Lord Nelsons letzte Liebe. Heinrich Vollrat Schumacher

Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher


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hier nicht im Geruch heimlichen Jakobinertums? Vanni schnüffelt schon um sie herum. Und dann ist Meister Paradiso nicht weit. Paradiso ... übrigens ein hübscher Name für einen Henker! Aber selbst, wenn sie ihre Köpfe behalten, was vermögen sie ohne Flotte? Schiffe sind aus Holz gebaut, brennen leicht. Und hier in Neapel oder in Sizilien bedarfs dazu gar keiner Diplomatie. Das besorgt jede Eruption des Vesuv oder Ätna. Ich fürchte, selbst Maria Carolina könnte gegen eine solche — höhere Gewalt wenig ausrichten!“

      Er faltete die Karte zusammen, nickte Emma mit seinem widerwärtigen Lächeln zu und ging.

      Emma war wie betäubt. Etwas Furchtbares glaubte sie herannahen zu sehen. Gegen das sie machtlos war. Nicht einmal warnen durfte sie, ohne ihr Volk, ihr Land zu verraten.

      Voll schrecklicher Zeichen erschien ihr die Zeit. Neues kämpfte gegen das Alte, Tat drängte sich an Tat. Als suche eine unsichtbare Hand jäh zu stürzen, was die Jahrhunderte in langsamem Werden aufgebaut. Nichts hatte Bestand, alles schien zu fließen ...

      ***

      Die Dinge in Korsika nahmen den von Sir William vorausgesagten Verlauf. Die Franzosen mußten aus San Fiorenzo weichen; ihre Schiffe verbrennend oder im Hafen versenkend zogen sie sich nach Bastia zurück. Die Stadt war stark befestigt, hatte eine Besatzung von nahezu fünftausend Mann. Lord Hood dagegen verfügte an Marinesoldaten und Matrosen nur über vierzehnhundert. Trotzdem sprach Nelson für die Belagerung. Die Führung der Matrosen übernehmend setzte er seinen Willen durch. Am elften April des folgenden Jahres begann er die Beschießung und am vierundzwanzigsten Mai meldete er den Erfolg.

       „Bei Tagesanbruch hatten wir den glorreichsten Anblick, der einem Engländer zuteil werden kann, und den, glaube ich, nur ein Engländer herbeiführen konnte: viertausendfünfhundert Mann streckten vor weniger als tausend Briten die Waffen! — Nun bleibt nur noch Calvi, und Korsika ist unser.“

      Aus den Berichten über die Verhandlungen des Unterhauses erfuhr Emma dann, daß Calvi am zehnten August gefallen war. Das Parlament sprach der Flotte durch ein allgemeines Votum den Dank der Nation aus, Nelson wurde auffallenderweise nicht erwähnt.

      Eine Woche später traf ein Brief von ihm ein, in dem er die Eroberung des letzten Bollwerks der Franzosen auf Korsika schilderte. Die Hitze war unerträglich gewesen, hatte unter den Belagerern ebenso aufgeräumt, wie die Kugeln der Feinde. Dennoch war das Unternehmen durchgeführt worden. Nelson hatte tätigsten Anteil genommen. Selbst, als er am zwölften Juli in einer vorgeschobenen Batterie durch Sprengstücke von Steinen verletzt und auf dem rechten Auge erblindet war, hatte er die Werke nicht verlassen. Voll warmer Anerkennung seiner Verdienste hatte Lord Hood Nelsons Tagebuch der Belagerung nach London geschickt. Die Lords der Admiralität aber hatten seinen Namen nicht einmal unter den Verwundeten genannt ...

       „Hundertundzehn Tage lang habe ich zu Wasser und zu Lande gekämpft, drei Angriffe auf Schiffe gemacht, zwei Vorstöße mit dem ,Agamemnon‘ gegen Bastia unternommen, vier Bootskämpfe bestanden, zwei Dörfer erobert, zwölf Fahrzeuge verbrannt. Soviel ich weiß, hat niemand mehr getan. Mein Oberbefehlshaber hat mich gelobt, sonst aber habe ich keinerlei Dank empfangen. Und was noch kränkender ist: für Dienste, bei denen ich verwundet wurde, sind andere gepriesen, die in jener Zeit weit vom Kampfplatz entfernt tatsächlich im Bette lagen. War ich unbescheiden, als ich auf einen etwas gerechteren Lohn hoffte?

       Aber es tut nichts. Mögen meine Londoner Feinde mich totschweigen, solange sie es können. Eines Tages werde ich dennoch einen Siegesbericht für mich allein haben!“

      Und in ein paar kurzen Zeilen gab er neuere Nachrichten über Korsika. Paoli war zu weiteren Verhandlungen nach London geladen, an seiner Stelle Elliot zum Vizekönig ernannt ...

      Sir William lachte, voll befriedigter Eitelkeit. Hatte er es nicht vorausgesagt? Nur schien es ihm nicht richtig, daß England die Maske schon jetzt fallen ließ. Diese heißblütigen, mißtrauischen Korsen hätte man erst einschläfern, an die britische Herrschaft gewöhnen müssen. Durch allerlei Konzessionen, die man nachher ja zurücknehmen konnte ...

      Emma hörte ihm zu, ohne den Sinn seiner Worte zu fassen. Alle ihre Gedanken waren bei Nelson.

      Seine Augen! Seine großen, schönen Augen! Wie Sonnen hatten sie geleuchtet. Sonnen, die blendende Strahlenblitze schleuderten ...

      Und nun ...

      ***

      In Neapel reinigte Vanni das Volk.

      Wegen jakobinischer Umtriebe wurde verhaftet : wer im Besitz eines verbotenen Buches oder Zeitungsblattes gesehen war; wer wie der französische Schauspieler Talma ungepudertes Haar à la Titus trug; wer Umgang mit Franzosen gehabt hatte. Aber da die Richter trotz langer Verhöre keine Beweise erhielten und das Schweigen der Unschuldigen Verstocktheit nannten, versprach Vanni durch öffentlichen Anschlag hohe Belohnungen, Staatsanstellungen und den Konstantinsorden für alle Anzeigen von Majestätsverbrechen.

      Nun füllte sich die Stadt mit Spionen. Wie das Haupt der Medusa erhob sich das Mißtrauen aller gegen alle. Furcht beherrschte die Gemüter, Argwohn vergiftete das Leben der Familien. Eltern und Kinder, Gatten und Geschwister, Vorgesetzte und Untergebene, Seelsorger und Beichtkinder — jeder erblickte im anderen einen geheimen Aufpasser und Angeber, bereit, den Judaslohn zu verdienen.

      Auch das Gerichtsverfahren erfüllte die Phantasie mit Schreckbildern. Es war nach spanischem Muster geheim, die Beweisführung schriftlich. Bezahlte Spione, entlassene Dienstboten, entartete Kinder, erbsüchtige Verwandte wurden als glaubwürdige Zeugen angenommen, anonyme Anzeigen galten als Indizien. Niemals wurde dem Angeklagten gestattet, für seine Verteidigung selbst das Wort zu ergreifen; angestellte Beamte des Staates führten sie schriftlich. Das Urteil wurde bei verschlossenen Türen ausgefertigt. Die Mitglieder des Gerichts durften zwar die Akten einsehen, das Erkenntnis aber mußte innerhalb einer vorgeschriebenen kurzen Zeit gefällt werden. So machten sie niemals von ihrem Rechte Gebrauch und die Meinung des Untersuchungsrichters wurde entscheidend. Um dem Angeklagten die Wohltat der Stimmengleichheit zu entziehen, wurden die Richter in ungerader Zahl ernannt. Gegen das Urteil gab es keine Berufung; unmittelbar nach seiner Verkündigung trat es in Kraft, hatte stets Ehrlosigkeit im Gefolge. Tod, Zuchthaus, Verbannung waren die Strafen.

      Am Abend desselben Tages meldete ein Schreiben des Gouverneurs von Messina, ein Kranker namens Tommaso Amato, der jedes Jahr an Wutanfällen gelitten habe, sei aus dem Irrenhause entsprungen ...

      Junge Schüler, Söhne adeliger Familien, hatten eine Vereinigung gegründet, in der sie schwärmerische Reden über Freiheit und Vaterlandsliebe hielten. Pietro di Falco, ihr Haupt, geriet in Verdacht, wurde verhaftet, vor Vanni geführt. Eingeschüchtert von den Todesdrohungen des Richters, der Verheißung trauend, daß dem Reumütigen Verzeihung werden solle, legte er ein Geständnis ab, nannte die Namen seiner Freunde. Ohne ihnen gegenübergestellt zu werden, wurde er auf Lebenszeit auf die Insel Tremiti verwiesen. Während Vanni gegen jene die Untersuchung eröffnete. Fünfzig wurden angeklagt, zehn freigesprochen, dreizehn mit geringeren Strafen belegt, zwanzig verbannt, drei zur Galeere, drei zum Tode verurteilt. Vincenzo Vitaliano, zweiundzwanzig, Emmanuele de Deo, zwanzig, Vincenzo Galiani, neunzehn Jahre alt. Begabte Jünglinge nach dem Zeugnis ihrer Lehrer, die Hoffnung ihrer Eltern, beliebt bei allen ihren Mitschülern. Allen Versuchungen, ihnen die Namen weiterer Mitschuldiger zu entreißen, mannhaft widerstehend, starben sie auf dem Blutgerüst, das Vanni, eine Volkserhebung befürchtend, unter den Kanonen des Kastells Nuovo hatte errichten lassen.

      An diesem Tage legte Domenico Cirillo sein Amt als Leibarzt Maria Carolinas nieder ...

      Entsetzen


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