Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher

Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher


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Frucht zu schälen. Schob Emma die süßen Stücke lachend zwischen die Lippen.

      Emma ließ es geschehen. Lächelte zu den Scherzen, erwiderte dir kleinen Zärtlichkeiten. Aber etwas wie Bitterkeit stieg in ihr auf. Für die Ausführung ihrer Aufgabe sah sie keinen Weg. Immer wieder entschlüpfte ihr die Königin. In der Politik von fast eigensinniger Beharrlichkeit, war sie im persönlichen Verkehr nervös, sprunghaft, fiel von einem Extrem ins andere. Als ruhe sie bei dem tändelnden Spiel aus, und als schöpfe aus ihm ihr Wille neue Kraft.

      Wie Marie Antoinette war sie, unbesonnen, zu Überschwenglichkeiten geneigt. Überlegte nie, ob sie zu Mißdeutungen Anlaß gab. Wurde durch trübe Erfahrungen nicht vorsichtiger. Selbst die Schmähschrift schien sie schon wieder vergessen zu haben, die der Conte Gorani, ein französierter Mailänder, erst vor zwei Monaten in Paris gegen sie veröffentlicht hatte. Obwohl sie das Schimpflichste enthielt, was man einer Fürstin, Frau, Mutter nachsagen konnte.

      Weil ihr von ihren achtzehn Kindern elf gestorben waren, hieß es, sie habe den Plan gefaßt, ihre Söhne durch schlechte Behandlung absichtlich zu töten, um den Besitz von Neapel Österreich in die Hände zu spielen. Während sie doch die zärtlichste Mutter war, und beim Fehlen eines Thronerben die übrigen Zweige des Hauses Bourbon zur Regierung gekommen wären, niemals aber Habsburg-Lothringen. Auch ihre Freundschaft zu Emma hatte man mit Schmutz beworfen, schmähliche Neigungen angedeutet, Stunden harmloser Zwiesprache milesische Nächte genannt. Als wäre es unnatürlich, daß eine einsame, von Sorgen bedrückte Fürstin Trost und Aussprache bei einer gleichgestimmten Freundin suchte!

      Aber das Volk glaubte den Verleumdungen. Wie auch das Volk von Paris den Gerüchten über Marie Antoinette und Luise Lamballe geglaubt hatte. Wenn diese Lazzaroni zur Macht kamen, die im Quälen unschuldiger Tiere ihren größten Genuß fanden, würden sie Emma dasselbe tun, wie die Pariser der Lamballe. Würden johlend Emmas Haupt auf einer Pike durch die Straßen tragen ...

      Wortlos, mit einer Gebärde der Verachtung hatte Maria Carolina das Buch des Lügners beiseite geschoben. Eine Königin war sie, eine Tochter Maria Theresias. Erhaben über die Meinungen des Tages. Emma dagegen — inmitten dieses Tages lebte sie, mußte ihre Stellung unaufhörlich gegen offene und versteckte Angriffe verteidigen. Daran aber schien Maria Carolina nicht zu denken ...

      Es war schon später Abend, als der diensttuende Kammerherr den Kabinettskurier Ferreri meldete. Verwundert sah Maria Carolina auf.

      „Ferreri? Ist er nicht mit dem Könige nach Persano?“

      „Er kommt von dort und überbringt ein Handschreiben an Eure Majestät.“

      Maria Carolinas Staunen wuchs. Sie überlegte einen Augenblick, dann befahl sie, Ferreri einzulassen.

      Erhitzt von schnellem Ritte trat Ferreri ein. Schwankenden Schrittes ging er zu Maria Carolina, blieb in achtungsvoller Entfernung von ihr stehen, öffnete langsam seine Kuriertasche. Ein schneller, unruhiger Blick aus seinen Augen traf Emma.

      Ein Gedanke fuhr ihr durch den Kopf. Ferdinand wußte nicht, daß sie Maria Carolina vorbereiten sollte. Hatte er der Königin geschrieben, was er nicht gewagt hatte, ihr zu sagen?

      Angst überfiel sie. Hysterie hatte Domenico Cirillo, der Leibarzt, das sprunghafte Wesen der Königin genannt, eine Folge ihrer vielen Geburten und Kümmernisse. Unter ihren stetig wachsenden Sorgen scheine das Leiden fortzuschreiten, könne bei jähen Gemütserschütterungen leicht zu einer Katastrophe führen ...

      Als Maria Carolina nach dem Schreiben griff, fiel Emma vor ihr auf die Knie. „Öffnen Sie nicht, Majestät! Lesen Sie nicht, bevor ich ...“

      „Was ist Ihnen, Mylady?“ fragte die Königin betroffen. „Auch Ferreri sieht verstört aus ...“

      Sie löste das Siegel, öffnete das Papier.

      „Ich beschwöre Euer Majestät um einen Augenblick Gehör! Vorhin fragten Sie mich, warum ich zweimal ...

      Die Königin fuhr zusammen.

      „Marie Antoinette?“

      Den Brief ihren kurzsichtigen Augen nähernd las sie in fliegender Hast, halblaut die Worte herausstoßend. Plötzlich stutzte sie, wurde totenblaß. Ein furchtbares Zucken erschütterte ihren ganzen Körper.

      Wie von einem Peitschenhieb getroffen sprang sie auf, öffnete die Lippen, als wollte sie schreien. Wirr lief ihr Blick durch das Zimmer ...

      Auf Ferreri blieb er haften. Sie sah ihn an, als erkenne sie ihn nicht. Dann ... ihre Zähne knirschten aufeinander, ihre Gestalt straffte sich, ihr Gesicht wurde starr, undurchdringlich. Den Brief fallen lassend krampfte sie ihre Hände um die Kante des Tisches.

      Einen Augenblick stand sie unbeweglich. Dann zog der Schatten eines Lächelns um ihre Lippen.

      „Wollen Sie die Güte haben, Mylady, die Börse dort auf meinem Schreibtisch Ferreri zu geben?“ sagte sie mit einer Stimme, die tief aus ihrer Brust zu kommen schien. „Ich danke Ihnen, Ferreri, für Ihre Sorgfalt im Dienste des Königs. Ruhen Sie nun aus und kehren Sie morgen nach Persano zurück. Sagen Sie Seiner Majestät, daß ich für die Aufmerksamkeit danke und gute Jagd wünschen lasse.“

      Huldvoll nickte sie ihm zu. Aber als er das Zimmer verlassen hatte, nickte sie noch immer. Nach der Stelle hin, wo er gestanden hatte. Mit demselben leeren Lächeln. Dem Lächeln der geborenen Königinnen.

      Nun lösten sich die Hände. Mit einem würgenden Schrei fiel Maria Carolina über den Tisch. Hart schlug ihre Stirn gegen das Holz.

      Lange lag sie so, immer dasselbe schreckliche Wimmern hervorstoßend. Das sie doch mit aller Kraft zu unterdrücken suchte. Draußen horchten wohl die Schranzen ...

      Der wehe Ton zerriß Emma das Herz. Ihre Arme um Maria Carolina schlingend beugte sie sich über sie. Rief sie mit dem Namen, den ihre Lieben in der Heimat ihr gegeben hatten.

      „Charlotte! ... Charlotte! ... Lottchen!

      Maria Carolina hob den Kopf. Als lausche sie auf eine ferne Stimme.

      „Tonerl?“ murmelte sie, plötzlich deutsch sprechend. „Mein Tonerl! Mein liebes Tonerl!“ Ihre Hände fuhren über den Tisch. Als suchten sie dort andere Hände, die sich ihr liebend entgegenstreckten. Dabei berührte sie das Fruchtmesser. Jäh schnellte sie empor, Entsetzen in den weitaufgerissenen Augen. „Sie ist tot! Sie haben sie gemordet! Schändlich gemordet!“

      Sie griff nach dem Messer; mit einer wilden Bewegung, als wolle sie es sich in die Brust stoßen. Emma fiel ihr in den Arm. Ein lautloses Ringen entstand. Plötzlich glitt Emmas aufhaltende Hand ab, das Messer fuhr nieder, schnitt einen Riß in ihr Kleid und fiel zu Boden. Und als sei damit Maria Carolinas Kraft erschöpft, brach sie ohnmächtig zusammen.

      Emma bettete sie auf den Diwan, stürzte ins Vorzimmer, befahl Doktor Cirillo zu holen. Dann kehrte sie zur Königin zurück, die Tür vor neugierigen Augen verschließend. Nun erst merkte sie, daß sie verwundet war. Ein langer, blutender Schnitt zog sich über ihre Brust. Notdürftig verband sie ihn, schloß das Kleid und ging dem eintretenden Cirillo entgegen.

      Cirillo behandelte die Königin seit Jahren, kannte die Natur ihres Leidens und sprach mit ihr als strenger Arzt, ohne Rücksicht auf die Majestät.

      Er brachte sie zum Bewußtsein zurück, schaffte sie mit Emmas Hilfe zu Bett, verordnete ihr einen langen, ungestörten Schlaf. Und da sie, zusammengekrümmt in den Kissen liegend, mit einem bitteren Lachen den Kopf schüttelte, gab er ihr Morphium.

      Er wollte während der Nacht bei ihr bleiben; sie aber sträubte sich dagegen. Sein kühles Gesicht erregte sie. Nur Emma sollte bei ihr sein. Eigensinnig bestand sie auf ihrem Willen, drohte aufzustehen, wenn er nicht ginge. So gehorchte er endlich.

      Alle Türen mußte Emma verriegeln. Überall sah Maria Carolina bleiche, drohende Gesichter, erschrak vor dem leisesten Geräusch. Trotz des Morphiums wollte der Schlaf nicht kommen. Unaufhörlich wälzte sie sich in den Kissen. Fiel in halbwache Träume, die ihr Marie Antoinettes abgeschnittenes Haupt vorspiegelten. Erwachte im nächsten Augenblick mit einem grausigen


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