sobald Lord Hood mit der Flotte und Landungstruppen herangekommen sein würde.
Alles ging Nelson zu langsam. Er brannte vor Ungeduld, ernsthaft an den Feind heranzukommen, Ehre und Auszeichnung zu gewinnen. Sonst fühlte er sich wohl. Von seiner Frau hatte er Briefe gehabt. Sie ließ sich bei Lady Hamilton noch besonders für Josiahs freundliche Aufnahme bedanken.
Josiah hatte bei einem Gefecht mit französischen Booten die Feuertaufe empfangen, sich tapfer gehalten, sogar einen Offizier zum Gefangenen gemacht. Den Degen seines Gegners bewahrte er auf, um ihn Lady Hamilton zu Füßen zu legen, sobald ihn das Glück wieder nach Neapel führte. Noch immer schwärmte er von den schönen Tagen im Palazzo Sessa.
Tom Kidd war von ihm unzertrennlich, wurde aber täglich wortkarger und verschlossener. Hielt es nicht auch Lady Hamilton für besser, ihn von Josiah zu entfernen? Würde seine düstere Schwermut der Entwicklung des Knaben nicht schaden?
Mit der Bitte um Empfehlung an Maria Carolina schloß Nelson.
Sir William hatte eine Karte des Mittelmeers herbeigeholt, die er eifrig studierte.
„Die Lage der Insel ist gut!“ sagte er. „Aber diese Korsen sind ein wildes Geschlecht, an Mord und Totschlag gewöhnt. Es wird nicht leicht sein, Korsika gegen sie zu behaupten.“
„Gegen sie? Nelson schrieb doch, daß sie unter Paoli selbständig sein sollen.“
Er lächelte.
„Das hat Elliot ihnen versprochen. Aber was Pitt halten wird ... Wollen wir wetten, daß Elliot Vizekönig wird, während Paoli irgendwo als Pensionär König Georges verschwindet? Es wäre ja auch eine unverzeihliche Dummheit von Pitt, wenn er eine so gute Gelegenheit ungenützt ließe, uns im Mittelmeer eine zweite Flottenstation zu schaffen. Die brauchen wir. Wenn unsere Schiffe jedesmal nach Gibraltar zurückmüssen, sobald ihnen der Proviant und das Wasser ausgeht, sind sie nur halb kriegsfähig. Dagegen, wenn wir eine zusammenhängende Reihe von Flottenstationen haben, Europa gewissermaßen an eine feste Kette von Gibraltar bis Alexandria legen, durch die wir es von Afrika, der Levante, Indien absperren ... Pitt ist der Mann, das durchzuführen. Gibraltar haben wir, Korsika bekommen wir. Dann kommt Sizilien an die Reihe ... Du staunst wieder? Glaubst du, unsere Cityherren stürzen sich wegen König Ferdinands bourbonischer Nase oder Maria Carolinas habsburgischer Unterlippe in Unkosten? Sie wollen für ihre Kapitalien doch angemessene Zinsen. Sonst lohnt das Geschäft nicht.“
Blaß vor Erregung stand Emma auf.
„Nie und nimmer wird Maria Carolina Sizilien hergeben!“
Spöttisch bewegte er die Hand.
„Kann sie’s behalten, wenn wir’s nehmen?“
„Sie baut Schiffe ... “
„Was nützen sie ihr ohne Matrosen, Kapitäne, Admirale? Die Neapolitaner sind faul, leiden an Wasserscheu.“
„Die jüngeren Offiziere nicht. Selbst Nelson gab ihre gute Haltung vor Toulon zu. Vor Caracciolo hatte er sogar etwas wie Respekt!“
Sir William zuckte die Achseln.
„Der eine weiße Rabe! Ja, wenn er Österreicher wäre! Maria Carolina hätte